49. Aufgespiesste Köpfe

3 0 0
                                    

Draven war einer der Ersten, die am nächsten Morgen ansehen mussten, was dieser völlig verrückte König dieses Mal angestellt hatte. Der Weg, der zur königlichen Burg auf dem Hügel führte, war mit blutigen Köpfen, die auf Stöcken aufgespiesst waren, geschmückt worden. Draven erkannte sogar einige der Gesichter wieder. Es waren ehemalige Rebellen. Aber nur sehr wenige, also hoffte Draven stark, dass der andere Teil die Möglichkeit gesehen hatte und aus der Stadt verschwunden war. Denn nun schien dieser Alvaro vollkommen durchzudrehen. Betrunken von der Macht, die er sich erschlichen hatte, räumte er nun alles und jeden aus dem Weg, was ihm nicht passte. Die vorbeigehenden Bürger warfen nur kurz und schüchtern einige Blicke auf die stinkenden Köpfe und liefen dann schnell weiter. Aus Angst selbst so zu enden versuchten sie, wie an einem normalen Tag ihren Beschäftigungen nachzukommen. Doch Draven hatte nichts zu tun und liess sich sicherlich nicht von ein paar Köpfen einschüchtern. Er verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete die blutigen Köpfe seiner Bekannten weiter. Zur selben Zeit wurde auch Rouven auf das tote, stinkende Geschenk des Königs an seine Bevölkerung aufmerksam. Er kam gerade aus einem Gasthaus, in dem er die Nacht verbracht hatte, er war immer noch ein wenig angetrunken, wie es sich nun mal gehörte nach einem anständigen, ausgelassenen Abend. Er erkannte die vollkommen schwarz gekleidete Gestalt, die auf dem weissen Hintergrund kaum zu übersehen war, und stellte sich neben seinen Verbündeten vor die aufgespiessten Köpfe. «Da hat er sich wohl einer grossen Last entledigt was?», meinte Rouven und musterte die zornigen Gesichtszüge Dravens, der bloss nickte. Rouven seufzte abschätzend. «Was soll denn dieser ständige Pessimismus und diese schwarzen Klamotten?» Rouven gönnte sich den letzten Schluck Wein aus dem Becher, den er noch von letzter Nacht gefunden hatte, und schaute Draven an, der sich nicht regte. «Jetzt Mal ehrlich, Junge! Hast du denn die Freude am Leben verloren? Scheint als wärst du ein wenig depressiv.» Draven antwortete nicht. Rouven war sichtlich betrunken und Draven versuchte schwer, die Fassung zu behalten. Solch ein Säufer sollte ein besserer Kämpfer, Liebhaber und auch noch Priester des Wassers sein? Draven verschränkte die Arme demonstrativ vor der Brust «Tut nichts! Wein würde dir helfen, mein schmollender Freund», lachte Rouven. «Aber meiner ist leider schon leer, musst dir wohl selber etwas kaufen gehen, was?», bemerkte Rouven und liess die letzten Tropfen Wein aus seinem Becher in den Schnee fallen. Auf dem weissen Boden, wirkten die Tropfen wie Blut, was Rouven unglaublich faszinierte. Eine Weile lang betrachtete er die Tropfen im weissen Pulverschnee. Bis ein Mann darüber stampfte und das ganze Kunstwerk zerstörte. Rouven schimpfte ihm lallend hinterher. Draven rührte sich weiterhin nicht, auch wenn er Rouven liebend gern eine Faust ins Gesicht geschlagen hätte. Die Eifersucht, die er diesem elenden Säufer gegenüber verspürte, reizte seine Wut noch stärker an. Er konnte es nicht ausstehen, wie ähnlich sie sich waren, aber Rouven dennoch eine komplett andere Lebensphilosophie hatte. «Weisst du was, Junge? Ich besorg dir eine Flasche Wein und die trinken wir heute gemeinsam. Wir trinken alle gemeinsam auf unsere neue Königin, Destina!» Draven warf Rouven einen vorwurfsvollen Blick zu und schaute, ob jemand gehört hatte, was der Säufer gerufen hatte. Doch die Leute gingen ohne den Kopf zu heben weiter ihrer Tätigkeit nach. «Na dann! Ich kaufe die beste Flasche Wein, die ich kriegen kann! Und du musst mir dann erzählen, was unser König für eine Ansprache gehalten hat, neben seinen wunderschönen Köpfchen.» «Nun geh schon und kauf deinen blöden Wein!», meinte Draven genervt und verdrehte die Augen. Rouven nickte lachend und schwankte davon. Es war unausstehlich, wie Rouven einfach nichts zu kümmern schien. Draven war sich sicher, dass er sich nie anfreunden würde mit diesem arroganten, betrunkenen Narzissten.
«Scheisse Jack, schau dir das an!», rief Midori und begann zu rennen. Jack konnte es nun auch schon sehen. Schnell lief er Midori nach. «Ich fasse es nicht!», meinte Midori leise, als sie vor den abgetrennten Köpfen stehen blieb. Jack stellte sich neben sie. «Das sind unsere Freunde Jack!» schrie sie fassungslos. «Was hat dieses Arschloch ihnen angetan!» «Midori beruhige dich! Wir wollen nicht riskieren, gefangen genommen zu werden.» «Büssen wird er für jedes einzelne, unschuldige Leben, das er bis jetzt genommen hat!» «Ja das wird er, glaub mir Midori. Wir werden eigenhändig dafür sorgen.» Langsam trat Draven zu seinen ehemaligen Freunden dazu. «Wie lange lassen wir diesen Durchgeknallten noch tun, was er will? Er versetzt die ganze Stadt in Angst und Schrecken, so wird es nie genügend Leute geben für eine erfolgreiche Revolution», bemerkte Draven gereizt. Jack seufzte: «Das stimmt, Draven. Doch das ist nicht mehr meine Aufgabe, denn ich bin nicht Anführer dieser Rebellion. Wir müssen auf die königliche Witwe vertrauen. Ich bin mir aber sicher, dass die Wut gegen diesen Tyrannen gross genug ist in dieser Stadt, um Kämpfer für unseren Zweck zu finden. Wir müssen die Information nur verbreiten. Doch Rouven meinte, wir sollen auf Befehle von ganz Oben warten, also tun wir das.» Draven machte ein abschätzendes Geräusch. «Langsam glaube ich, dass dieser Rouven uns alle nur angelogen hat und es diese königliche Witwe überhaupt nicht gibt. Ihr hättet ihn vorhin sehen sollen. Er war völlig betrunken, als ob der irgendwelche glaubhafte Informationen hätte. Der verarscht uns doch nur alle. Er hat die Köpfe gar nicht beachtet und jetzt ist er auf dem Weg, um sich noch mehr Wein zu kaufen. Der hat doch nichts anderes im Kopf als Alkohol und Weiber!», rief Draven wütend aus und kickte den roten Weinfleck im Schnee fort. «Wir werden es sehen», meinte Jack mit einem Lächeln, «Habe nur ein wenig mehr Vertrauen.» «Sieh doch nur! Das wird wohl die königliche Familie sein, die da den Hügel hinunter schreitet», bemerkte Midori aufmerksam und griff nach einem ihren Gift Fläschchen, doch Jack hielt sie zurück. «Habe Geduld, die Befehle werden bald kommen.»
Draven fluchte leise, als er die heraneilende Hazel bemerkte. Er lief ihr entgegen. «Hazel ich bitte dich, drehe um, du sollst das nicht sehen müssen», versuchte Draven sie aufzuhalten, doch sie drängte sich stur an ihm vorbei und betrachtete die blutigen Köpfe aus der Nähe. Es widerte sie an. Der Anblick, der Gestank, die ängstlichen Blicke der Leute, das selbstzufriedene Lächeln des Königs. Doch sie blieb stark, griff dennoch nach Dravens Hand und drückte sie fest. Nach und nach sammelten sich immer mehr Leute um die Köpfe, neugierig, was der König, der gemächlich hinab schritt, wohl zu sagen hat. Frauen und Männer drängten sich nach vorne, aber die neue Rebellion bildete eine starke erste Linie, die sich keinen Millimeter bewegte. Es dauerte nicht lange und die königliche Familie, oder zumindest, das, was noch von ihr übrig war, stand zwischen den Köpfen am Marktplatz. Alvaro, stets mit einem Lächeln auf den Lippen, trat hervor, natürlich immer in Begleitung von zwei silbernen Rittern. In seinem Rücken stand Finn, der mit einer düsteren Miene in die Menge blickte. Auf seiner schwarzen Rüstung verblasste Tag für Tag das blaue Wappen seines Vaters. Sein blondes Haar war zerzaust von dem kalten Wind und seine Augen wirkten müde. Und doch strahlten sie noch ein Fünkchen Hoffnung aus. Hoffnung und Vertrauen in Destina und ihren eisernen Willen. Der Schnee, der leicht vom Himmel fiel, legte sich auf seinen schwarzen Mantel und liess ihn frieren. Seine Haut und sein Haar wirkten blass im Kontrast zu seiner schwarzen Kleidung und dem grellen Hintergrund des dichten Schnees. Nah neben ihm stand eine trotz der Kälte wunderschön aussehende Destina. Sie trug ein dickes,
wärmendes, dunkelgraues Kleid, das mit Fell gefüttert war. Es war sehr hochgeschlossen und zusätzlich hatte sie die Kapuze ihres zum Kleid passenden Mantels hochgezogen und ihre Hände in Handschuhen versteckt. Nur wenige Locken ihres blonden Haares flatterten im Wind. Ihre blasse Haut schien beinahe eins zu werden mit dem Ton des Schnees. Ihre blauen Augen strahlten aber weitaus mehr als jedes Kleid, das sie bis zu diesem Zeitpunkt jemals getragen hatte. Die blauen Augen erzählten Geschichten von Rache und Gerechtigkeit. Und als Jack und die anderen diesen Ausdruck und diese Stärke des Willens in ihren Augen funkeln sahen, waren sie sich alle sicher, dass diese Frau sie zum Sieg führen würde. Sie war die Richtige, um auf diesen Thron zu steigen und der Stadt Frieden zu bringen. Ein wenig hinter Destina stand, beinahe unbemerkt, ein Mädchen mit lila Haar. Jack staunte nicht schlecht, als er dieses längst vergessene und für tot gehaltene Gesicht in der Ferne stehen sah. Liv wirkte kraftlos und gedankenverloren. Neben der aufblühenden Destina ging sie vollkommen verloren. Dicke Augenringe zeugten von unerträglichen, schlaflosen Nächten. Auch sie war in ein wundervolles Kleid gehüllt, doch es war nicht sie. Ihr Kleid war dunkelgrün, voluminös und mit edelsten Stickereien verziert. Der Fellmantel hielt sie warm und doch sie verschwand in all dem falschen Prunk. Jacks Miene verschlechterte sich. Was hatte Ryan dem armen Mädchen bloss angetan. Was sie jetzt durchlebte, musste schlimmer sein als der Tod. Ryan hatte sie völlig schutzlos diesem Tyrannen ausgeliefert. Sie wirkte so verloren. Es zerriss Jacks Herz, dass er nicht zu ihr hingehen und sie in den Arm nehmen konnte. Er fühlte sich so machtlos wie noch nie.
«Guten Morgen, Herrschaften. Es freut mich, dass so viele erschienen sind, obwohl es doch noch so früh ist. Ich verspreche euch auch, dass ich mich kurzfassen werde, damit ihr schnell wieder nach Hause könnt, um euch aufzuwärmen. Wie ihr sicherlich alle schon bemerkt habt, musste ich leider wieder einige Männer bestrafen. Diese fünfzehn Männer nämlich sind schuld daran, dass mein Sohn, mein einziger und geliebter Sohn, nicht mehr unter uns ist. Mord! Ich habe diesen Männern grosszügig ein Bett in meiner Burg gegeben und als Dank haben sie mir mein Fleisch und Blut genommen. Das ist die gerechte Strafe für Mord an der königlichen Familie! Dass ihr das nie vergesst, bleiben diese verräterischen Köpfe hier bis sie verdorben sind und von den Pfählen fallen." Alvaro hielt kurz inne. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen als er die ängstliche Stille der Stadt vernahm. „Und ich wollte diese Gelegenheit nutzen, um dem Volk einige weitere Informationen zu geben. Denn, wie ihr sicherlich alle mitbekommen habt, gibt es die Priester und ihre Tempel nicht mehr. Es gibt die Religion nicht mehr, denn ich bin alle Elemente in Einem. Ich bin allmächtig! Ich bin euer oberstes Gebot! Und wer sich nicht an dieses Gebot hält, endet wie diese Herrschaften auf den Stöcken. Und dies gilt auch für diese neue, lächerliche Bewegung, die es unter euch zu geben scheint. Nennen tun sie sich die Schwalbe der Revolution. Und diesem Vögelchen möchte ich gerne etwas mitteilen: Komm doch nur und versuch es! Ha!»

Die Reise des DrachenmädchensWhere stories live. Discover now