6. Piraten

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Liv, Alice und das ganze Rudel erreichten den Hafen am unteren Ende der Stadt bereits am späten Nachmittag. Der Marsch war zwar anstrengend gewesen, aber Liv war froh, dass sie bald bei diesem Heiler sein würde. Ihre Wunden schmerzten dennoch ziemlich schlimm. Auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte. Alice steuerte zielstrebig auf ein älteres Holzschiff zu. Es war ein sehr elegant verziertes, aber auch kampftauglich wirkendes Schiff. Es hatte viele Kanonenluken auf den Seiten, die sicherlich schon oft benutzt worden waren, zumindest wenn man nach ihrem Zustand ging. Die anderen Schiffe die am Hafen angelegt waren, waren viel gepflegter, aber hatten keine Kanonen an Board. Auf dem Deck des Schiffes waren viele schmutzige, braun gebrannte Männer damit beschäftigt, Fässer herum zu tragen oder das Deck zu schrubben. Die Person, die die Seemänner befehligte war, zu Livs erstaunen, kein Mann. Aber die Chefin verschwand gerade, bevor Liv ihr Gesicht genau erkennen konnte. Alice lief mit grossen Schritten über das wackelige Brett, das als Brücke zwischen Hafen und Schiff diente. Ihr Rudel folgte ihr wie selbstverständlich. Alice blickte sich suchend auf dem Schiff um, während alle Stimmen langsam verstummten und man nur noch ein leises Getuschel vernehmen konnte. „Na sieh einer an, wer uns mal wieder über den Weg läuft!", rief einer der Männer verachtend. Einige Wölfe begannen in seine Richtung zu knurren. Aber bald übertönten Schritte, die vom oberen Deck kamen, das Rudel. Liv drehte sich um und sah schwarze Lederstiefel, die bis zu den Knien reichten, die Treppe hinabsteigen. „Würdest du in Zukunft etwas freundlicher mit unserem Besuch umgehen? Sonst lass ich dich in den Kerker werfen, verstanden?!", rief sie wütend. Ein demütiges ja, Käpt'n erklang. „Ich muss mich für sein Verhalten entschuldigen. So begrüsst man keine alte Freundin", meinte die Kapitänin mit einem Lachen und breitete die Arme aus. Alice umarmte sie. Die alte Freundin trug enge Lederhosen, eine bauchfreie weisse Bluse und eine Jacke, die ursprünglich wahrscheinlich einem Käpt'n der königlichen Flotte gehört hatte. Die Jacke war in einem wunderschönem dunkelblau und hatte viele goldene Knöpfe. Sie trug sie wie eine Kriegsbeute. Mit Stolz aber Verachtung zugleich. Unter einem grossen Hut und einem roten Kopftuch kamen braune, leicht verfilzte Locken hervor. In das Haar waren bunt glänzende Perlen eingeflochten, die das warme Sonnenlicht reflektierten. „Komm hoch in meine Kabine, dann kannst du mir alles erklären", meinte der Käpt'n und wies mit dem Kopf auf Liv. Alice folge ihr und Liv lief den Beiden hinterher. „Wer ist die Kleine?", fragte die Kapitänin als sie in der Kabine angekommen waren. „Hör zu, es ist eine lange Geschichte, aber das Wichtige ist, sie ist ein Mensch. Ich glaube sie ist das Mädchen nachdem Jack nun schon seit Jahren sucht. Das Problem ist nur, dass sie von meinem Rudel angegriffen wurde und deshalb muss ich sie auf meine Insel bringen zu dem Heiler", erklärte Alice. Ihre schwarzen Augen fixierten ihre Freundin aufmerksam. Diese Flo betrachtete Liv. Sie machte einige Schritte auf sie zu. Ihre Hand griff nach den lila Locken und befühlte sie. „Niemals ist das kleine Ding ein Mensch!", rief der Käpt'n spöttisch. „Klar bin ich ein Mensch!", protestierte Liv lautstark. Flo hob eine Augenbraue: „Ach ja? Beweis es." Liv schwieg verduzt. Mit genervten Augen pustete sie sich eine Strähne aus dem Gesicht und griff beleidigt an den Saum ihres Kleides. „Schau her!", meinte sie und zeigte ihr das getrocknete Blut auf ihrem verletzen Oberschenkel. Flo liess sich ihre Verwunderung nicht anmerken und verdrehte gleichgültig die Augen. „Siehst du die Wunde? Die muss dringend behandelt werden, wenn das Mädchen gesund bleiben soll ", meinte Alice eindringlich. Flo nickte langsam. „Schon klar, aber ich hab' meinen Männern versprochen, dass wir heute auf Schatzsuche aufbrechen. Ich habe erst gerade eine neue Karte aufgetrieben und die Spur ist sehr verheissungsvoll! Diese Jungs da draussen haben es verdient mal wieder Goldmünzen in den Händen zu halten!", protestierte der Käpt'n und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Entschlossenheit bröckelte aber, als sie begann, auf der Unterlippe zu kauen. „Ist es dir denn egal, dass der König so regiert? Willst du nichts dagegen unternehmen?", klagte Alice ihr Gegenüber an. Flo verdrehte die Augen. „Was willst du? Jeder kann sein Leben so leben, wie er will! Schau mich und dich an! Was will man mehr?" Alice holte wütend Luft um Flo etwas zu entgegnen, doch laute Männerstimmen unterbrachen den Streit der Beiden. Flo stampfte wütend in ihren Lederstiefeln an Alice vorbei und eilte runter aufs Deck. Alice warf Liv einen genervten Blick zu, folgte ihrer alten Freundin dann aber. Unten vor dem Schiff standen zwei Ritter des Königs in ihren glänzend polierten Rüstungen. Hinter ihnen standen ihre ebenso schön gepflegten Schimmel. Liv kniff die Augen zusammen, um nicht vom Licht geblendet zu werden, das sich in den Rüstungen reflektierte. „Wir haben den Hinweis bekommen, dass sich auf Eurem Schiff die Königin der Wölfe aufhalten soll, eine von König Leonardo gesuchte Verbrecherin. Sie ist wegen Mordes, Raubes und vielem Weiteren angeklagt. Wir bitten Sie diese gesuchte Verbrecherin von Ihrem Schiff zu bringen und dann Segel zu setzen und den Hafen umgehend zu verlassen", rief einer der Ritter hochnäsig. „Ach was Sie nicht sagen!", antwortete Flo spöttisch mit einem Blick zu Alice und Liv. „Wir bitten Sie kein zweites Mal! Wir können sie auch mit Gewalt von Ihrem Schiff holen!", warnte der andere Ritter und legte die Hand drohend auf den Knauf seines Schwertes. „Na dann, kommt doch!", schrie Flo mit einem triumphierenden Lächeln, während sie die Planke mit dem Fuss ins Wasser stiess. „Männer, Segel setzten! Wir machen einen kurzen Umweg auf die Insel der Wölfe! Und dann finden wir unseren verdienten Schatz!", befahl Flo und die Männer machten sich lautstark an die Arbeit. Das Schiff begann sich träge von der Bucht fort zu bewegen. Vom Hafen her hörte man das Fluchen der zwei Ritter, als Flo den Beiden eine Kusshand zuwarf. Dann eilte sie hinter das Steuerrad.

Die Reise des DrachenmädchensDove le storie prendono vita. Scoprilo ora