11. Wiedersehen

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Jack schmorte nun schon lange in seiner schmutzigen Gefängniszelle. Die Gitter wirkten zwar alt und nicht mehr so stabil, aber sie hielten dennoch seinem ganzen Gewicht stand. Er hatte es versucht. Er wurde immer geweckt von Schreien oder weil ihm eine Ratte hungrig in die Hand biss und er sie dann genervt verscheuchen musste. Zusätzlich bekam er auch mindestens einmal am Tag Besuch von zwei Rittern, die ihm etwas zu essen brachten und ihn dann verhörten. Da Jack sich aber weiterhin weigerte, jegliche Informationen zur Rebellion preis zu geben, verprügelten sie ihn jedes Mal ordentlich. Er war froh, keinen Spiegel zu haben. Er musste schrecklich aussehen. Aufgeplatzte Lippe, blaue und geschwollene Augen und eingetrocknetes Blut. Dennoch hatte er noch nicht die Hoffnung verloren. Ruhig sass er in einer Ecke und dachte nach. Er hatte schon jede ihm erdenkliche Möglichkeit ausprobiert, um diesem Drecksloch zu entfliehen, doch er war jedes Mal gescheitert. Und nun gingen ihm langsam die Ideen aus. Schwere Schritte, die die Treppe zu den Zellen hinunter stampften, rissen ihn aus seinen Gedanken. Genervt rechnete er mit den zwei Rittern, die ihn verhören würden. Doch dann bemerkte er, dass es zu viele Schritte waren für bloss zwei Paar Füsse. Er presste sich gegen die kalten Stäbe, aber er konnte nichts erkennen. Um seine Aufregung und Neugier zu verstecken, legte er sich wieder auf den kalten Steinboden und schloss die Augen. Er konzentrierte sich auf seine Atmung. Ein Versuch Ruhe und einen klaren Kopf zu bewahren. Er hörte, wie die Gittertür zu seiner Zelle geöffnet wurde und liess sich ohne Widerstand von zwei Rittern auf die Füsse zerren. Zuerst war Jack erstaunt über die vielen Ritter, die in seine kleine Zelle passten, als er die Augen öffnete. Sie schienen so gar nicht an diesen hässlichen Ort zu passen mit ihren gepflegten, sauberen Kleidern. Doch das waren keine normalen Ritter, denn sie trugen keine lächerlich silberglänzende Rüstung. Sie trugen Schwarz und das einzige, das etwas Farbe in die Uniform brachte, war das blaue Wappen des Königs, das einen Panther zeigte. Dann formten diese Ritter aber einen Gang und der wahre Besucher betrat die Zelle. Er trug nicht dieselbe Rüstung wie die anderen Ritter, seine war sichtlich teurer, aber auch schon reichlich kampferprobt. Ein Schatten verdeckte sein Gesicht, doch Jack wusste dennoch mit Sicherheit, wer sich unter der Kapuze versteckte und sein Gesicht verdunkelte sich. Sein Besucher hatte einen muskulösen Körper, trug einen eisernen Brustpanzer, der schon recht abgenutzt aussah. Überall waren Kratzer und er glänzte überhaupt nicht. Seine Stiefel waren auch mit demselben Eisen geschützt und nicht nur das unterschied ihn von den übrigen Rittern. Sein Umhang war zwar schwarz, aber ohne jegliches Wappen. Sein blondes Haar stach hervor, obwohl es nur bis zu den Ohren kam. Dasselbe Blond wie Jack es trug... Langsam bekam Jack weiche Knie. Er hatte in seinem Leben schon gegen viele Leute gekämpft, aber sein Besucher war eine ganz andere Liga und Jack möchte ihn lieber nicht herausfordern müssen. Der Mann zog sich die Kapuze aus dem Gesicht und seine himmelblauen Augen und blonden Haare kamen zum Vorschein. Mit einer Handbewegung des Mannes verliessen die anderen Ritter Jacks Zelle. Der Name seines Besuchers war Finn. Seines Zeichens Sohn von König Leonardo und Jacks Halbbruder. Die Beiden waren zusammen aufgewachsen. Finn war 6 Jahre älter als sein kleiner Bruder. Als kleine Jungs hatten sie immer zusammen gespielt, aber Finn war schon immer der stärkere gewesen. Sie hatten dieselbe Mutter. Jack war das Kind einer Affäre mit einem einfachen Kaufmann. Leider konnte die Mutter als Frau des Königs nur wenig Zeit bei Jack und seinem Vater verbringen, doch sie verbrachte so viele Stunden mit ihnen, wie es ihr nur möglich war. Und bei jedem Besuch brachte sie Finn mit und die beiden Jungs entwickelten eine richtig gute Freundschaft und waren echte Brüder. Leider konnte es nicht ihr Geheimnis bleiben. Als Finn 20 Jahre alt war wurde er von seinem Vater in den Krieg geschickt und als er nach fast einem Jahr endlich und ohne grössere Verletzungen zurückkehrte, freute sich sein kleiner, dummer Bruder so sehr, dass er Finn in der Öffentlichkeit um den Hals fiel. Leonardo war nicht blöd und wurde sofort misstrauisch. Ihm fiel natürlich sofort auf, dass sie Jungs dieselbe Haarfarbe hatten, die sie von ihrer Mutter geerbt hatten. Leonardo nahm Jack mit auf die Burg und konfrontierte dort seine Frau mit den Vorwürfen. Die Mutter wusste sich nicht anders zu helfen, als dem König alles zu gestehen und auf seine Gnade zu hoffen. Aber Leonardo kannte kein Erbarmen. Vor den Augen beider Kinder stiess er ihr kaltblütig ein Schwert ins Herz. Danach hatte er Jack fortgejagt. Heute wünschte er sich, er hätte den Bengel auch direkt getötet. Und seitdem hatten sich die beiden Brüder nie wiedergesehen. Natürlich hatten sie sich nicht im schlechten getrennt, doch Jack hatte all die Jahre zusehen müssen, wie Leonardo seinen Sohn zu seinem Werkzeug manipuliert hatte. Finn wurde nach Leonardos Werten und Meinungen erzogen und hat diese wohl nun zwangsläufig übernommen. Die Brüder standen sich misstrauisch gegenüber, unsicher was sie jetzt tun sollten. Bis Finn einen Schritt auf Jack zu machte, ihn umarmte und flüsterte: „Was haben sie dir bloss angetan, Bruder" „Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen, Finn." „Zu lange, Jack. Viel zu lange." „Es ist schön dich endlich wieder zu sehen, aber... was willst du hier?" Finn blickte seinem Bruder ernst in die Augen. „Hör zu, Jack. Ich weiss, wie sehr du meinen Vater verachtest und du dich an ihm rächen willst. Aber er ist und bleibt mein Vater und ich würde ihn mit meinem Leben verteidigen. Du würdest dasselbe für deinen Vater tun", begründete Finn vorsichtig. „Ja! Nur ist mein Vater tot", meinte Jack wütend, „Erinnerst du dich? Er wurde getötet als Leonardo die Menschen jagen liess und er wollte einige bei sich im Keller verstecken!" „Ja, ich kann mich noch gut erinnern, Jack. Aber ich bin nicht gekommen, um alte Wunden aufzureissen und mich mit dir zu streiten, kleiner Bruder. Ich bin hier, um dir zu helfen. Schau dich an! Dünn und blaugeprügelt bist du. Das hältst du nicht mehr lange so aus. Also komm, folge mir", erklärte Finn. Jack riss sich zusammen, unterdrückte seine Wut und folgte Finn. Er verliess die Zelle und ging an den Rittern vorbei, die vor der Zelle Posten bezogen hatten. Jack schaute in ihre Gesichter und stiess auf Abscheu und Hass. Eins der Gesichter erkannte Jack jedoch wieder, es war einer seiner Spione. Theo. „Bewacht die Tür und lasst niemanden in dieses Drecksloch!", befahl Finn den rund 20 Männern. Die Brüder mussten nicht lange laufen, denn bald hatte Finn sein Ziel erreicht. Er stiess eine schwere Holztür auf und betrat mit Jack das Zimmer dahinter. „Ich wollte unbedingt das Zimmer bei den Gefangenen. Was will ich ganz oben, wenn hier unten die Scheisse am Dampfen ist?", meinte Finn mit einem Lachen. „Die Sache ist einfach, dass die Ritter hier verdammt unfähig sind. Du wärst leicht entkommen, glaub mir. Aus der Zelle ist eins, aus der Burg ist das andere. Aber wenn ich da bin, haut hier keiner so schnell ab!" Finn griff nach einem schön verzierten Schwert und steckte es, nachdem er es kurz betrachtet hatte, in die Scheide an seinem Gurt. Auf demselben Tisch lagen auch Jacks Waffen. Finns Zimmer strotzte nicht gerade vor Prunk wie der Rest der Burg. Es war sehr kahl und spärlich eingerichtet. Nur ein Bett, eine Truhe und der Tisch auf dem die Waffen lagen. Finn griff nach Jacks Waffen und hielt sie ihm hin. „Ich kann dir nicht alles geben, das wäre zu auffällig. Aber mit einem Dolch solltest du leicht gegen diese Nichtsnutze ankommen, die hier unten Wache schieben." Jack versteckte den Dolch in seinem Gurt. Finn lachte seinen Bruder an: „Und weiter geht's!" Er riss die Tür wieder auf und lief weiter. Jack folgte ihm auf Schritt und Tritt. Plötzlich hielt Finn an und presste sich und mit einer Hand Jack an die Wand. Schnell zog er sich die Kapuze ins Gesicht und lugte vorsichtig um die Ecke. Schliesslich lief er los, immer bemüht, das Gesicht versteckt zu halten. Doch die Wache, die hinter der Mauer lauerte bemerkte die Beiden. „He! Ihr da! Sofort stehen bleiben, Wixer!", brüllte er arrogant. Doch Finn reagierte schnell. Er packte eine Hand des Wächters, drehte sie ihm auf den Rücken und trat ihm gezielt in den Knieecken, sodass der Wächter auf die Knie fiel. Blitzschnell fesselte Finn seine Hände auf dem Rücken zusammen und stopfte dem Wächter ein Stück Stoff in den Mund. Jack musste zugeben, dass er recht beeindruckt war. Finn hatte einen Mann ausser Gefecht gesetzt ohne ihn zu verletzen, ohne dass er einen Mucks von sich geben konnte und sogar ohne, dass er selbst erkannt wurde. „Schnell weiter", meinte Finn ruhig und lief voran. Der Weg war echt lange, aber es gelang ihnen, ohne weitere Zwischenfälle Finns Ziel zu erreichen. Sie hielten vor einem riesigen Gemälde des Königs. „Hinter dem befindet sich ein Geheimgang, am Ende wartet morgen ein Pferd auf dich. Viel Glück Bruder!", Finn hielt Jack an der Schulter und schaute ihm tief in die blutroten Augen. Jack hätte nie damit gerechnet, dass sein Bruder ihm helfen würde aus den Fängen von Leonardo zu entkommen. Er blieb sprachlos.
Auf dem Rückweg in die Zelle befreite Finn die Wache, die er eben noch gefesselt hatte, während sich Jack vorbei schlich und angespannt an der Mauer auf seinen Bruder wartete. Mit einem eisernen Gesichtsausdruck kam Finn um die Ecke und zog sich die Kapuze wieder ins Gesicht. Jack folgte ihm wortlos. Vor der Zelle warteten Finns Männer. Als er wieder in die Zelle wollte stellte sich ausgerechnet Jacks Spion davor: „Der Prinz hat uns befohlen niemanden in diese Zelle zu lassen!" Finn riss sich die Kapuze wütend vom Kopf. „Du erkennst nicht einmal deinen eigenen Herrn?! Du verdammter Narr! Ich glaube ein Besuch beim Henker würde dir guttun, Arschloch!", brüllte Finn dem Spion ins Gesicht. „Herr, ich... ich wusste nicht...", stammelte der ängstliche Ritter. Doch Finn kannte kein Erbarmen. Er packte die Kehle des Spions und hievte den Mann hoch. Mit den Händen um den Hals gewickelt presste er den hilflos strampelnden Ritter gegen die Wand. Jack zerrte an Finns Schulter und versuchte ihn zu stoppen, doch er war zu schwach und die anderen Ritter schienen sich auch nicht dafür zu interessieren. Es war wohl nicht das erste Mal, dass Finn so gewalttätig war zu seinen Männern. Jack sammelte all seine Kraft und so gelang es ihm, Finn so fest weg zu stossen, dass er einen Schritt nach hinten stolperte und den Griff lockerte. Jacks Spion Theo fasste sich schwer atmend und hustend an die Kehle. „Lass ihn in Ruhe!", brüllte Jack seinen Bruder an. „Wieso sollte ich? Nenn mir einen guten Grund!" Jack stellte sich schützend vor seinen Spion und antwortete: „Weil... er zu mir gehört." „Ach was! Bloss weil er ein Spion ist, soll ich ihn am Leben lassen? Erzähl mir etwas, das mehr Sinn ergibt!" „Hör auf, Finn! Ich nehme ihn mit. Du wirst ihn nie wieder sehen." Finn stand unschlüssig da. Mit einem kurzen Nicken willigte er dann schliesslich widerwillig ein. Mürrisch zog er mit seinen restlichen Männern ab.

Die Reise des DrachenmädchensWhere stories live. Discover now