30. Ein grosser Verlust

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Finn liess sich nach der Beerdigung lange Zeit, bevor er wieder auf die Burg zurückkehrte. Er war unbeschreiblich wütend auf seinen Bruder. Immerhin hatte Jack ihm eine der wichtigsten Personen in seinem Leben genommen. Kaltblütig erstochen. Finn würde jetzt bestimmt nicht das tun, was sein Bruder von ihm erwartete. Sollte er doch selbst dem Volk Frieden bringen. Finn wollte damit nichts zu tun haben. Er wollte bloss sein altes Leben wieder, seinen Vater. Aber für das war es nun zu spät. Er war tot. Für immer aus dem Leben gerissen, verbrannt und vergessen. Nicht wenn es nach Finn ging, doch er hatte momentan nicht viel zu sagen, auch wenn er der rechtmässige Thronerbe war. Dieser Alvaro hatte überall seine kleinen, dicken Finger im Spiel. Finn wusste nur nicht, was er genau plante. Finn wäre aber auch sonst nie auf den Thron gestiegen. Egal ob es Jacks Wunsch war oder nicht. Denn Finn war kein König. Er war nie dazu bestimmt gewesen ein König zu sein. Sein Vater hatte ihn nichts gelehrt über das Regieren. Finn verstand nur von etwas viel und das war das Kämpfen. Schon zu lange hatte er sich keinen richtigen Kampf mehr geliefert. Den Mörder seines Vaters zu töten war kein richtiger Kampf gewesen. Aber dieser Mann hatte es verdient zu sterben. Finn hatte ihm damals erlaubt mit Jack zu fliehen und als Dank für seine Grosszügigkeit tötete er mit seinen hübschen, blauen Augen den König. Finn wünschte sich so sehr er hätte diesen Spion damals erwürgt, dann wäre sein Vater jetzt noch am Leben und dieser Alvaro wäre wahrscheinlich überhaupt gar nicht erst aufgetaucht. Aber Finn wollte nicht weiter darüber nachdenken. Entschlossen kehrte er auf die Burg zurück. Das einzig Wichtige war momentan, Alvaro einen Strich durch die Rechnung zu machen. Die Frage war bloss wie. Finn wusste ja nicht einmal was genau Alvaros Plan war. Irgendwie würde er es aber rausfinden. Er hatte genug Macht und Freunde, die wichtige Informationen für ihn hatten. Aber er wollte noch ein wenig abwarten und beobachten, was Alvaros nächste Schritte waren. Der dicke Mann würde sich schon noch verplappern.
Zwei Ritter bewachten die grosse Eingangstür zur Burg gelangweilt. Sie warfen einen kurzen Blick auf den blonden Mann auf dem schwarzen Pferd und starrten dann weiter auf die gepflasterte Strasse, die zu der Burg hoch führte. Ein Knappe kam neben der dicken Steinmauer der Burg hergeeilt und griff sich die Zügel des schwarzen Hengstes. Finn schwang sich aus dem Sattel und stiess energisch die schwere Eingangstür auf, stampfte durch den riesigen, viel zu leeren Eingangsbereich auf dem Weg in sein Zimmer. Erstaunt über die vielen Ritter, die Alvaro postiert hatte blieb er kurz stehen und blickte sich um. Überall hinter den Säulen, Vorhängen und auch auf dem Gang, der über den Eingangssaal führte, standen schwer bewaffnete Ritter, die auf etwas zu warten schienen. Finn runzelte die Stirn, was hatte dieser Verrückte bloss vor? Was wusste er, was Finn nicht wusste? Finn setzte sich wieder in Bewegung, seine Männer, die ihre Zimmer auch bei den Gefangenen unten hatten, wussten sicherlich mehr, warum Alvaro so übertrieben viele Ritter postiert hatte. Er lief die Treppen runter und traf bald auf den ersten seiner Männer. „Calum. Gut, dass ich dich sehe", begrüsste Finn einen bärtigen Mann mit einem Handschlag. Der Mann, die eine Hand stets auf dem Griff seines Schwertes, wirkte mürrisch und ernst. Er blickte Finn aufmerksam in die Augen. „Alvaro hat so viele Ritter in der Eingangshalle postiert, weisst du wieso?", kam Finn schnell zu Sache. Der Mann hob den Kopf, schnell warf er einen Blick nach links und rechts. Niemand war da. Er machte einen Schritt auf Finn zu und begann ihm flüsternd zu erklären: „Als wir von der Beerdigung zurückkehrten, haben wir die beiden Ritter, die die Gefangenen bewacht haben, tot aufgefunden. Irgendjemand ist hier gewesen und Alvaro wollte so dringend wissen, wer das war, dass er die Gefangenen befragt hat. Alle. Und da ist diese Frau, blond, jung und wunderschön, die hat ihm alles erzählt. Angeblich waren zwei Frauen da, eine, die man die Königin der Wölfe nennt und die ihr Gesicht hinter einer schwarzen Maske versteckt und eine andere, eine Alchemistin. Beide werden gesucht wegen verschiedener Verbrechen. Die haben sich mit der Blondine unterhalten, anscheinend kannten die einander. Angeblich waren sie auf der Suche nach jemandem." Der Mann hörte kurz auf zu sprechen und machte unauffällig einen Schritt von Finn weg, als ein anderer Ritter in seiner schimmernden Rüstung an den Beiden vorbeilief. Als er um die Ecke verschwunden war, fuhr der Bärtige fort: „Und jetzt kommt der Höhepunkt: Die beiden Eindringlinge haben nach einer Florence gesucht und ich kenne nur eine Florence, die bei uns gefangen ist." Der Mann entfernte sich wieder von Finn und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Finn erinnerte sich, dass er die Tür zu seinem Zimmer abgeschlossen hatte, bevor er auf die Beerdigung gegangen war. Was hatte Florence wohl mit diesen Frauen zu schaffen. Finn bedankte sich mit einem ernsten Nicken und eilte zu seinem Zimmer. Die Königin der Wölfe selbst hatte nach Flo gesucht. Die Königin der Wölfe war die rechte Hand von Jack, sie war also bestimmt auf Jacks Befehl in die Burg eingebrochen. Es schien, als ob Jack viel an der Piratin lag. Finn brauchte nun nur noch Eins und Eins zusammenzuzählen. Dann war Flo bestimmt auch Teil der Rebellion, was auch ihre Anwesenheit am Ball erklären würde. Leicht gespannt öffnete Finn die Tür und trat in sein Zimmer hinein. Flo sass zusammengekauert in der hintersten Ecke des Zimmers auf einem Stuhl und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Als sie bemerkte, dass Finn das Zimmer betreten hatte, schaute sie auf. Ihre Augen waren verweint und sie starrte ihn völlig bestürzt an. So hatte Finn nicht erwartet Flo vorzufinden. Er machte einen Schritt auf sie zu und versuchte vorsichtig mit ihr zu sprechen, aber sie wollte überhaupt nicht hören. „Was ist passiert?", versuchte Finn herauszufinden. Flo wischte sich ihre Tränen fort und blickte in Finns Augen. „Du warst das", flüsterte sie, während sich ihr Gesicht von traurig zu zornig wandelte. Wutentbrannt stürmte sie auf Finn zu und hämmerte gegen seine Brust. „Du warst das!", schrie sie ihm mit Tränen in den Augen ins Gesicht. Finn wehrte sich gegen ihre Schläge, packte sie an den Schultern und drückte sie von sich weg. Er verstand die Welt nicht mehr. Doch Flo liess sich nicht beruhigen. Energisch befreite sie sich aus Finns Händen und stürmte wieder auf ihn los. „Du hast ihn getötet!", schrie sie ihm entgegen, als sie wieder begann gegen seine Brust zu schlagen. Genervt von ihrem unverständlichen Verhalten packte Finn sie grob an den Schultern und drückte sie auf das Bett, wo er sich auf sie drauf kniete, um sie ruhig zu stellen. Schwer atmend und das Gesicht voller Tränen gab Flo dann schliesslich ihren hoffnungslosen Kampf auf. „Was ist bloss los mit dir?", fragte Finn, als er auf die junge Flo hinabblickte. Sie funkelte ihn aus ihren dunkelgrünen Augen an und ihr Blick verriet nur Wut. „Du warst das. Du hast ihn getötet", wiederholte sie stur. Finn atmete tief aus. Er wollte nicht zulassen, dass die Wut in ihm aufstieg. Er könnte sie nicht kontrollieren und würde Flo verletzen. „Ich habe schon viele Männer getötet, du musst schon ein wenig genauer sein, wenn ich dich verstehen soll", erwiderte er kalt. Florence war bezaubernd. Auf einen Schlag war seine Wut auf sie völlig verschwunden. Eine Frau, die ihren eigenen Kopf, keine Angst hatte und sich bestimmt kein Blatt vor den Mund nahm. Egal mit wem sie gerade sprach. Finn huschte ein Lächeln über den Mund. Aber Flo war noch immer wütend. Nichts konnte sie beruhigen. Die Leere in ihr war zu gross. „Meinen Bruder!", schrie sie ihm ins Gesicht. Dann wandte sie den Blick ab und betrachtete die Wand. „Meinen Bruder", wiederholte sie leise. Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, aber dieses Mal wischte sie sie hektisch weg. Finn schaute auf Flo hinab. „Das tut mir leid", sprach er sanft und meinte es auch ernst, er hatte nie die Absicht gehabt sie zu verletzen. Er stieg von ihr runter und
setzte sich auf die Bettkante. „Wer war dein Bruder?", fragte er vorsichtig nach. Flo richtete sich auf und umklammerte ihre Beine. „Er half deinen Vater zu töten", antwortete sie kalt und starrte Finn dabei genau in die Augen. Sie konnte sehen, wie er von Mitleid zu Zorn wechselte. Schnell erhob er sich vom Bett und wandte den Kopf von ihr ab. Dieser blöde Spion. „Er hatte es verdient", flüsterte er leise zu der Wand. Zornig warf er die Gläser, die auf dem Tisch standen mit voller Wucht gegen die Wand. Sein Gesicht verdunkelte sich. Und schon wurde seine Trauer wieder aufgewühlt. Hatte das Ganze denn nie ein Ende? Er wollte sich auf Wichtigeres konzentrieren, aber Flos Wut hatte alles wieder hervorgeholt. Mit einem kalten, bedrohlichen Ausdruck in den Augen drehte er sich wieder zu ihr um. Sie bemerkte diesen Blick und stand schnell, leicht verängstigt vom Bett auf und trat einige Schritte zurück. Langsam wurde ihr bewusst, wen sie gerade so angeschrien hatte. Einen Mörder. Einen kaltblütigen Mörder. Aber es tat ihr nicht leid, dass sie ihn angebrüllt hatte. Dennoch hätte es ihr schnell das Leben kosten können, hätte er nicht ein Auge auf sie geworfen. Denn Finn hatte nicht die Absicht sie zu verletzen. Die hatte er nie gehabt. Er setzte sich auf einen Stuhl und vergrub sein Gesicht in den Händen. Nach kurzer Zeit hatte er sich wieder beruhigt. Er musste lernen, damit umzugehen, mit diesem Schmerz, das war ihm bewusst. Er starrte leer auf den Holztisch vor sich. Florence hatte sich neben der Tür auf den Boden gesetzt und auch sie hatte die Fassung wiedererlangt. Sie hatten Beide einen grossen Verlust zu beklagen. Doch was brachte es, den Toten nach zu trauern. Man sollte das Leben geniessen. Langsam hob sie ihre geröteten Augen und schaute in Finns. Zwei Fremde, zwei Feinde und doch kam es beiden vor, als ob sie sich schon ewig kannten und alles voneinander wussten. Vielleicht waren sie gar nicht so unterschiedlich. Vielleicht folgten sie nur den falschen Leuten. Jack und Leonardo waren Feinde, aber das machte nicht alle Gefolgsleute auch zu Feinden. Finn betrachtete Flo gedankenverloren. Doch keiner brachte es über sich, etwas zu sagen. Sie versanken in ihrem eigenen Schweigen und in den Tiefen der Augen des Anderen. Viel zu lange wurde die Stille nicht gebrochen. Also beschloss Finn sich schlafen zu legen. Er entledigte sich seinen Kleidern und legte sich ins Bett. Er hatte den Schlaf schliesslich dringendst nötig. Immerhin hatte er viel vor sich, Alvaro musste bei dem, was er vorhatte, endlich gestoppt werden. Und Finn würde diese Aufgabe mit Freude übernehmen. Mit diesem Gedanken schloss der Schlaf langsam seine Augen.
Florence hasste es. Dieses Gefühl, dass sie Finn schon ihr ganzes Leben kannte. Irgendetwas war zwischen ihnen und es war nicht die Wut oder der Hass, den sie gespürt hatte, als sie erfahren hatte, dass ihr Bruder Theo tot war. Es war ein positives Gefühl. Ein Gefühl, das sie lächeln liess. Doch sie wollte es nicht zulassen, wollte nicht lächeln. Zielstrebig stand sie auf und durchwühlte Finns Klamotten nach seinen Waffen. Er war ein Mörder. Der Feind. Sie griff nach einem Messer und drehte sich zu Finn um. Der Sohn des Feindes... Schnell schüttelte sie den Kopf. Nein. Er war der Feind. Ein unberechenbarer, kaltblütiger Killer, der mordete ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er hatte ihrem Bruder das Leben genommen. Und die Rebellen hatten seinem Vater das seine genommen. Alles schien sich wieder auszugleichen. Und trotzdem war es unfair. Nichts war fair. Ihr Bruder war ein guter Mann gewesen, er hatte es nicht verdient so zu sterben. Sie legte ihre Hand entschlossen um das Messer und bewegte sich leise auf Finn zu. Irgendjemand musste ihn aufhalten. Oder noch mehr gute Männer würden seinem Blutrausch zum Opfer fallen. Vorsichtig ihn nicht aufzuwecken, stieg sie auf das Bett und kniete sich über ihn hin. Er atmete regelmässig und ruhig. Die Augen geschlossen. Langsam drückte sie das Messer gegen seinen verwundbaren Hals. Und doch zögerte sie. Ihre Gedanken stritten sich. Eigentlich war sie Jack nichts schuldig. Er hatte sie jahrelang belogen. Und doch wollte auch sie dem Volk Frieden bringen. Aber sie hatte sich geschworen, nie einen Unschuldigen zu töten. Doch war Finn unschuldig? Sie biss sich auf die Unterlippe. „Tu es", sprach Finn aus dem Schlaf. Die Augen noch immer geschlossen, aber er schien hellwach. Er drehte seinen Kopf und öffnete die Augen. Flo sass noch immer unschlüssig da, das Messer gegen seine Kehle gedrückt und schaute ihm in die reinen, blauen Augen. Er packte sie an den Schultern und rüttelte sie. „Tu es!", wiederholte er lauter. „Du wirst noch viele weitere töten, wenn ich dich jetzt nicht töte", entgegnete Flo kalt und starrte weiter in seine Augen. „Da hast du Recht. Ich bin ein Krieger, Krieger töten", er hielt kurz Inne und wartete was Flo tat. Doch sie sass regungslos da. „Tu es, nichts ist einfacher", meinte Finn wieder, die Hände auf ihren Schultern und den Blick direkt auf ihren Augen. Behutsam zog er sie etwas näher zu sich hinunter. Florence folgte seiner sanften Berührung. Das Messer immer noch an seiner Kehle. Doch das schien ihn nicht gross zu kümmern. Hätte sie wirklich vorgehabt ihn zu töten, wäre das schon längst geschehen. Langsam beugte er sich vor und kam ihrem Mund immer näher. Über das Messer an seinem Hals hinweg küsste er sie vorsichtig. Flo liess es einfach geschehen. Und doch war es das, was sie sich insgeheim gewünscht hatte. Ganz tief in ihr drinnen, war diese Stimme, die in Finns Augen sah und sich verliebte. Nur hatte sie diese Stimme lange zu verdrängen versucht. Langsam zog sie das Messer von seiner Kehle weg und liess es neben dem Bett auf den Boden fallen. Finn griff ihr Kleid und zog es ein wenig nach oben. Dann liess er seine Hand darunter gleiten. Florence legte ihre Hand auf Finns muskulöse Brust und beugte sich zu ihm hinunter, um ihn weiter zu küssen. Florence genoss die Nähe seines nackten Körpers und genauso genoss sie es, als sie ihn in sich spürte. Leise stöhnte sie und fuhr mit den Nägeln über Finns breite Brust. Lustvoll küssten und berührten sie einander. Sie hatten ihrem inneren Verlangen nachgegeben und nichts fühlte sich besser an, als die Erfüllung dieser Wünsche.

Die Reise des DrachenmädchensWhere stories live. Discover now