45. Eine Schneeflocke der Revolution

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Der Schnee hatte sich über Nacht wie eine dünne, weisse Decke leise über die ganze Stadt gelegt. Alle Dächer, Bäume und Strassen waren von dieser feinen Schicht Ruhe und Frieden überzogen worden. Finn hatte immer im Schnee gespielt, als er noch ein kleiner Junge war. Und so freute er sich noch heute jedes Mal, wenn es wieder Winter wurde und er die angenehme Kälte der weissen Flocken auf seiner Haut spüren konnte. Deshalb war er einer der Ersten, die an diesem Morgen im Garten der Burg einen kleinen Spaziergang machten. Er genoss die Ruhe und versuchte sich nicht allzu viele Gedanken zu machen. Schliesslich ging diese Welt gerade den Bach hinab und Finn spielte keine gerade unwichtige Rolle dabei. Doch er genoss diese kleinen Momente, in denen er alle Verantwortungen für einen kurzen Augenblick von sich ablegen konnte. Leider dauerte es nicht lange, bis er sofort wieder an diese Aufgaben erinnert wurde. Destina kam auf ihn zu. Ihre Füsse gingen vorsichtig durch den Schnee und ein grosser, weisser Mantel verwischte ihre Spuren sanft. «Finn, wusste ich doch, dass ich dich hier finden würde», sprach sie mit einem kleinen, leicht aufgezwungen wirkenden Lächeln auf ihrem wunderschönen Mund. Finn freute sich dennoch sie lachen zu sehen. Sie hatte bereits einige Tage zuvor das erste Mal wieder ein Lächeln über die Lippen gebracht und seitdem schien es ihr immer wie leichter zu fallen. Alles, was es gebraucht hatte, um ihr das Lachen zurückzubringen, war eine Magd, die gestolpert und hingefallen war und Finn, der, als er ihr aufhelfen wollte, selbst auf dem nassen Boden ausgerutscht und gefallen war. Finn kümmerte sich nicht um die Peinlichkeit dieser Angelegenheit, denn es tat so gut, Destina endlich wieder lachen zu sehen. Sie hackte sich bei Finn ein und gemeinsam schritten sie durch den kalten Schnee. «Ich erinnere mich, dass du jedes Jahr beim ersten Schnee, einen Spaziergang gemacht hast. Ich habe dich nie verstanden. Schliesslich ist der Schnee doch nur kalt und nass», erzählte Destina, ihre Augen blickten ins Nichts, als sie sich an die alten Tage erinnerte. Finn lachte. «Richtig, das ist das erste Mal, dass du mich bei meinem Schnee-Spaziergang begleitest.» Destina nickte. «Ich bin hier, weil ich dir danken möchte.» Finn blieb stehen und wollte sich wehren, doch Destina ergriff schnell seine Hand und blickte ihm tief in die Augen. «Weder hat dich jemand dazu verpflichtet, noch bist du mir in irgendeiner Weise etwas schuldig. Du hast einfach ein gutes Herz, das mich nie aufgegeben oder im Stich gelassen hat. Dein Vater wäre wirklich stolz auf dich, das weisst du bestimmt. Aber ich will dir nur sagen, dass, wenn du nicht da gewesen wärst, um mich aufzufangen und mich wieder auf die Beine zu stellen, ich jetzt nicht hier bei dir wäre. Ich wäre bei Lance", Destina musste kurz Inne halten, um gegen die Tränen zu kämpfen. Schon nur seinen Namen auszusprechen, schien die langsam heilende Wunde wieder aufzureissen. „Doch du hast mir gezeigt, dass ich leben soll und dass ich meinem Leben selbst einen Sinn geben muss, damit es sich zu leben lohnt. Und ich habe lange darüber gerätselt und bin schliesslich auf einen Entschluss gekommen. Finn, ich werde diesem Arschloch, das auf unserem Thron sitzt, den Kampf ansagen und ich werde diesen Kampf gewinnen. Er hat mir alles genommen, was ich liebte. Nun werde ich ihm seinen geliebten Thron und Titel nehmen. Lance ist nicht umsonst gestorben, das werde ich nicht zulassen. Ich werde mein Leben geben, um Alvaro wegzunehmen, was ihm nicht zusteht, egal wie lange und schwer dieser Kampf sein wird, ich werde ihn nicht aufgeben. Alles, was ich will, ist dein Segen. Finn, hilfst du mir?», Destinas Augen strahlten vor Hoffnung, Zuversicht und eiserner Entschlossenheit zur Rache. Sie wollte Lances Traum weiterführen. Finn nickte und küsste ihre Hand. Er selbst hatte nie den Mut gehabt, sich gegen Alvaro zu verschwören, doch er würde nur zu gern Destina bei all ihren Bemühungen unterstützen, wo er nur konnte. Er hatte immer gewusst, dass in Destina mehr steckte, als nur ein dummes aber hübsches Mädchen. Sie war eine Kämpferin, die nun endlich einen Grund hatte, sich in die Schlacht zu stürzen. «Ich werde dich immer unterstützen.» Destina lächelte erleichtert und umarmte Finn dankend. Ein tiefes Räuspern, riss die Beiden auf ihrem Gespräch. «Ich will euch Beide ja bei nichts stören, aber Finn, wir haben ein verdammt grosses Problem.» Finn drehte sich um und erblickte Rouven, der trotz der scheinbar schlechten Nachrichten mit einem spitzbübischen Lachen im Schnee stand. Destinas Gesicht verdunkelte sich und sie wich erschrocken einige Schritte zurück. Rouven beachtete sie nicht. «Rouven! Verdammt noch mal, was tust du hier?», erkundigte sich Finn und wollte seinen Freund aus dem Garten drängen, denn überall könnten Ritter sein. «Ich will dir erzählen, was dein lieber König angestellt hat in unserer Stadt und was er noch vorhat, zu tun.» «Nun sprich nicht so in Rätseln Rouven, sag es mir einfach, bevor du noch entdeckt wirst.» «Naja Alvaro ist daran alle Leute in dieser Stadt ermorden zu lassen, die seiner Meinung nach zu viel Macht besitzen, von dieser Armee aus abtrünnigen Rebellen, die zu nichts taugen. Vor einigen Tagen wurde ein Anschlag auf mich verübt und gleichzeitig auch auf alle anderen Priester. Er will uns tot sehen, Finn. Glücklicherweise können diese Rebellen nicht kämpfen. Aber die Priesterin der Erde und der Priester Luft wurden getötet, die Priesterin des Feuers lebt noch und ist unversehrt an einem sichern Ort versteckt. Und willst du noch etwas Interessantes wissen? Alvaros Sohn war ebenfalls an den Anschlägen beteiligt, ist aber nie auf die Burg zurückgekehrt. Die Priesterin des Feuers behauptet, er könne kaum noch am Leben sein, so schwer wie sie den Jungen verwundet habe. Die abtrünnigen Rebellen sind nun auf der Suche nach Aurion und den anderen Rebellen, die mit ihm unterwegs waren, da dabei ist auch der Anführer dieser Rebellen, Ryan ist sein Name. Hast du schon von ihm gehört? Nein? Dann weisst du ja echt von Nichts, was in der Stadt abläuft, Finn. Ich weiss nicht, wo sie sich verstecken, aber ich weiss, dass sie eine Riesenangst davor haben müssen, gefunden zu werden. Denn Alvaro ist nicht zimperlich, wenn es um das Wohlergehen seines kleinen Jungen geht. Verstehst du Finn?» Finn war ein wenig perplex von all diesen Informationen, die Rouven auf ihn niederprasseln liess. «Finn du musst etwas unternehmen, dieser König wird mächtiger und gefährlicher, als er sein dürfte.» «Ich werde dieses Arschloch schon bald von seinem unrechtmässigen Thron werfen, das kann ich dir versprechen», mischte sich Destina entschlossen ein. «Na dann tu das, aber wir hätten Alvaro gar nicht erst so weit gehen lassen dürfen. Er muss irgendwo endlich auf Widerstand treffen.» Destina nickte eisern. «Oh, ich werde ihm sein Leben zur Hölle machen, das glaub mir. Aber eine Frau gegen einen König, der eine Armee und die halbe Stadt hinter sich stehen hat, ist kein fairer Kampf», erklärte Destina mit Wut in den blauen Augen. «Das lass nur meine Sorge sein, ich besorge dir die richtigen Verbündeten, mit denen man einen solchen Mann vom Thron stürzen kann», versicherte Rouven ihr mit einem Lächeln. Er hielt Destina die Hand hin. «Du führst unseren Aufstand an, ich kann mir niemanden vorstellen, der geeigneter wäre für diese Aufgabe. Meine Hilfe ist dir sicher.» Destina nickte und schlug ein. So schnell hatte sie nicht mit der Möglichkeit gerechnet, gegen Alvaro vorzugehen, doch solch eine perfekte Gelegenheit würde sich ihr nicht ein zweites Mal bieten. Sie war fest entschlossen endlich etwas gegen die Tyrannei des Königs zu unternehmen. Bevor der Verrückte noch mehr Unschuldige ermorden liess. Finn stand ein wenig ratlos und tatenlos neben den Beiden, die sich ausgezeichnet zu verstehen schienen. «Na dann, Finn, ich hoffe ich kann auch auf deine Hilfe zählen», meinte Rouven und blickte seinen Freund an. «Natürlich, ich helfe wo ich kann», stotterte Finn perplex, überrumpelt von Destinas Stärke und Rouvens Tatendrang. Schliesslich nickte Rouven und verabschiedete sich von den Beiden und kletterte über die Mauern des Gartens hinweg und verschwand.
Rouven hatte noch viel vor an diesem verschneiten Tag. Denn da er nun wusste, wer die Revolte gegen den König führen würde, musste er Leute finden, die der königlichen Witwe folgen würden. Denn drei Personen waren für einen Aufstand nun doch zu wenig. Rouven war die Tage zuvor auf den Strassen und in den Gasthäusern gewesen und er hatte schon viele Ideen. Aber als erstes wollte er eine Person besuchen, die sich auskannte mit Rebellieren und die er sicher auf seiner Seite wissen musste. Er erinnerte sich noch an das Gasthaus zu dem er den Beiden gestern Abend gefolgt war. Sie hatten für ziemlichen Tumult in einem beliebten Gasthaus gesorgt. Rouven betrat kurz nach dem Besuch auf der Burg das warme Gasthaus und blickte sich um. Keine einzige Person war zu finden. Nach einigen Minuten kam eine Kellnerin aus einem Hinterzimmer. «Kann ich Euch etwas bringen?», erkundigte sie sich höflich. «Bring mir die Rebellen», gab Rouven zur Antwort und legte seine Hand drohend auf den Knauf seines Schwertes. Hazel liess den Krug Wasser, den sie in den Händen trug, vor Schreck auf den Boden fallen, als Rouven die Rebellen erwähnte. Jack hatte ihr immer gesagt niemandem zu erzählen, dass sie sich hier versteckt hielten. «Ich weiss nicht wovon Ihr sprecht», stotterte Hazel und versuchte das Wasser am Boden aufzuwischen, doch die Angst liess sie zittern. Sie behielt Rouvens Hand, die immer noch auf dem Knauf des Schwertes ruhte, mit pochendem Herzen im Blick. Er könnte ein Spion oder noch schlimmer ein Auftragsmörder des Königs sein. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. «Ich habe gesehen, wie sie gestern dieses Gasthaus betreten haben, ich weiss genau, dass dieser Jack und seine Freunde sich hier verstecken», erklärte Rouven drohend und kam Hazel immer näher, die einige Schritte zurück stolperte. «Ich kenne keinen Jack», antwortete Hazel und hielt sich am nassen Lappen in ihren Händen fest. «Das glaube ich dir aber nicht!» Hazel prallte mit dem Rücken gegen eine Wand. Rouven blickte sich gelassen um, wissend, dass Jack sich irgendwo versteckt hielt. Doch er wollte nicht leichtsinnig sein, denn schliesslich kannte Jack ihn nicht und konnte deshalb feindselig auf den Besuch reagieren. «Du brauchst mir nur zu verraten, in welchem Zimmer er schläft», erklärte Rouven und lächelte Hazel an, die jedoch vor Angst zitterte. «Geh weg von ihr, du Arschloch!», schrie Draven, der aus einem Hinterzimmer hervortrat und sofort kampfbereit auf Rouven losstürmte. Rouven wich Dravens Fäusten überrascht aus. «Ich will nur zu deinem Freund Jack, von dir will ich nichts!», sprach Rouven während er zum Schlag ausholte. «Jack ist nicht mein Freund!», brüllte Draven zurück und wich Rouvens Hieb geschickt aus. Auf einmal während des Kämpfens erinnerte sich Draven urplötzlich an die Nacht, in der er gegen diesen Riesen im Gasthaus gekämpft hatte. Er erinnerte sich daran, was der Türsteher ihm berichtet hatte. Ein Typ mit langen, blonden Haaren und blauen Augen hatte er beschrieben. Draven musterte seinen Gegner. Er könnte auf die Beschreibung des Türstehers passen, selbst seine Kampftechnik war sehr ausgeklügelt und Draven musste sich bemühen standzuhalten. «Lasst doch dieses ewige Kämpfen!», schrie Jacks Stimme die Treppen hinunter. «Du bist wegen mir hier und nicht um Draven zu verprügeln, vergiss das nicht», meinte Jack zu Rouven, der langsam seine Fäuste sinken liess, aber stets noch ein Auge auf Draven hatte. Doch sobald Jack sich Rouven gegenüberstellte, war Draven verschwunden, um sich um die eingeschüchterte Hazel zu kümmern. «Wärst du hier, um mich zu töten, wäre ich bereits seit der gestrigen Nacht tot, also setzen wir uns und du erklärst mir, was du willst», schlug Jack müde vor und setzte sich an einen Tisch. Mittlerweile war auch Midori die Treppen hinuntergekommen und wunderte sich über den unerwarteten Besuch. «Sind das all deine Männer? 3 Leute?», erkundigte sich Rouven. Jack blickte sich um. «Naja, wir sind noch zu zweit. Draven wollte heute wieder gehen», erklärte Jack bitter. Rouven war verwundert, er hatte mit mindestens 10 Mann gerechnet. Wie wollten sie sich gegen eine ganze Armee erheben mit bloss 5 Leuten insgesamt? Es wäre lächerlich. Aber dennoch war es notwendig. Irgendwo musste man ja schliesslich anfangen. Und Rouven liess sich den Mordversuch nicht einfach so gefallen. Normalerweise interessierten ihn die Machenschaften der Stadt nicht. Doch jetzt war es persönlich geworden. «Wir haben denselben Feind, Jack. Und nun haben wir auch eine Anführerin, die uns im Aufstand gegen Alvaro führen wird. Wir müssen uns vereinen und gemeinsam kämpfen. Die Möglichkeit ist gekommen und wenn wir sie jetzt nicht ergreifen, dann wird es zu spät sein!» Jack blieb still. Wieder rebellieren? Er wusste nicht recht. Aber eigentlich war ihm bewusst, dass es das einzig Richtige war, denn gestern hatte es sich so gut angefühlt, endlich wieder etwas Unruhe zu stiften und die Leute wach zu rütteln. «Erzähl weiter», forderte Jack interessiert. «Ich finde, dieser Alvaro gehört nicht auf den Thron und selbst Mitglieder des Königshauses sind derselben Meinung. Also habe ich mich auf den Weg gemacht, um Leute aufzutreiben, die uns unterstützen würden. Ich habe natürlich sofort an den Anführer der grossen Rebellion gedacht.» Rouven lächelte, denn von der einst grossen Rebellion waren jetzt nur noch zwei Freunde übrig. Eine unausgesprochene Bedrücktheit legte sich über die kleine Runde. «Und wer bist du denn überhaupt?», erkundigte sich Jack neugierig. Rouven beobachtete gelassen, wie auch Draven mit immer noch geballten Fäusten sich dazu gesellte. «Mein Name ist Rouven, Priester des Wassers und ich bin im Auftrag der rechtmässigen Königin Destina unterwegs, Witwe des ehemaligen Königs Leonardo, den ihr aus der Gesellschaft der Lebenden gerissen habt. Eine Frau, deren wahre Liebe kaltblütig erhängt wurde vom neuen, unrechtmässigen König Alvaro. Sie hat sich dazu entschlossen Gerechtigkeit und Rache walten zu lassen, um den Thron an sich zu reissen, sodass endlich wieder eine gerechte Königin über diese Ländereien herrscht. Vor einigen Tagen fand ein Anschlag auf die Priester der Elemente statt, ausgeführt von deinen ehemaligen Freunden, Jack. Die Männer und Frauen, die nun dem König in den Arsch kriechen und seine Drecksarbeit erledigen. Wie ihr seht, habe ich diesen Anschlag überlebt, die Attentäter jedoch nicht. Doch die Priester der Erde und der Luft konnten sich nicht wehren und sind ermordet worden. Die Priesterin des Feuers befindet sich unversehrt in einem Versteck. Aber das tatsächlich interessante ist, dass der Sohn des Königs bei den Anschlägen verletzt wurde...» Rouven erzählte Jack, die ganze Geschichte, die er bereits Finn und Destina erklärt hatte. Jack, Midori und Draven hörten aufmerksam zu. Ihr Rebellionssinn wurde langsam wieder aus dem Tiefschlaf gerüttelt. Es roch nach grossem Aufstand und dem Kämpfen für Gerechtigkeit. Sie wollte nicht weiter tatenlos dabei zusehen, wie Alavaro auf dem Marktplatz Unschuldige erhing. Keine Toten mehr. Jacks einziger Wunsch. All das Sterben musste aufhören. «Destina führt uns in einer Revolution, um Alvaro von seinem Thron zu stürzen.» Jack nickte und warf einen Blick zu Midori und Draven. «Wir sind dabei», antwortete er ohne weitere Bedenkzeit. Jack wusste, dass es keine andere logische Antwort geben könnte als ein Ja. Dieser Stadt musste mit allen nur möglichen Mitteln geholfen werden. Das war alles, was Jack seit Beginn der Rebellion wollte. Rouven war ein wenig überrascht, dass Jack bereits so schnell eine Entscheidung getroffen hatte. Doch er war einverstanden und froh, dass er nicht noch mehr Überzeugungsarbeit leisten musste. «Na dann, ich informiere euch, sobald ich mehr weiss», meinte Rouven und hielt Jack die Hand hin. Er schlug ein und freute sich, endlich wieder Teil von etwas Grossem und Bewegendem zu sein. Gemeinsam könnten sie wieder Veränderung in die Stadt bringen.

Die Reise des DrachenmädchensWhere stories live. Discover now