51. Die Rufe der See

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Zufrieden sass der dicke König auf seinem prächtig geschmückten Thron in der düsteren Burg, die hoch oben auf dem Hügel über der ganzen Stadt thronte. Noch niemand hatte es auch nur gewagt, seine Pläne zu durchkreuzen und selbst der - natürlich sehr zu bedauernde - Verlust seines Sohnes, würde Alvaro nicht von seinen klaren Zielen abbringen. Vor seinen gierigen Augen konnte er sein Königreich vor sich schimmern sehen. In den Strassen wehten seine blutroten Flaggen, die mit seinem Familienwappen dem Greif geschmückt waren. Die kräftigen Farben schimmerten prachtvoll unter der kalten Sonne. Der Winter war eine harte Zeit. Und somit die beste Zeit, um Kriege zu gewinnen. Aber erst musste Alvaro diese Stadt hier sichern. Was bedeutete; seinen Sohn beerdigen, heiraten und so schnell wie möglich neue Söhne produzieren, die seine Stellvertreter in den eroberten Städten werden würden. Um die Beerdigung seines einzigen ehelich geborenen Sohnes würde Alvaro kein grosses Theater veranstalten. Schnell und ohne Aufmerksamkeit der Kaufleute und seiner Verbündeten sollte Aurion bestattet werden. Und deshalb hatte Alvaro bereits für Morgen einige Arbeiter bestellt, die im königlichen Garten ein symbolisches Grab für den im Kampf gefallenen Königssohn schaufeln sollten. Ein Tag lang würde ein Vater seinem verlorenen Fleisch und Blut nachtrauern. Denn der Tag danach war ebenfalls bereits verplant. Alvaro liess die königliche Burg herrichten, etwas das Leonardo nie richtig getan hatte. Denn für den Abend waren viele Gäste eingeladen, um dem ersten Ball des neuen Königs beizuwohnen. Alvaro selbst ging es da weniger um den gesellschaftlichen Anlass, sondern viel mehr darum eine würdige Braut zu finden, diese dann zu heiraten, zu schwängern und dann endlich in den Krieg gegen seine Exfrau zu ziehen, um sein ehemaliges Land zurückzuerobern. Das alles musste noch geschehen, bevor der Winter vorüber war. Aber es galt noch viele Vorbereitungen zu treffen, denn einen Krieg bloss mit einer halben Armee zu gewinnen würde selbst für einen geschickten Feldherrn wie Alvaro schwierig werden. Es musste ihm irgendwie gelingen, Finn dazu zu bewegen, sein Kommando an Alvaro abzugeben. Natürlich hatte der neue König bereits eine vielversprechende Idee, um dieses Ziel erreichen zu können. Denn gegen Finn hatte er immer noch einiges in der Hand. Die zierliche, gebrochene Destina und seine wilde Piraten Liebhaberin.
Tief unter der königlichen Burg sass Finn in einer Zelle des Gefängnisses. Neben ihm sass eine, trotz des vielen Schmutzes, wunderschöne Florence, die ihm verliebt in die Augen lächelte. Finn hatte ihr alles von der neuen Rebellion erzählt. Von Destina, die all ihren Mut und ihre Kraft wieder gesammelt hatte, um an Alvaro Rache zu üben, von Rouven, der mit seiner stillen Genialität die Rebellion organisierte und von Jack, der sich breitwillig und voller Hoffnung Destina angeschlossen hatte. Flo wandte ihren Blick ab. «Ich hätte nicht gedacht, dass Jack bereit wäre, einer anderen Person als sich selbst zu folgen», bemerkte sie spitzig. «Ich bin froh ihn trotzdem dabei zu haben, wir brauchen einen erfahrenen Mann wie ihn», gab Finn zur Antwort. Flo nickte langsam. «Willst du denn unbedingt Teil dieser Rebellion sein?» Finn stutzte über diese unerwartete Frage und betrachtete sein geliebtes Gegenüber. «Was willst du denn?», erkundigte er sich. Florence seufzte leise, als sie sich erhob und zu den Gitterstäben hin schritt, um einen Blick Tageslicht zu ergattern. Ihre Hände umfassten die rostigen, alten Gefängnisstäbe, als sie zwischen ihnen hindurchblickte und die Tür, die aus den Verliessen im Keller hinausführte, und das Tageslicht, das dahinter fahl schien, betrachtete. «Ich vermisse die See so unglaublich», sprach sie leise. «Ich wünschte ich könnte aus dieser Zelle und dieser Burg einfach so hinausspazieren, wie du es kannst. Ich würde bis an den Hafen gehen, meine Crew zusammentreiben und mit einem neuen Schiff davon segeln. Ich käme nicht zurück. Gegen Westen würde ich segeln, dort wo die Sonne in den wunderschönsten Farbenspielen hinter den Horizont verschwindet. Ich will so weit segeln, bis ich sehe wo die Sonne hingeht in der Nacht, bis ich finde, wovon noch nie jemand zuvor auch nur geträumt hat. Ich will jeden Winkel dieser Welt und aller anderen Welten entdecken und gesehen haben. Und ich will das alles mit dir tun», Flos Augen leuchteten vor Begeisterung als sie sich zu Finn umdrehte und sich vor ihn hinsetzte, gegen seine Beine lehnend. Sie ergriff seine Hand und lächelte ihn träumerisch an. «Was hält dich hier?», erkundigte sie sich, verzweifelnd klingend. «Ich habe Familie hier, Flo. Deine Visionen klingen so unglaublich verlockend und sind kaum auszuschlagen. Doch ich muss mich um meine Freunde und Familie hier kümmern. Ich lasse sie nicht zurück ohne zu wissen, dass sie Alvaro tatsächlich besiegen können. Ich muss dafür sorgen, dass Destina auf diesem Thron sitzt, dass Rouven endlich eine anständige Frau heiratet und dass Jack Frieden finden kann.» Flo riss ihre Hand weg. «Ach Jack!», rief sie wütend. «Wenn du wüsstest, wie viel Jack mir in all diesen Jahren verheimlicht hat! Niemand, nicht einmal seine besten Freunde, wussten, dass du und Jack Brüder seid und dass Jack dich auf dem Thron sehen wollte. Und das traurige ist, ich habe es durch einen Brief erfahren, der für dich bestimmt gewesen war. Jack hatte nie die Absicht irgendjemanden seine wahren Ziele zu verraten. So eine Person will ich weder als Anführer noch als Freund.» Trotzig wandte sich Flo von Finn ab und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Finns Gesicht wurde weich. Er stand auf und umarmte Florence liebevoll und fürsorglich. «Die Rufe der See klingen durch deine sanfte Stimme an meine Ohren und nichts hat je so unwiderstehlich geklungen. Doch du musst auch meine Seite verstehen, ich trage Verantwortung. Aber du bist nun schon viel zu lange in diesem Verliess eingesperrt und ich verspreche dir, dass, sobald ich mir sicher bin, dass Destinas Erfolg nichts mehr im Wege steht, ich mit dir in die Unendlichkeit der Welten hinaus segle.» Diese Worte liessen Flos Hoffnung wieder auf erleuchten. Sie wusste, dass sie Finns blauen Augen trauen konnte und dass er nur die Wahrheit sprach. Bald hätte sie ihr altes Leben wieder zurück. Nichts konnte sie in diesem Moment glücklicher machen.
Der nächste Tag war schnell gekommen und Alvaro konnte seine Pläne endlich fortsetzen. Bereits früh am Morgen trafen zwei Arbeiter der königlichen Armee auf der Burg ein, um Alvaros Befehle entgegenzunehmen. Es war ein bedrückender Tag. Der Himmel hing voll mit dicken, grauen Wolken, sodass selbst der so friedlich weiss schimmernde Schnee keine Hoffnung verbreiten konnte. Es war ein wunderbarer Tag für eine Beerdigung, fand Alvaro und stand mit einem Lächeln draussen im königlichen Garten. Ein dicker Pelzumhang schützte ihn vor der beissenden Kälte, während die beiden Ritter sich durch ihre harte, anstrengende Arbeit warmhielten. Bald war ein Loch gegraben, das den Vorstellungen des Königs entsprach. Er schickte die beiden silbernen Ritter weg, um einen Moment alleine zu sein und Abschied von seinem Sohn zu nehmen. Er liess eine schwarze Rose in das gegrabene Loch fallen. Daneben legte er eine goldene Krone und einen versiegelten Abschiedsbrief in das sonst leere Grab. Nach einigen Minuten war Alvaro mit diesem Ritual fertig, ohne gross Emotionen zu zeigen oder überhaupt den Anschein von Trauer zu haben. Er liess die Ritter wieder rufen, die dann das Grab wieder bedeckten. Auf der Erde des Grabes wurde schliesslich ein Lorbeerbaum gepflanzt, um die Unsterblichkeit der Toten zu symbolisieren. Die Riten der vier Elemente hatte Alvaro schon vollkommen aus dem Leben gestrichen. Neue Symbole waren der neue Alltag.

Die Reise des DrachenmädchensOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz