46. Überleben und Leben

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«Diese Destina, die scheint mir eine ziemlich gute Anführerin für die neue Rebellion zu sein», bemerkte Draven zynisch zu Jack, der sich trotz dieses Kommentars nicht die Laune verderben liess. Endlich würde sich etwas verändern und Jack hatte die Ehre, nach all seinen Misserfolgen, trotzdem ein Teil dieser grossen Sache zu sein. Draven wandte seine Augen abschätzend von Jack weg und beschloss, dass es Zeit war für ihn zu gehen. Er verabschiedete sich von Hazel, die sehr bedrückt war, dass Draven sie bereits nach einer Nacht wieder verliess. «Versprichst du mir, dass du dich erkundigst, wohin dieser Schlüssel wohl gehören mag und welches Schloss er aufschliessen könnte», erinnerte Hazel Draven, als sie den zierlichen Schlüssel, den sie stets an einem alten Lederbändchen um den Hals trug, in Dravens raue Hände legte. «Sobald ich etwas mehr weiss, sage ich dir Bescheid», versicherte Draven ihr. «Verlier ihn ja nicht!», rief Hazel ihm hinterher, als er durch die Holztür in den Schnee trat. Er betrachtete das silberne Schlüsselchen in seinen kalten Händen. Hazel hatte den Schlüssel kurz nach ihrer Geburt von ihrer Mutter erhalten, die, als Hazel noch ein Kleinkind war, verstorben war. Ihren Vater hatte sie nie gekannt. Doch Hazels Schlüssel hatte für Draven keine Priorität, er fand die Informationen, die dieser Priester ihnen gegeben hatte um einiges interessanter. Den Fakt, dass dieser Rouven der Kämpfer war, von dem der Türsteher berichtet hatte und dass Draven einen Kampf gegen ihn eventuell nicht gewinnen könnte, verdrängte er noch. Und momentan gab es ja keinen Grund für einen erneuten Kampf, da die Beiden nun ja für dieselbe Sache kämpften. Doch der Spur, der er jetzt nachgehen wollte, war der Tipp, dass als der Königssohn nicht mehr auf die Burg zurückkehrte auch Ryan nicht mehr wiederkam. Auch wenn Draven Ryan kaum kannte, hatte er ein Gefühl, dass er noch in der Stadt sein musste, egal wie gefährlich die Situation für ihn war. Denn Draven war sich sicher, dass Ryan Gefühle hatte für das Menschenmädchen, sonst hätte er nicht mit ihr geschlafen, wie die anderen Rebellen erzählt hatten. Also würde Ryan sie nicht einfach so im Stich lassen auf Alvaros Burg. Auch wenn Aurion vielleicht sogar noch am Leben war, würden sie ihn kaum aus der Stadt bringen. Sie mussten sich irgendwo verstecken und Draven würde noch herausfinden wo.
Ryan kam gerade vom Markt aus der Stadt zurück in das Gasthaus, in dem sie sich versteckt hielten. Geduckt und mit der Kapuze tief im Gesicht hastete er durch die schneebedeckten Strassen. In seinen Händen hielt er fest und sicher einige Fläschchen gefüllt mit irgendwelchen Medikamenten, die er für die Dame, die Aurion behandelte, besorgen musste. Aurion befand sich immer noch in einem kritischen Zustand, seine komplette Haut war verbrannt und falls er überleben würde, wäre er für den Rest seines Lebens entstellt. Die Medizinfläschchen klirrten zwischen Ryans zitternden Fingern, jedes Mal als er eine hektische Bewegung tat. Doch all die Anspannung fiel von ihm ab als er endlich in das gewärmte Gasthaus trat und der Dame die Medikamente überreichen konnte. «Gut, bist du endlich da, sein Zustand hat sich verschlimmert», sprach sie und griff schnell nach den Fläschchen und hastete die Treppen hinauf, um sich um den Prinzen zu kümmern. Ryan könnte nicht dankbarer für ihre grosszügige Hilfe sein und das sogar, ohne Fragen zu stellen. Er würde ewig in ihrer Schuld stehen. Eilig lief er der Dame hinterher, um ihr zur Hand zu gehen. Sie hatte Aurion bereits eines der Fläschchen zum Trinken gegeben, doch es schien nicht zu helfen. Der kleine Raum war voller abtrünniger Rebellen, die nicht wussten, was zu tun war. Sie hatten ihren ehemaligen Anführer wegen einer Laune verraten und sich diesem Tyrannen angeschlossen, bloss wegen Ruhm und Reichtum und nun hatten sie die Wut dieses Monsters auf sich selbst gezogen. Sie waren heimatlos und auf der Flucht. Männer mit einer ungewissen Zukunft. Ryan blickte in ihre Augen, die einen traurig, die anderen wütend. Doch alle gemeinsam waren sie ratlos. Und Ryan selbst ging es kein bisschen anders. Er hatte nun alles endgültig verloren, für was er mit seinen letzten Kräften noch gekämpft hatte. Er stand nicht mehr unter dem Schutz des Königs und konnte nicht mehr in Livs Nähe sein. Aber er wusste, dass dies nicht das Ende war, obwohl es stark danach aussah. Denn Ryan hatte die Hoffnung und den Mut noch nicht aufgegeben und er würde sich nicht durch so blöde Unglücke zu Boden bringen lassen. Er beobachtete die Dame wie sie sich mit geschickten Handgriffen um den schwer atmenden Aurion kümmerte. Seine Verletzungen sahen schlimm aus und sie heilten kaum. «Jetzt hört auf so dumm rumzustehen, geht mir zur Hand oder verschwindet!», rief die Dame mit Schweiss auf der Stirn in den Raum hinein. Viele seufzten und schleppten ihre müden Körper aus dem Zimmer. «Wie können wir helfen?», erkundigte sich Ryan und stellte sich neben die Dame und liess seinen Blick auf die Verbrennungen senken. Zwei, drei andere hilfsbereite Männer sammelten sich um den Tisch und blickten der Dame fragend in die Augen. «Reibt ihm das auf die Wunden», sprach sie ruhig und drückte Ryan ein Fläschchen in die Hände. Ryan gab sein Bestes, um Aurion zu helfen. Obwohl er nicht wusste, ob man dem Prinzen tatsächlich einen Gefallen tat, ihn am Leben zu halten. Die Verletzungen waren so schlimm, sie würden nie komplett verheilen. Wer weiss, was für ein Leben der einst so schöne und charmante Thronerbe nach diesem heftigen Zusammenstoss mit der Priesterin des Feuers haben würde. Aber Ryan war der festen Überzeugung, dass Leben stets besser war als Tod und verteilte die dickflüssige Creme weiter auf dem heissen, verbrannten Fleisch.
Auch Rouven war in der Stadt unterwegs. Nun, da er Jack und die paar Leute, die ihm noch geblieben waren, auf Destinas Seite wusste, konnte er sich nach der Priesterin des Feuers erkundigen. Er hatte ihr angeboten sich in seinem Haus zu verstecken, bis es wieder sicher war für einen Priester auf die Strassen zu gehen. Für Rouven selbst galten diese Regeln natürlich nicht, denn dafür war er zu selbstsicher und ungeduldig. Er konnte nicht Zuhause sitzen und nur abwarten, er wollte sich selbst ein Bild von der Stadt machen nach den Anschlägen. Er musste wissen, wie es um seinen Tempel stand. Er hatte aber keine grossen Erwartungen. Alvaro würde nicht nur die Priester beseitigen. Bereits auf dem Weg zum Marktplatz kamen ihm einige dieser abtrünnigen Rebellen entgegen, die unter dem Wappen des neuen Königs durch die Strassen zogen. Ihre Zahl hatte sich jedoch bereits deutlich geschmälert. Wer sich mit den Mächtigen der Stadt anlegte, kam nicht immer ungeschoren davon. Unwissend liefen sie an Rouven vorbei und erkannten ihn nicht, denn er trug eine Kapuze über dem Kopf, um sich wenigsten ein wenig zu schützen. Nur wenige Augenblicke später betrat Rouven bereits seinen Tempel. Oder zumindest das, was noch von ihm noch übrig war. Alles stand in Trümmern. Die steinernen Wände, Pfeiler und Brunnen waren alle zerschmettert worden. Rouven musste lachen. Wie oft hatte er davon geträumt, all diesen Prunk zu zerstören und das Leben als Preister aufzugeben. Nun war genau das eingetreten. Er könnte endlich ein neues Leben anfangen, wovon er schon lange geträumt hatte. Niemand würde ihn davon abhalten und als Priester schein er eh nicht mehr willkommen zu sein in dieser Stadt. Er schüttelte lachend den Kopf. Was wollte er denn mit einem neuen Leben? Zuhause sitzen und Gemüse anbauen? Rouven gehörte dorthin, wo es Probleme und Konflikte gab, um diese zu bekämpfen. Er gehörte in schmutzige Strassen, ins nasse Gras eines Schlachtfeldes, zwischen Männer voller Schweiss und Blut, die bereit waren bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Ein Schwert gehörte in seine Hand und in die andere ein Becher Wein. Und sein Schwanz gehörte den Frauen. Nirgendwo anders fühlte er sich mehr Zuhause. Er würde sein jetziges Leben nie eintauschen, egal für welchen Preis. Schwungvoll kickte er einen kleinen Trümmer vor sich hin und schlenderte gemütlich durch die staubigen Reste des Tempels. Einige silberner Ritter betraten den zerstörten Tempel und wunderten sich naiv über den Besuch. «Hey Du! Die Tempel gibt es nicht mehr, also verschwinde. Die Priester sind tot, die Religion ist tot, unser König Alvaro ist der neue und alleinige Herrscher über diese und alle anderen Welten», meinte einer der Männer hochnäsig. Rouven zückte eines seiner Schwerter und lief auf den Mann zu, der gesprochen hatte und rammte ihm die Klinge ohne zu zögern in den ungeschützten Bauch. «Unser König kann mich mal am Arsch lecken», sprach Rouven als er kraftvoll sein Schwert aus dem blutenden Körper zog. Der Mann kauerte sich hilflos zuckend auf den Trümmern des Tempels zusammen. Blut strömte aus der Wunde und aus seinem Mund. Lange würde er nicht mehr leben. Rouven drehte sich zum zweiten Mann um, der sprachlos danebenstand und es noch nicht einmal geschafft hatte, sein Schwert zu zücken. Rouven näherte sich ihm langsam. Erst jetzt wachte der Mann aus seiner Starre auf und versuchte hektisch sein Schwert hervor zu ziehen. Rouven stiess ihn mit dem Knauf des Schwertes vor die Brust und der Mann stolperte über einen Stein und plumpste auf den Boden. «Gib unserem König, doch einen lieben Gruss von mir, ja?» Der Mann schluckte leer und nickte mit Schweiss auf der Stirn. «Sag ihm, er solle sich nicht fürchten, denn sterben wird er eh. Wir werden nur dafür sorgen, dass sein Tod immer näher rückt.» Ängstlich nickte der Mann weiter. «Kannst du dir das alles merken?» «Na... Natürlich», stotterte Rouvens Gegenüber. «Fein. Sag ihm, die Schwalbe der Revolution wird kommen.» Rouven lachte den Ritter an. «Auf Wiedersehen», sprach er höflich und vollbrachte einen spöttischen Knicks vor dem Mann, der unter dem Wappen des Königs durch die Strassen zog, und verschwand gemächlich aus den Ruinen seines Tempels.
Er lief durch die kalten Strassen zurück zu seinem Haus. Es lag ein wenig abgelegen vom ganzen Trubel der Stadt, aber immer noch nahe genug, um schnell zur Stelle sein zu können. Als er es betrat, kam ihm eine schwallende Hitze entgegen. Die Priesterin des Feuers wartete ungeduldig auf seine Ankunft. Ihr Kopf war leicht rötlich verfärbt und sie strahlte förmlich Hitze von sich ab. Mit verschränkten Armen vor der Brust, wartete sie, bis Rouven ihr gegenübertrat. «Wenn man dich im Haus hat, braucht man ja gar keinen Kamin mehr», bemerkte er spöttisch. Sie stampfte mit ihrem Bein auf den Boden. «Ich warte nun schon seit einem Tag, dass du wiederkommst!» «Ich habe dir gesagt, es wird lange dauern», meinte Rouven und schenkte sich gelassen ein Glas Wein ein. «Wann kann ich endlich wieder zurück in meinen Tempel?», erkundigte sich die Priesterin des Feuers mit der Nase hoch in der Luft. «Wohl gar nicht. Die haben alle Tempel dem Erdboden gleichgemacht», erklärte Rouven und genoss den Wein. Beleidigt setzte sich die Priesterin des Feuers an den Tisch, die Arme immer noch verschränkt. Sie schlug die Beine elegant über einander und ihr weisser Rock, der aus den feinsten und edelsten Stoffen gefertigt war, rutschte vom Bein weg und entblösste ihren glatten Oberschenkel. Rouven zweifelte nicht daran, dass diese Frau unausstehlich attraktiv war, doch sein Typ war sie nun mal nicht. Viel zu arrogant und selbstverliebt. Sie erinnerte ihn zu stark an sich selbst. Ihre helle Haut schimmerte wunderschön, sie schwang ihr hellbraunes Haar über die nackte Schulter, wie es keine andere tat, ihre Hüften und ihre Brüste waren wohlgeformt, ihre feurigen Augen erzählten von den sinnlichsten Liebesmomenten und ihre rot geschminkten Lippen luden jeden Mann zum Küssen ein. «Ich bitte dich, beruhige dich doch ein wenig oder ich verdunste in diesem Haus noch», bemerkte Rouven genervt von der unerträglichen Wärme, die die Priesterin ausstrahlte. Er stellte den Krug Wein vor der Türe in den Schnee. Warmer Wein war ungeniessbar. Zurück in der Küche hielt er es nicht länger aus. Es war viel zu heiss, also beschloss Rouven sich seines Oberteils zu entledigen. Die Priesterin musterte seinen nackten, muskulösen Oberkörper, der von einigen Narben geziert wurde. Einige Schweissperlen liefen über seine warme Brust. Urplötzlich verbesserte sich ihre Laune. Obwohl sie schon so viele Männerkörper gesehen hatte, gelang es Rouven trotzdem noch sie zu beeindrucken. Doch er machte sich nichts aus ihren einladenden Blicken. Er widmete sich weiter seinem Wein. «Werden wir ihn nun töten? Den König der uns ermorden lassen wollte?», erkundigte sich die Priesterin säuselnd und lief anmutig auf Rouven zu. Er beobachtete, wie sie jede Bewegung genau ausführte und die Hüften hin und her schwang. «Naja, wir sind dabei Verbündete aufzutreiben, die uns in der Revolution gegen Alvaro unterstützen würden.» «Oh, wie interessant. Weisst du, ich bin sofort dabei, denn selbst eine Frau wie ich kann kämpfen», erklärte sie und legte eine Hand auf Rouvens entblösste Brust. «Ohne Zweifel, schliesslich hast du den Königssohn umgebracht und so unseren Feind noch wütender gemacht.» Rouven griff nach ihrer Hand und nahm sie von seiner Brust weg. Er wollte einen weiteren Schluck Wein trinken, als ihm auffiel, dass der Becher bereits leer war. Genervt holte er sich von draussen Nachschub. «Woher sollte ich denn wissen, dass dieser kleine, erbärmliche Junge der Sohn des Königs sein soll», meinte sie mit einem Schulterzucken. «Nun ist er tot, wen kümmerst?» «Besser tot als lebendig an der Seite seines Vaters», gestand Rouven und wandte sich von der Priesterin ab. Er füllte seinen Becher wieder randvoll und setzte sich auf einen Stuhl. «Weisst du, Priester des Wassers, dass auch ich einen Namen habe?» Rouven gab keine Antwort, sein Blick war auf sein blutiges Schwert gerichtet. Er nahm einen Lappen hervor und begann es zu putzen. Die Priesterin näherte sich ihm aufs Neue. «Weisst du, Rouven, dass meinen Namen nur meine engsten Freunde wissen?» Sie setzte sich auf seinen Schoss und legte ihre weichen Arme um seinen Hals. Ihre Augen funkelten verführerisch. «Weisst du, dass mein Name Elnara lautet?», flüsterte sie ihm ins Ohr und begann es anschliessend zu küssen. Rouvens Hände umfassten ihre sanfte Taille. Er betrachtete ihren perfekt geformten Körper mit einem Lächeln. Langsam hob er sie von seinem Schoss auf den Tisch. «Freut mich, Elnara», sprach er leise und küsste ihre Hand. «Aber bei mir funktionieren deine Spielchen nicht», meinte er kühl, packte sein Schwert und seinen Wein und verschwand in ein anderes Zimmer.

Die Reise des DrachenmädchensWhere stories live. Discover now