23. Eine Suche ohne Aussicht

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Bereits kurz nachdem das Schiff vom Hafen abgelegt hatte, machte sich Jacks kleine Truppe an ihre Aufgabe. Da sie aber noch keinerlei Anhaltspunkte hatten, bestand diese Aufgabe bis dahin nur daraus, einfach den Strassen entlang zu schlendern und das Volk bei ihrer täglichen Arbeit zu beobachteten in der Hoffnung, dass sie irgendwo etwas Auffälliges entdecken könnten. Doch dem ganzen Trupp schien es wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wie sollten sie Leute
finden, die niemand hier kannte. Alle hofften auf Jack und darauf, dass er einen guten Plan im Gepäck hatte. Doch Jack schwieg. Sie begaben sich auf den Marktplatz und begutachteten die Ware, die die Bauern und Arbeiter versuchten zu verkaufen. Alle Marktstände waren umkreist von den fünf Tempeln der Meister, die man schon seit Anbeginn der Zeit verehrte und denen man Wünsche und Sorgen anvertraute. Noch als die Fabelwesen regierten, hatten die Leute immer mehr zu den Priestern aufgesehen. Jack jedoch wusste, dass diese Meister im Grunde genommen nur normale Bürger waren und sich nicht um die Sorgen des Volkes scherten. Es gab in jedem Tempel einen hohen Priester, jeder von ihnen galt als unsterblich, doch niemand war unsterblich. Sie wurden nur rechtzeitig durch ihre Nachkommen ersetzt und dem Volk wurde weiss gemacht, sie seien neu geboren worden. Somit war die einzige Verpflichtung, die ein hoher Priester hatte, mindestens einen Nachfolgen zu zeugen der des gleichen Geschlechts war und somit auch die Fähigkeit des Beherrschens seines Elements besass. Den Rest ihres Lebens konnten diese Priester dann tun, was sie wollten und niemanden kümmerte es, solange sie an gewissen Zeremonien anwesend waren. Damit das Volk weiterhin glauben konnte, es gäbe etwas Höheres, das die Kraft hat, Wünsche zu erfüllen und Sehnsüchte zu befriedigen. Es war schon lange klar gewesen, dass die Blutlinie der Elementbeherrscher etwas sehr Spezielles und Einzigartiges war. Denn vor langer Zeit als Fabelwesen die Norm waren, gab es unter tausenden Leuten einige Personen, die anders waren. Sie hatten diese unerklärlichen Fähigkeiten, was den Bürgern sofort grossen Eindruck machte. Die Leute begannen zu glauben, dass diese Meister, nebst den Fähigkeiten des Bändigen, über weitere, unvorstellbare Kräfte verfügten. Früher, als die Blutlinien der ersten Fabelwesen noch nicht verunreinigt waren, wurden die drei Herrscher demokratisch von den fünf Meistern gewählt, bis ein viel zu mächtiger Mann begann die Nachfolger der Priester zu manipulieren, damit sie für einen Monarchen stimmten. Und so dauerte es nur einige Generationen und die 3 Fabelwesen wurden von ihrer Machtposition vertrieben. Doch in dieser instabilen Zeit geschah etwas Schreckliches. Ausgerechnet der Meister, der Herr über den Tod war, beging Suizid. Das Volk war gelähmt, ihre Wahnvorstellung eines unsterblichen Wesens war zerstört. Der Meister des Todes hatte zwar bereits Kinder gezeugt, doch die gerieten im Laufe der Zeit jedoch in Vergessenheit. Aber ausgestorben war die Blutlinie bestimmt nicht. Davon war Jack überzeugt und würde er einmal einen Nachkommen ausfindig machen, wäre ihm der Sieg über die Monarchie sicher. Nach dem Suizid des Meisters des Todes hatte Leonardo seine Chance gewittert, um den Thron an sich zu reissen. Also entschloss er sich, die Schuld den Menschen in die Schuhe zu schieben. Angeblich hätten sie von ihrer Welt zu viel negative Stimmung gebracht und den hohen Priester des Todes so in den Suizid getrieben. Aber Leonardo sah auch eine grosse Möglichkeit für sich selbst in der Vertreibung der Menschen. Denn die Menschen brachten dem Volk ihre verwerflichen Ideen von Demokratie und von Bürgerbewegungen. Leonardo, der drauf und dran war Monarch zu werden, sah die Gefahr für seine Herrschaft in diesem Gedankengut. Und so kam es ihm gerade gerecht, die Menschen als Sündenböcke auf brutalster Weise aus seiner Welt zu vertreiben. Die anderen Herren der vier Elemente führten die Tradition weiter und waren bis heute noch Hohepriester in ihren Tempeln. Selbst der Tempel des Todes stand noch. In ihm fanden immer die Beerdigungen wichtiger Leute statt. Und so versuchte das Volk inmitten solch monumentaler Gebäude, die Geschichten voller Intrigen und Lügen erzählen würden, wenn man nur ihrem Flüstern lauschen könnte, das von dem Markt Getümmel übertönt wurde, ihre Ware zu verkaufen. Aber das Volk hatte andere Sorgen als das Spiel der Mächtigen und Reichen dieser Welt. Sie hatten kaum eine andere Möglichkeit, um an Geld zu gelangen, ausser diese Märkte. Immerhin mussten sie nicht nur eine Familie ernähren, sondern auch dem König hohe Steuern zahlen.
Der König. Das Volk wusste zwar, dass er tot war, aber bis jetzt hatte dies noch keine Auswirkungen auf ihr Leben gezeigt. Es würde ihnen erst bessergehen, wenn ein gerechter Herrscher an der Macht war. Natürlich hatte Jack insgeheim auf seinen Bruder gehofft, doch er wusste nicht inwiefern Finn ein guter Herrscher sein würde. Leonardo hatte ihn schliesslich nach seinen Moralvorstellungen erzogen. Aber Jack wusste genau so gut, dass sein Bruder ein gutes Herz und einen Sinn für Gerechtigkeit hatte. Immerhin steckte auch etwas von seiner Mutter in ihm. Und Jack pokerte nun auf diese gute Seite. Irgendwie würde er mit Finn Kontakt aufnehmen müssen, um ihn zu überzeugen auf den Thron zu steigen. Jack war aber natürlich genauso bewusst, dass Finn ziemlich wütend sein würde, schliesslich hatte er gerade seinen Vater verloren. Jack konnte sich nur noch zu gut erinnern, wie er sich gefühlt hatte, als seine Mutter ermordet worden war. Aber das war schon lange her und Jack hatte seine langersehnte Rache nun endlich bekommen. Der Mörder seiner Mutter hatte erhalten, was er verdiente. Jack musste jetzt nur noch herausfinden, wie er Finn eine Nachricht zukommen lassen konnte. Auch erhoffte er sich von seinem Bruder einige Informationen über Florence und Theo und natürlich auch Romina. Im Moment hatte er aber noch keinen konkreten Plan. Auch wenn er wusste, dass alle nur auf eine von Jacks genialen Ideen warteten. Doch Jack schwieg und so streiften sie von den Rittern unbemerkt über den Markt. Ohne Plan, ohne Orientierung und ohne Ziel. Aber Jack hatte eine Truppe bei sich, die ihm überallhin folgte und auch genau deshalb hatte er sie für diese schwierige Aufgabe ausgesucht. Jack blieb abseits des Marktes stehen, holte tief Luft und liess seinen Blick über das bunte Treiben schweifen. Kaufleute aus aller Welt und Einheimische begutachteten die Ware, die zum Verkauf stand. Jack sah keine wirklich glücklichen Gesichter, ausser die der Huren, die leichtbekleidet an den Ständen vorbeitanzten. Sie zogen die Blicke aller Männer auf sich. Selbst die Ritter des Königs, die auf ihren weissen Pferden ohne Rücksicht auf das Fussvolk durch den Markt streiften, schauten den hübschen Damen lüstern nach. Doch die silbernen Reiter waren im Dienst und hatten wohl den Auftrag, das Volk ruhig zu halten und sicherzustellen, dass nicht über den König gesprochen wurde. Jemand in der königlichen Burg war also noch in der Lage der Armee gut durchdachte Befehle zu erteilen. Ob es Finn war? Genervt rieb sich Jack die müden Augen. Er wusste, den ganzen Tag auf dem Markt zu verbringen, war reine Zeitverschwendung, also beschloss er seine Leute zusammen zu trommeln und sich zu beraten. Bereits nach kurzer Zeit hatten sich alle eingefunden und warteten auf eine Ansage von Jack. Vergebens. „Ich schlage vor wir suchen uns einen Ort, an dem wir ungestört bleiben und das weitere Vorgehen besprechen können. Denn ich bin momentan noch ziemlich ratlos, wo genau wir anfangen sollen", erklärte Jack kurz und warf einen Blick in die Runde. Die Gesichter wirkten nicht gerade begeistert, aber auch sie hatten keine bessere Idee, also folgten sie Jack durch die verlassenen Gassen, auf der Suche nach einem Gasthaus, in dem niemand Fragen stellen würde.
Gegen Mittag hatte sich schliesslich ein solches gefunden. Es lag ein wenig abgelegen vom Stadtzentrum, aber es schien dennoch ziemlich beliebt zu sein unter dem Volk. Ein prächtiges Schild lud die Gäste nach drinnen ein. Die Fünf Rebellen betraten das Haus durch eine knarrende Holztür. Viel war noch nicht los. Aber man konnte nichts Anderes erwarten, durch den Tag arbeiteten die meisten Leute, die in diesem Gasthaus Kunden waren. Hinter der Bar stand ein alter, dicker Mann, der die Theke mit einem schmutzigen Lappen putzte. Seine Glatze schimmerte voller Schweiss. Jack blickte sich in dem Raum um. Er war sehr gross, hatte viele Tische und neben der Theke führte eine hölzerne Treppe in das obere Geschoss. „Guten Tag", begrüsste der Mann Jack und seine Leute. Er drängte sich hinter der Theke hervor und schleppte sich zu seiner Kundschaft hin. Er wirkte etwas misstrauisch, denn mit den Stammkunden liessen sich Jack und seine Leute natürlich nur schwer vergleichen. Eine Truppe von seltsam gekleideten, komisch aussehenden Leuten, die mitten am Tag ein Gasthaus betraten. „Wie kann ich den Herrschaften denn behilflich sein?", erkundigte sich der Besitzer des Hauses. „Wir suchen nach einem Ort, um die Nacht zu verbringen", antwortete Jack auf seine Frage. Der Mann stemmte seine Hände in die Hüfte und musterte Jack, der vergeblich versuchte seine Waffen zu verbergen. „Leider kann ich euch im Moment nicht viel anbieten. Wir sind beinahe ausgebucht. Es gibt viele Leute, die gerne hier ihren Rausch ausschlafen. Was ich dir und deinen Freunden aber noch anbieten kann, ist ein kleines Hinterzimmer. Ich kann dafür sorgen, dass ihr alle ein Ort zum Schlafen habt, aber ihr müsstet natürlich kein Problem damit haben eng aufeinander zu leben. Dafür kann ich aber auch etwas mit dem Preis machen. Pro Nacht 12 Münzen. Die Matratzen könnt ihr euch aus dem Keller holen. Sind wir im Geschäft?", schlug der Besitzer vor. Jack verschränkte die Arme von der Brust und drehte sich zu den anderen um. Alle wussten, dass der Preis viel zu hoch war für bloss ein Zimmer, doch sie brauchten dringend eine Bleibe. Das Geld würden sie schon irgendwie auftreiben können. Also reichte Jack dem Mann die Hand. „Solange du das Zimmer nicht weitervermietest, bevor wir es dir sagen." Der Dicke nickte abschätzig und machte sich wieder an die Arbeit. Mit einem blassen Finger zeigte er auf eine alte Tür neben der Theke. „Dort findet ihr die Matratzen, eine liegt schon im Zimmer." Als Midori das hörte, lächelte sie und stieg die Treppe hinauf. «Ich geh schon einmal vor. Ihr müsst ja zuerst noch eure Matratzen holen gehen." Sie zwinkerte dem Rest zu und tänzelte die Treppe hinauf. „Zimmer 11, ganz hinten am Flur", bemerkte der Mann mürrisch und sank seinen Kopf dann wieder auf die Theke. Während Midori die Treppen hoch stöckelte, holte sich der Rest je eine der schmutzigen Matratzen, die in dem kleinen Hinterzimmer neben Bier und Mehl gelagert waren. Mühsam schleppten sie sie die Treppe hoch und den Gang entlang. Es dauerte lange, bis endlich alle für ihre Matratzen einen Platz im kleinen Hinterzimmer gefunden hatten und sich darauf niederliessen. Alice warf allen einen schweigenden, aber nicht gerade freundlichen Blick zu, was Midori die Augen rollen liess. „Können wir nun endlich besprechen, was wir jetzt genau tun wollen?", forderte die zierliche Midori leicht genervt. „Deshalb sitzen wir alle hier, Midori. Sei nicht so ungeduldig. Habt ihr denn irgendwelche Vorschläge, wie wir Theo und Flo aufspüren können?" Die Runde schwieg. „Das Volk weiss bestimmt etwas. Wir sollten uns einfach mal etwas besser umhören", schlug Ryan vor und da er der einzige zu sein schien, mit einer anständigen Idee, beschlossen sie, sich auf das Volk zu konzentrieren. „Keine schlechte Idee, kleine Ratte!" – „Es ist eine Maus, keine beschissene Ratte!", verteidigte sich Ryan wütend gegen Dravens provokativen Kommentar und strich der grauen Maus sanft über das Fell. Draven verschränkte die Arme gelangweilt vor der Brust. „Nur leider wird niemand ein Wort über den toten König verlieren. Nicht mit all den Rittern auf den Strassen. Wenn die erwischt werden, würden sie direkt im Kerker landen wegen Verrates und wir gleich mit ihnen. Streng dich ein wenig mehr an, Kleiner. So einfach, wie du dir das Ganze vorstellst, ist es nicht. Wir werden keine Informationen von dem Volk bekommen. Nicht einfach so", belehrte Draven Ryan und auch den Rest. „Das stimmt schon, aber hast du einen besseren Vorschlag?", erkundigte sich Jack mit genervten Augen. Draven warf ihm ein verschwörerisches Lächeln zu. „Wo sind wir denn hier?" „Na, in einem Gasthaus", antwortete Midori noch immer ungeduldig mit den Armen vor der Brust verschränkt. „Richtig und was tut das normale Volk in einem Gasthaus?", fragte Draven weiter. „Trinken", flüsterte Jack nachdenklich. „Trinken!", rief er und lachte in die Runde, „Natürlich! Du bist ein Genie Draven. Wir warten einfach bis die Gäste betrunken sind und dann besorgen wir uns die Informationen, die wir benötigen." Draven lachte zustimmend.

Die Reise des DrachenmädchensWhere stories live. Discover now