41. Eine verlorene Kämpferin

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Destina sass alleine in ihrem Zimmer. Noch immer hing ihr Herz hinter einem dichten Schleier und sie war sich nicht sicher, ob sie sich überhaupt jemals wieder besser fühlen würde. Sie blickte aus dem Fenster. Einige der Berge in der Ferne hatten bereits Schnee auf ihren Gipfeln, ein Vorbote des bevorstehenden Winters. Es würde kein angenehmer Winter werden, für niemanden. Nicht solange dieses Monster auf dem Thron sass. Die Natur draussen schien langsam zu sterben, ob wegen Kälte oder Trauer konnte Destina nicht sagen. Sie seufzte. Warum hatte Alvaro sie nicht auch gehängt an diesem Tag? Das wäre ihr viel lieber gewesen, als dieses Leben, das nur aus einer tiefen Leere bestand. Eine Leere, die nur Lance zu füllen wusste. Doch Alvaro hatte ihr Lance genommen, ihre einzige und letzte Hoffnung auf ein besseres Leben und auf eine glückliche Zukunft. Verräter hatte er ihn geschimpft. Doch Lance war treuer als Alvaro selbst es war. Aber er war nur denen treu, denen sein Herz gehörte. Und dieses gehörte weder Leonardo noch Alvaro. Aber Alvaro war niemandem treu, nicht einmal seiner Frau war er treu gewesen. Und Leonardo schon gar nicht. Könige sprechen von Treue wie eine Hure von Liebe. Doch Destina war unfähig etwas gegen Alvaro zu unternehmen, alles was sie war, war die Frau eines toten Königs. Eine Witwe auf dem Papier und im Herzen ebenso, nur nicht wegen dem gleichen Mann. Destina durchlebte den Schmerz, ihren geliebten Lance zu verlieren, jede Nacht wieder. Sie würde sich wohl das Leben nehmen, hätte sie nur die Möglichkeit dazu. Doch Alvaro behielt sie gut im Auge, dass sie keine Dummheiten anstellen konnte. Er genoss ihren Schmerz zu sehr. Er ergötzte sich zusätzlich noch daran, dass er ihr nun auch noch die letzte kleine Freude in ihrem Leben genommen hatte. Er hatte ihr nämlich befohlen nur noch schwarze Kleider zu tragen, als Zeichen ihrer Trauer um ihren verstorbenen Mann und um der Gesellschaft zu zeigen, dass sie eine Witwe war. So durfte sie nicht einmal mehr ihre wunderschönen, farbigen Kleider anziehen, die ihr immer ein gutes Gefühl gegeben hatten, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Jetzt, wenn Destina an sich hinabblickte, sah sie nur ein Meer aus Schwarz, was ihre Stimmung nur noch tiefer in die Abgründe zog. Doch es hatte sich nicht nur alles verschlechtert. Denn immerhin weinte sie nicht mehr den ganzen Tag. Sie hatte sich wieder zusammengerissen und das wohl nur dank Finns Hilfe, der jede Sekunde bei ihr sass, über sie wachte und ihr Trost spendete, so gut er nur konnte. Er hatte sie aufgefangen und wieder auf die Füsse gestellt, jetzt musste sie selbst wieder lernen zu gehen, zu rennen und schliesslich Anlauf zu holen, um mit Schwung Alvaros Herz durchstechen zu können. Hätte sie doch nur ein Messer. Doch momentan war ihr Herz noch am Trauern, es hatte keine Zeit für einen klaren Rachegedanken, der musste sich erst noch entwickeln. Destina erhob sich schwach von ihrem Stuhl, lief zu einem kleinen, goldenen Vogelkäfig, in dem eine prächtige Schwalbe gefangen gehalten wurde. Sie hatte sich oft darüber lustig gemacht, wie es doch ihrem Gefährten gleich erging wie ihr selbst. Eingesperrt in einem goldenen Käfig. Nun wünschte sie sich nichts sehnlicher als der armen Schwalbe die Freiheit schenken zu können. Der Vogel hatte es nicht verdient sein ganzes Leben in Gefangenschaft zu verbringen, bloss weil Destina von dem falschen Mann geheiratet wurde. Wenn schon Destina selbst nicht von der Tyrannei der Könige fliehen konnte, dann sollte es zumindest ihrer Schwalbe gewährt sein. Doch der Käfig war verschlossen und Destina hatte den Schlüssel nie zu Gesicht bekommen. Wer konnte den Schlüssel haben? Sie nahm nicht an, dass Alvaro sich um solche Kleinigkeiten selbst kümmerte.
Ein Klopfen an der Türe riss Destina aus ihren Gedanken. «Herein», rief sie mit schwacher Stimme. Alvaros breites Grinsen schob sich in ihr Zimmer. Hass stieg in Destina auf, doch sie schluckte ihre Gefühle runter. «Was willst du?», fragte sie kühl. «Ich bringe dir Besuch, ich dachte du könntest ihr ein wenig die Burg zeigen und ihr erzählen, wie es so ist mit jemandem aus dem Königshaus verheiratet zu werden», erklärte Alvaro und schob das Menschenmädchen in das Zimmer. Liv behielt den Boden in den Augen, als könnte er jederzeit plötzlich verschwinden. Sie schien wie immer völlig in ihren Gedanken versunken und verloren, wo Pandora und Jack und Rominas blutiges Gesicht aufflimmerten. Alvaro drückte Liv einen Kuss auf die Wange und verschwand schnell wieder. Destina seufzte. Was sollte sie nun bloss mit diesem jungen, hoffnungslosen Ding anfangen? Die Kleine wirkte völlig apathisch und sprach kein einziges Wort. «Wie ist noch einmal dein Name, Kleine?», erkundigte sich Destina, um den stillen Raum zu füllen. «Liv», antworteten Augen aus weiter Ferne. Destina nickte. «Na schön, Liv. Ich kann dir eins aus Erfahrung sagen, Könige und deren Söhne sind zu arrogant, um sich mit Frauen zu unterhalten. Das Einzige, was dieser Aurion also von dir haben will, wird dein Körper sein. Solange du dich also fügig verhältst, brauchst du ihn nicht zu fürchten und er dich nicht. Obwohl er es vielleicht sollte» Liv nickte abwesend. Sie kannte die königliche Witwe nicht und ihre Gedanken waren völlig woanders als bei der geplanten Hochzeit mit Alvaros Sohn. Ihr Herz hing noch an zwei Freunden, von denen sie nicht wusste, ob sie noch lebten oder bereits tot waren. «Fein. Und weisst du auch wieso Alvaro dich mit seinem Sohn verheiraten will?», fragte Destina mit verschränkten Armen. Liv schüttelte langsam den Kopf. Destina fasste sich an die Stirn und seufzte. Naives, junges Ding. «Er bindet dich so an sich. Du bist ein Mensch, der letzte und einzige Mensch in dieser Welt um genau zu sein, und das bringt sehr viele Vorteile mit sich. Viel Macht und Kraft, die du anscheinend gar nicht zu nutzen weisst. Und Alvaro hat es sich zum Ziel gemacht, alle Leute mit Macht sich zu unterwerfen oder sie zu töten. Also gebe ich dir einen einzigen Rat: Gehorche oder stirb», erklärte Destina kalt. Sie hatte überhaupt keine Lust hier das Kindermädchen für die Kleine zu spielen und ihr klar zu machen, in was für einer Lage sie sich befand. Doch Liv reagierte überhaupt nicht auf Destinas Worte. «Ist das deine natürliche Haarfarbe Kleine?», versuchte Destina das Thema zu ändern und Liv zum irgendwie Sprechen zu bringen. Stille hatte Destina nun lange genug gehabt. Liv nickte. «Interessant.» Destina hielt für einen Moment Inne. «Komm, setzt dich. Ich glaube du hast mir einiges zu erzählen.» Liv hob die Augen und vergegenwärtigte sich ihre Situation. «Ich verstehe nicht ganz», stotterte sie, als sie sich langsam neben Destina hinsetzte. «Na du weisst schon, du und die Rebellen. Der Ball, der Mord. Erzähl mir davon!» Destina versucht ihre Gedanken möglichst fern von Lance zu halten. In Liv hatte sie nun endlich eine willkommene Ablenkung gefunden. Und insgeheim wollte sie schon immer mehr über Jack, den grossen Rebellenanführer und seine Rebellion erfahren. Liv geriet ins Schwitzen, sie war alles andere als stolz auf ihre Taten bei den Rebellen, weder auf den Mord des Königs, noch auf den an Romina. Hatte sie sich doch stets für die Menschlichkeit eingesetzt. «Ich weiss nicht wovon Sie sprechen», versuchte Liv alles abzustreiten und schüttelte vehement den Kopf. «Ach komm! Zier dich nicht so. Finn hat mir erzählt, dass ein Mädchen mit lila Haaren meinen Mann ermordet hat, das kannst nur du sein, Kleine.» Liv wusste nicht was sie sagen sollte. «Es tut mir leid», stotterte sie. «Was tut dir denn leid?», stutzte Destina. Es gefiel ihr sehr endlich mit jemandem zu sprechen, der die Welt ausserhalb der Burg gut kannte. «Dass ich Ihren Mann ermordet habe. Ich bin keine Mörderin», erklärte Liv niedergeschlagen. Destina lachte. «Dass du Leonardo getötet hast, war alles andere als ein Fehler. Die wenigen Tagen, als niemand die Macht im Könighaus hatte, waren die Tage in denen ich am glücklichsten war. Ich fühlte mich frei. Klar, es ist nicht alles nach Plan gelaufen, wer konnte schon mit einem Mann wie Alvaro rechnen, trotzdem bin ich dir und der Rebellion unendlich dankbar, davon abgesehen, dass ihr Verräter in den eigenen Reihen hattet. Ihr habt zumindest etwas unternommen, nicht wie der Rest des Volkes... oder wie ich.» Destina verfiel abrupt ins Schweigen. «Geht es Ihnen gut?», erkundigte sich Liv besorgt. Destina schaute auf mit Tränen in den Augen. «Man hat mir alles genommen in meinem Leben. Leonardo hat mich aus den Händen meiner Familie gerissen und Alvaro hat mir den Mann genommen, dem ich mein Herz schenkte. Er sperrt mich hier ein, droht mir jeden Tag, erinnert mich an die schrecklichsten Tage meines Lebens und hat dabei sogar Spass. Er zwingt mich diese hässlichen Fummel anzuziehen und versucht mir vorzuschreiben, wie ich mich zu fühlen habe. Der einzige Hoffnungsschimmer der noch leuchtet an meinem Horizont ist Finn. Und dieser Schimmer leuchtet schon, seit ich Leonardo geheiratet habe. Er war immer für mich da. Liv, pass auf was Alvaro mit dir anstellt. Er ist gut darin, Leute zu manipulieren, sie so zurecht zu biegen, dass sie ihm gefallen und sie ihm nützlich sind. Du bist eine Rebellin, eine Kriegerin, Liv. Ich spüre es doch. Du hast den Willen zu Kämpfen und dich zu wehren noch nicht verloren, halt dich an jedem noch so kleinen Stück deines eisernen Willens fest. Umklammere es mit all deiner Kraft, denn es könnte das letzte Stück deines wahren Charakters sein. Liv, es ist wer du in Wahrheit bist. Lass dieses Stück Hoffnung nie los oder du bist verloren und gehörst komplett Aurion oder noch schlimmer seinem Vater Alvaro.» Livs Augen waren weit aufgerissen, ihr Herz schlug schnell, Destinas Worte drangen zu ihr vor, sie drangen bis zu diesem winzig scheinenden Stückchen, dass ihr noch geblieben war und rüttelten es wach. Destina wischte sich eine Träne aus dem Auge. «Versprich es mir.» Liv war wie betäubt, sie hatte ihre Menschlichkeit und ihren Willen dafür zu kämpfen schon seit dem ersten Mord verloren geglaubt. «Versprich es mir!», wiederholte sich Destina, diesmal viel lauter und entschlossener. Liv nickte langsam. Ihr Kopf hob sich und sie schaute Destina entschlossen in die blauen Augen. «Ja.» Ein Lächeln schlich sich über Destinas Lippen. «Du darfst es niemandem zeigen, dem du nicht vertraust, sie werden sonst bemerken, dass dieser Teil in dir noch lebt und wächst und dann würden sie es endgültig zerstören. Sei vorsichtig und warte auf den richtigen Zeitpunkt. Wir sind nicht dazu verdammt alle Ewigkeit in dieser elenden Burg zu verbringen. Es muss ein Ende nehmen.»

Die Reise des DrachenmädchensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt