58. Alte Bekannte

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Noch früh morgens am nächsten Tag säumten hunderte Ritter in silbernen Rüstungen die Strassen der Stadt. Sie befanden sich auf dem Weg in den Krieg. Die aufgehende Wintersonne spiegelte sich in den polierten Rüstungen der Männer. Die Bevölkerung beobachtete den Aufzug der Ritter mit gemischten Gefühlen. Der König selbst liess sich nirgends Blicken, er musste wohl mit weitaus wichtigerem beschäftigt sein. Alvaro war kein Mann, der jemals selbst Hand anlegte. Dafür war er sich definitiv zu schade. Königliche Hände waren dazu geschaffen zu regieren und bestimmt nicht, um ein Schwert zu schwingen. Jack beobachtete das Geschehen als er mit Kapuze im Gesicht durch die Gassen zog. Er hatte sich Finns Worte zu Herzen genommen und wie es schien, behielt sein Bruder Recht. Hoch zu Pferd ritt die komplette königliche Armee aus der Stadt hinaus. Jack stampfte durch den kalten Schnee. Es musste Finn viel daran liegen, die königliche Witwe auf den Thron zu bringen, sonst wäre er nicht höchstpersönlich bei Jack im Gasthaus aufgetaucht und hätte solch ein Risiko auf sich genommen, erkannt zu werden. Jack wusste nicht, wie er sich fühlen sollte. Schliesslich hatte er sich mit seinem Bruder im Streit getrennt das letzte Mal, als sie sich getroffen hatten. Doch Finn schien mittlerweile eingesehen zu haben, dass gegen Alvaro etwas unternommen werden musste. Auch wenn er selbst den Thron nicht besteigen wollte, hatte er nun jemanden gefunden, der anscheinend perfekt dazu geeignet war. Mit Finn und seiner kleinen Armee an der Seite war sich Jack sicher, dass Destina eine gute Chance hatte, diesen Aufstand tatsächlich zu gewinnen. Jack lehnte sich gegen eine kalte Steinmauer. Die royalen Schimmel trabten an ihm vorüber. Die königlichen Ritter waren ein weiss glänzendes Meer aus Metall und Entschlossenheit, das sich langsam den Weg aus der Stadt und über das Land bahnte. Doch im Augenwinkel bemerkte Jack etwas Seltsames, das einen grossen Schatten über die Dächer warf. Er kniff die Augen zusammen und blickte zu der tiefen Sonne, die vom Meer her schien. Völlig erstaunt starrte er mit offenem Mund in den Himmel. Die ganze Stadt heilt auf einen Schlag den Atem an. Und plötzlich war das einzige Geräusch das durch die Strassen drang der schwere Flügelschlag eines ausgewachsenen Drachens, der seine Kreise majestätisch über die Häuser zog, sodass die königliche Parade daneben aussah wie ein lächerlicher Zirkus. Pandoras lila Schuppen schimmerten verzaubernd im warmen Sonnenlicht und zogen die Blicke aller Schaulustigen auf sich. Jack wusste, dass Pandoras Rückkehr bestimmt kein Zufall sein konnte. Sie musste den Aufruhr im Volk gespürt haben. Jacks Gedanken wanderten unweigerlich zu Liv. Er erinnerte sich an ihre traurigen Augen, als er sie bei Alvaros Ansprache gesehen hatte. Jack konnte nur hoffen, dass sie ihren Kampfgeist noch nicht verloren hatte, schliesslich war sie ein sehr bedeutender Bestandteil der Rebellion gewesen und das nicht ohne Grund. Jack glaubte aber, dass Pandoras Rückkehr ihr genügend Kraft geben würde, um noch die letzten Tage in Alvaros Fängen zu überstehen. Denn dieser würde sich genau in diesem Moment gerade wie eine Furie aufregen, da er nun ohne seine ganze Armee dastand gegen die Bedrohung eines riesigen Drachens, der drohte die ganze Stadt in Schutt und Asche zu legen. Doch Jack wusste, was Pandora wollte und weshalb sie gerade nun zurückgekehrt war. Sie wollte Liv retten. Und genau das wollte Jack nun auch. Wenn sie Alvaro nicht stürzen könnten, dann wenigstens Liv aus der Burg befreien. Für sie würde er den Aufstand führen. Jack drängte sich durch verängstigte Bürger und aus dem Takt gefallen trabende Pferde. Pandora flog mittlerweile weg von der Stadt in Richtung des Waldes. Jack versuchte ihr zu folgen. Der Drache verschwand aber bald hinter den hohen Bäumen und Jack musste seine Verfolgung aufgeben. Er blickte um sich und bemerkte, dass er sich am selben Strand befand, wo die Rebellion damals gelandet war, als sie das Attentat auf Leonardo verübten. Das war der Moment gewesen, an dem alles begonnen hatte schief zu laufen. Jack wünschte sich, er könnte zurück in der Zeit reisen, um all seine Fehler zu begradigen und seinen Freunden zu helfen. Doch nichts liess sich ungeschehen machen. In Erinnerung schwebend liess er sich in den Schnee fallen. Er blickte in die Ferne, wo sich im Nebel irgendwo die Insel der Wölfe versteckte. Jack seufzte beim Gedanken an das herrenlose, verlassene Rudel. Ein weiterer Fehler, der Jack hätte verhindern können. «Jack, ich... ehm...», eine stotternde Stimme riss Jack aus seinen Erinnerungen. Ryan, verschlafen und frierend, näherte sich Jack vorsichtig. Er blieb aber auf Abstand. Unsicher, was er tun sollte. Die ehemaligen Freunde standen sich schweigend gegenüber. Niemand wusste, was sagen. Jack erinnerte sich schlagartig an Ryans Verrat und an all die Tode, die dies zur Folge hatte. Er dachte an all die Freunde, die er verloren hatte. Alice, Romina, den Engel. Es waren zu viele. Ryan war sich dessen schmerzlich bewusst und starrte unsicher Löcher in den Boden. Jack war der erste, der sich überwand, das Schweigen zu brechen. «Ryan, ich... ich weiss echt nicht, was ich sagen soll. Ich dachte, du wärst längst nicht mehr in der Stadt. Seist abgehauen mit dem Geld des Königs nachdem sein Sohn unter deiner Obhut ermordet wurde. Alvaro wird dich bestimmt überall suchen.» Ryan blickte Jack schuldbewusst in die Augen. «Jack es tut mir alles so unendlich leid», Ryan flüsterte beinahe. Jack seufzte leise und verschränkte die Arme vor der Brust. Noch nie war er von jemandem, dem er vertraute, so sehr hintergangen worden. Doch Jack war zu müde, um nachträglich zu sein. Rache war momentan eine unnötige Energieverschwendung, denn Jack wollte seine ganze Kraft in den anstehenden Aufstand stecken. «Jack, du musst mir glauben, ich wollte nie jemandem wehtun. Besonders nicht Liv», versuchte Ryan weiter zu erklären. «Ich habe dir vertraut Ryan. Liv hat dir auch vertraut. Und du hast uns alle hintergangen.» Ryan schwieg. Er wusste, dass nichts seine Taten ungeschehen machen konnte. Alles, was er tun konnte, war sich entschuldigen. «Ich wusste von all dem nichts, Jack, du musst mir glauben. Alvaro hat uns nur benutzt. Ich wollte nicht, dass es so endet. Ich wollte nicht, dass Liv ihm ausgeliefert wird. Ich konnte nichts gegen ihn unternehmen, es ist unmöglich. Er hat bereits für jeden möglichen Angriff einen Verteidigungsplan, gegen ihn kommt man einfach nicht an», erklärte Ryan und setzte sich hilflos und verzweifelt auf den kalten Boden, den Kopf in den Händen vergraben. «Ich wollte doch nur Liv endlich für mich haben», seufzte er. Jack wurde traurig beim Gedanken an Liv, die, verlassen und hintergangen von all ihren Vertrauten, von Alvaro auf der Burg nun tyrannisiert wurde. Und plötzlich mit dem Gedanken an Livs funkelnde Augen wich Jacks Wut dem Verständnis. Mitfühlend setzte er sich zu Ryan hin. «Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben, Ryan. Du musst kämpfen für das, was du liebst. Diesen Kampf darfst du nie aufgeben», versuchte Jack seinem ehemaligen Kollegen Mut zu machen. Ryan seufzte. «Liv ist ganz alleine auf der Burg. Sie wird mir nie verzeihen können.» «Wenigstens versuchen musst du es, Ryan. Wenn Liv dir so viel bedeutet, dann ist sie den Kampf definitiv Wert.» Jack blickte Ryan in die Augen. «Wir haben schon zu viele gute Freunde verloren. Die Zeit ist gekommen, für die, die uns noch bleiben, zu kämpfen. In zwei Tagen wird es einen Aufstand gegen Alvaro geben, ich hoffe dich auf unserer Seite zu wissen, Ryan. Du wärst bestimmt eine Bereicherung für unsere Rebellion», Jack hielt Ryan seine Hand hin, bereit über dessen früheren Fehler hinweg zu sehen, um gemeinsam für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Ryan hob seinen Blick, ermutigt von Jacks Worten. Ansprachen zu halten und die Leute auf seine Seite zu ziehen, das waren schon immer Jacks Talente gewesen. Ryan schlug ein. «Kämpfen wir für Liv», sprach er leise und Jack nickte zustimmend. Die Beiden erschraken, als Pandora plötzlich hinter ihnen landete. Sie drehte ihren Kopf neugierig zu beiden Seiten. Sie schien glücklich über dieses Bündnis zwischen den alten Bekannten. Sanft stiess sie mit dem Kopf zuerst an Jacks und schliesslich auch an Ryans Schulter. Die Beiden mussten lachen. Pandora wollte auch Teil des Aufstandes sein und helfen, Liv aus Alvaros Gefangenschaft zu befreien.

Die Reise des DrachenmädchensTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang