26. Abschied

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Alvaro hatte es tatsächlich auf die Reihe bekommen die Beerdigung für Leonardo in nur einem Tag zu organisieren. Und so galt es für Finn am Morgen nachdem er mit Rouven um die Häuser gezogen war, früh aufzustehen und sich seine elegantesten Kleider anzuziehen. Er hatte Florence sein Bett überlassen und es sich selbst mit einigen Decken am Boden bequem gemacht. Als er aufstand, schlief sie noch tief und fest und Finn nahm sich einen Moment Zeit, sie einfach nur anzusehen. Alles war so friedlich und schön. Ihre braunen, zerzausten Locken, ihr gebräuntes Gesicht und der sanfte Geruch des Salzwassers auf ihrer Haut. Finn huschte ein Lachen über die sonst so ernsten Lippen. Ihr Atem war sanft und gleichmässig und brachte Finn Geborgenheit und Ruhe. Er genoss diesen kurzen Moment Frieden. Aber dann fiel sein Blick auf das rote Hemd, das für ihn auf dem Tisch bereitlag und es holte ihn zurück in die bittere Realität. Sein Vater war tot und sein Onkel spielte ein falsches und gefährliches Spiel, das Finn ihn nicht gewinnen lassen würde. Er erhob sich mühsam vom Stuhl und warf sich das rote Hemd über, dazu seine schwarzen Lederhosen und seine tägliche Rüstung. So sehr es ihn nicht kümmerte, was er trug, wollte er sich für einen so wichtigen Anlass wie die Beerdigung seines Vaters keine Fehler erlauben. Und schon klopfte ein Ritter an seiner Tür, um ihm mittzuteilen, dass es Zeit war sich auf den Weg zu machen. Schnell zog er sich seine Stiefel an, die extra für den Anlass glänzend poliert worden waren, und griff nach seinem schwarzen Umhang und seinen Waffen. Flo öffnete verschlafen die Augen und schaute Finn zu wie er die Tür öffnete und noch einen kurzen Blick zurück warf, wobei er in wunderschöne dunkelgrüne Augen schaute. Er eilte die Treppen hoch und den überdimensionalen Gängen der Burg entlang auf dem Weg in die Gemächer der Königin. Die Gänge waren mit massiven Säulen geziert, dazwischen hingen riesige Gemälde von früheren Königen und Fabelwesen, die früher über diese Welt regiert hatten. Finn klopfte an die geschnitzte Holztür und eine sehr wache Stimme lud Finn in das Zimmer ein. Destina sass mit strahlenden Augen aber mit einem ernsten Gesicht vor dem Spiegel. Eine Magd stand hinter ihr und war dabei ihre blonden Haare streng zurück zu flechten. „Guten Morgen, Finn", begrüsste sie ihren Besuch mit einem Lächeln. Finn blickte sich ungeduldig im Raum um. Er war viel zu gross und viel zu leer. Das einzige Persönliche an dem Zimmer war ein grosser Vogelkäfig, in dem eine zierliche Schwalbe gefangen gehalten wurde. Destinas Begleiter. Das Bett war riesig, viel zu gross für eine so zarte Frau wie Destina, würde man meinen. Auf den Möbeln standen prächtig blühende Blumen, die dem Zimmer etwas Lebhaftes gaben. Ein riesiges Fenster, das auf den hinteren Garten der Burg blickte, liess ein wenig Licht hinein, den Rest erledigten die Kerzen. Finn warf einen Blick nach draussen. Alles war saftig grün und wurde von einigen Mägden gepflegt. Alles strahlte förmlich nach Leben. Aber alles war bloss Schein. Heute war der Tag des Todes und nichts konnte Finn diese Tatsache vergessen lassen. Schnell wandte er den Blick wieder vom Fenster ab. Neben der Tür durch die Finn gerade den Raum betreten hatte stand starr ein Ritter, sehr darum bemüht Finn nicht in die Augen zu schauen. Finn musterte seine Gesichtszüge genauer und erinnerte sich. Es war der Ritter mit dem Destina am Abend des Balls gesprochen und gelacht hatte. Finn hatte sie nur sehr selten lachen sehen und wenn, war es ein sehr kaltes und gequältes Lachen. Richtig wütend konnte er auf den Ritter nicht sein, solange er Destina glücklich machte und nicht in Schwierigkeiten brachte. „Ach Finn, ich wollte noch mit dir sprechen über... deinen Vater", Destinas Stimme wurde leiser, als sie das Thema ansprach. Vorsichtig erhob sie sich von dem Stuhl und lief auf Finn zu. Sie schaute zuerst in seine Augen und als sie begann zu sprechen nur noch auf ihre Finger, wo sie nervös mit ihrem Ehering spielte. „Ich wollte dir nur sagen, dass... es tut mir leid, was mit deinem Vater geschehen ist. Ich meine, dass es so enden musste. Ich wollte das nicht... Ich weiss, wie du dich fühlst. Wenn du willst, können wir gerne einmal darüber sprechen. Ich bin da", erklärte sie kurz mit sanfter Stimme und einer Unschuld in ihren Augen. „Danke", antwortete Finn und drückte sie einmal sanft an sich, „Ich weiss das zu schätzen." Sie schauten einander in die Augen und dann auf den Boden. „Du solltest dich nun beeilen, wir sind schon zu spät", änderte Finn schnell das Thema und machte einen Schritt zurück. Destina warf hektisch einen Blick ins Zimmer. „Ja, du hast Recht", meinte sie und griff eilig nach dem roten Kleid, das auf ihrem Bett lag und hastete in das Hinterzimmer, wo sie sich umzog. Umwerfend schön trat sie wieder hervor. So jung und doch hatte sie bereits so viel durchlebt. Das Kleid fiel sehr schön und war nur an der Taille etwas enger geschnitten. Der Ausschnitt kam beinahe bis zum Bauch, aber das Kleid wurde traditionellerweise von den verwitweten Frauen zur Beerdigung getragen. Schnell stieg sie in ihre schwarzen Schuhe und kam auf Finn zu. Sie zog sich die Kapuze des Kleides über den Kopf und versteckte ihre blonde Flechtfrisur darunter. Kurz holte sie noch einmal Luft und nickte Finn zu, der öffnete ihr die Tür und folgte ihr aus dem Zimmer, Seite an Seite mit dem Ritter. Sie begaben sich in den Empfangssaal der Burg. Wo schon Alvaro, umgeben von zu vielen Rittern, die ihre Rüstungen und Waffen mit roten Bändern verziert hatten, in einem lächerlich roten Outfit auf die Beiden wartete. „Schön, dass auch ihr es endlich geschafft habt!", bemerkte er vorwurfsvoll. Finn warf ihm einen warnenden Blick zu als er an ihm vorbeilief. „Na dann, lasst uns keine Zeit verschwenden."
Destina bildete die Spitze des Umzuges von der Burg in den Tempel des Todes. Neben ihr lief der Ritter, der bereits heute Morgen in ihrem Zimmer gestanden hatte. Finn folgte ihr, neben ihm ging Alvaro und sie alle waren umkreist von silberglänzenden Rittern. Sie verliessen die Burg durch den Hauptausgang und liefen den Hügel hinunter, auf dem sie gebaut war. Der Weg war mit roten Tüchern und Bändern geschmückt, die im Herbstwind flatterten. Der Himmel war voller Wolken und versprach kein gutes Wetter. Und so marschierte die Königsfamilie in die Stadt hinunter, wo niemand auf den Strassen war. Alles war gespenstig leer, beinahe ausgestorben. Nur einige schwarz gekleidete Gestalten schlichen leise durch die Strassen. Destina führte den Umzug in den Tempel des Todes hinein. Unter der Vase mit den blutenden, weissen Rosen lag der Sarg von Leonardo. Daneben standen die Priester der vier Elemente. Der Priester der Luft war ein alter, dicker Mann. Er vermochte es zwar einen seriösen Eindruck zu vermitteln, aber wenn man hinter diese Fassade des Glaubens blicken konnte, wurde einem bewusst, dass nicht alles so war, wie es schien. Denn eigentlich war der Priester der Luft ein Arschloch, das sich die Zeit nur mit Sex mit jungen, hübschen Frauen vertrieb. Neben ihm stand die Priesterin der Erde. Eine alte Dame, die sich so anzog als ob sie ein jugendliches Mädchen in ihren besten Jahren wäre. Lederner Schmuck auf faltiger Haut. Sie nahm als einzige der Priester ihre Aufgaben sehr ernst. Sie hatte eine Tochter, die unbedingt endlich Priesterin werden wollte und völlig machtbesessen war. Doch bis ihre Mutter tot war, wohnte die Nachfolgerin noch immer in der Burg, wo alle Erstgeborenen der Priester grossgezogen wurden. Auf der anderen Seite des Sarges stand die Priesterin des Feuers. Eine weitaus attraktivere Dame als die Priesterin der Erde. Mit wallenden, hellen Haaren und flammenden Augen und Kleidern die weniger bedeckten, als Kleider bedecken sollten. Sie war aber auch genau so schlau wie sie schön war und wusste, wie sie mit ihren Vorzügen das bekam, was sie begehrte. Neben ihr stand Rouven, der Priester des Wassers. Wahrscheinlich der einzige sexuell sehr aktive Mann, der nichts von der Priesterin des Feuers wollte. Selbst Finn konnte es sich nicht erklären, denn Rouven liebte Frauen und sie liebten ihn nun mal auch. Immerhin war auch er ein attraktiver, gut gebauter, junger Mann. Seine dunkelblonden Haare fielen leicht über seine Schultern und seine braunen Augen konnten jede Frau verzaubern. Wahrscheinlich war er betrunken, denn nur so konnte er solche Zeremonien überstehen. Aber Rouven war den Alkohol schon so gewöhnt, dass er völlig nüchtern aussah und auch noch bei ziemlich klarem Verstand war und noch immer gleich gut kämpfen konnte wie ohne einen einzigen Tropfen Alkohol. Finn konnte solche Zeremonien normalerweise auch nicht nüchtern überstehen, doch heute war alles anders. Es war die Beerdigung seines Vaters. Dieser Gedanke liess einen dunklen Schatten über sein Gesicht huschen. Destina trat schnell wieder vom Sarg weg und stellte sich auf die Seite zu ihrem Ritter. Jetzt war Finn an der Reihe, Abschied von Leonardo zu nehmen. Er lief auf den Sarg zu unter den Augen aller Anwesenden. Er betrachtete seinen Vater durch die Glasscheibe des Sarges, wie er da so friedlich mit einer roten Orchidee zwischen den Händen lag. Ein letztes Mal würde Finn seinen Vater nun sehen, bevor die Meister der Elemente seine Leiche verbrennen würden. Finn verkniff sich seine Tränen und drehte sich schnell wieder ab. Er stellte sich neben Destina hin und versuchte die Fassung wieder zu erlangen. Rouven warf ihm einen mitfühlenden Blick zu und Destina ergriff seine Hand, den Blick starr auf den Sarg gerichtet, das Gesicht wie in Stein gemeisselt. Eiskalt, völlig gefühllos und doch wunderschön. Nun schleppte sich Alvaro an den Sarg des Königs und betrachtete ihn, während in Finn bei diesem Anblick pure Wut aufstieg. Nach einiger Zeit hatte auch Alvaro sich verabschiedet und gesellte sich zu Finn und Destina. Die Priesterin der Erde begann zu sprechen: „Ein neues Leben entsteht durch das Geschenk der Fruchtbarkeit." Rouven fuhr fort: „Durch das Wunder der Geburt wird eine neue Person zum Leben erweckt." Dann setzte die Priesterin des Feuers ein: „Im Leben geht es darum Weisheit zu erlangen und diese einzusetzen." Und zuletzt sagte der Priester der Luft: „Im Leben wird man vor viele Aufgaben gestellt, die man mit Gerechtigkeit bestreiten muss." Und jetzt wäre der Moment an dem der Priester des Todes etwas sagen müsste, doch diesen Part übernahmen nun alle Priester gemeinsam. „Und am Ende eines Lebens ist der Tod. Der Tod jedoch ist kein Ende, sondern ein Neuanfang. Nur wenn ein Leben stirbt, kann ein neues Leben entstehen. So bleibt die Natur im Gleichgewicht und der ewige Kreislauf schliesst sich." Während sie das sagten, erhoben sie ihre Hände und bändigten die Elemente mit schwungvollen Bewegungen. Der Sarg wurde in Brand gesteckt und dann mit Wasser wieder gelöscht, die Asche wurde vom Wind davongetragen und wurde von der Erde aufgenommen.

Die Reise des DrachenmädchensWhere stories live. Discover now