34. Keine Besserung in Sicht

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Und so waren sie nur noch zu zweit. Jack, der die Trauer über Alices Tod mit Alkohol runter zu spülen versuchte und Midori, die sich ihren Bogen geschnappt hatte und einige Zielübungen gegen die Holzwand des Gashauses vollbrachte. Doch nichts konnte den Gedanken an eine gute Freundin vertreiben. Es war helllichter Tag. Doch schönes Wetter war nicht. Nebelschwaden hingen zwischen den kaputten Häusern und den prächtigen Villen der Kaufleute. Die Sicht war beschränkt und nur einige Laternen an Häuserecken boten trostloses Licht. Die Welt schien in diesem Nebelmeer zu ertrinken. Oder sich darin zu verstecken. Vor dem Tod vielleicht. Vielleicht aber auch nur von dem Bösen, das diese Stadt förmlich heimzusuchen schien. Und Jack fühlte sich alleine. Überfordert von diesem Bösen, das es zu bekämpfen galt. Ohne Alice schien alles sofort viel schwerer und hoffnungsloser. Alles was Jack versuchte, war dieser Stadt ihre Freude und Lebenslust wieder einzuhauchen, doch nichts schien ihm zu gelingen. Nichts lief nach Plan. Überhaupt nichts. Zu viele gute Leute mussten ihr Leben bereits für Jacks Traum von Besserung lassen. Er hatte das alles zu verschulden und er wusste es genau. Er machte sich Vorwürfe. Hätte er doch alles besser geplant. Hätte er nur nicht auf Finn gehofft. Hätte er auf Draven gehört und wäre im Gasthaus geblieben. Egal wie Jack sich entschied, es schien stets die falsche Entscheidung zu sein. Der Anschlag auf den König war perfekt geplant. Und doch sind Dinge falsch gelaufen. Florence war gefangen und wer weiss wie lange sie es im Kerker noch überleben würde. Theo war ermordet. Musste sein Leben geben. Doch er war ein Held. Ein viel besserer Mann, als es Jack jemals sein würde. Theos Herz schlug für Liebe und Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Er liebte jeden, wäre gestorben für jeden. Und genau solche Leute vermisst man am meisten. Er hat, als er noch unter den Lebenden wandelte, alles gegeben egal für wen, und nie wurde er für seine Taten ausreichend belohnt. Nein, am Ende wurde ihm auch noch das Leben genommen. Es war einfach nicht gerecht. Jack sass an diesem Tisch, trank schlechtes Bier und erfreute sich bester Gesundheit, während so viele seiner Freunde nicht mehr bei ihm waren. Er schloss für einen kurzen Moment die Augen. Theos Augen und Alices Lachen blitzten vor seinen Liedern auf. Schlagartig riss er die Augen wieder auf. Er ertrug den Schmerz nicht länger. Oh Alice, seufzte es in seinem Kopf. Sie war seine beste Freundin gewesen. Hatte immer zu ihm gehalten und ihn gegen jeden Feind verteidigt. Sie war die treuste Person, die Jack jemals kennenlernen durfte in seinem ganzen Leben. Und doch hatte sie ihren eigenen innovativen Kopf, gute Ideen und schlagkräftige Argumente. Und auch sie wurde viel zu früh aus dem Leben gerissen. Sie war noch so jung, hatte noch ihr komplettes Leben vor sich. Hätte der Pfeil doch bloss Jacks Herz durchbohrt. Was hatte sie sich auch dabei gedacht. Jack hätte sein Leben gerne gegeben, um ihres zu retten. Doch er hatte die Gefahr nicht erkannt. Er hatte versagt und konnte sie nicht beschützen. Je mehr er darüber nachdachte desto mehr Schuldgefühle entwickelte er. Er hob seinen Blick vom leeren Becher und schaute Midori an. Ihr Gesicht war eisern. Ihr Blick fokussiert. Sie schien kaum mitgenommen von den Ereignissen. Jack wusste weshalb. Denn Midori lebte stets mit dem Blick in die Zukunft gerichtet. Was passiert war, liess sich nicht mehr ändern. Und genau deshalb liess sie die Vergangenheit nicht zu viel Platz einnehmen in ihren Gedanken. Wünsche brachten nur dann etwas, wenn sie sich in die Zukunft richteten. Denn hier besass man noch die Macht, etwas zu verändern.
Jack wischte sich eine Träne von der Wange. Schluss damit. Trauern brachte nichts. Am wenigsten den Toten. Jacks Blick wurde entschlossen. Bereit etwas zu ändern. Es war Zeit dafür. Er hatte Fehler gemacht, ja. Wer nicht? Aber er hatte auch viel richtig gemacht. Der König war tot, was ein grosser Schritt war. Jack holte tief Luft, füllte seine Brust und erhob sich schweren Herzens vom unbequemen Stuhl. Er würde nicht auch noch Midori verlieren. Er würde niemanden mehr verlieren. Nicht Liv, nicht Cleo und auch nicht Flo. Und hoffentlich auch nicht Draven. Wer wusste, wo der steckte und ob er die gestrige Falle überlebt hatte. Jack hoffte es aus tiefstem Herzen. Er hob seinen Fuss. Ging einen Schritt. Es schien ihm schwerer zu fallen als üblicherweise. Doch er musste das tun. Die Toten liessen sich nicht mehr zurückbringen, sie waren verloren, für immer. Jack wollte sie in guter Erinnerung halten. An sie denken und lächeln, denn das wäre, was Alice und Theo wollen würden. Es fühlte sich wie eine riesige Erleichterung an. Eine Last, die von Jacks schmerzenden Schultern fiel. Er tat den nächsten Schritt, der fiel ihm bereits viel leichter. Dann schon der nächste. Es ging viel schneller. Und Schritt für Schritt wurde Jacks Herz freier. Frei von diesen bedrückenden Gedanken, frei von Schuldgefühlen und Vorwürfen. Midori nahm ihren Bogen runter und beobachtete Jack, wie er sich ihr näherte. Zuerst langsam, dann immer schneller. Sie schaute ihn an, blickte in seine Augen und erkannte seinen inneren Kampf. Sie liess den Bogen auf den harten Boden fallen. Sie wusste selbst nur zu gut, wie schwer dieser Abschied von der Trauer und den negativen Gedanken war. Schwarze Arme, die an Jacks Schultern zogen und ihn zurückhalten wollten. Er musste jetzt stark sein und sich von allem Negativen lösen. Durfte diese bösen Gestalten nicht gewinnen lassen. Midori hatte dasselbe auch schon durchleben müssen. Doch jetzt fühlte sie sich viel freier. Keine Vorwürfe und Schuldgefühle mehr. Der Tod war ein natürlicher Teil des Lebens. Man darf die Toten nicht betrauern, man muss sich freuen über die schöne Zeit, die man mit ihnen verbringen durfte. Midori lächelte Jack an. Hoffnung in ihren Augen. Sie hielt ihm die Hand hin und Jack griff danach. Erst zögerlich, doch dann wusste er endgültig, dass es das Richtige war. Er liess die dunklen Gestalten hinter sich und trat zu Midori ins Licht. „Oh Jack", flüsterte sie glücklich lachend. Sie zog ihn näher an sich heran. Schaute ihm tief in die Augen und erkannte, dass er es tatsächlich geschafft hatte. Die schwarzen Hände waren weg. Hatten gegen Jacks Willenskraft verloren. Midori lachte und drückte ihn fest an sich. Wärmte seinen kalten Körper mit ihren weisen Händen. Jack genoss diese Wärme der Umarmung. Er schloss seine Augen für einen kurzen Moment und nichts geschah. Kein Gesicht seiner alten Freunde tauchte auf. Erleichtert öffnete er seine blutroten Augen wieder. Er hatte es geschafft.
In diesem Moment wurde die Tür des Gasthauses wütend aufgestossen und ein schwacher, blutüberzogener Draven betrat den trostlosen Raum. Er erblickte Midori und Jack, die sich in den Armen lagen. „Ach, beachtet mich gar nicht! Bei mir geht auch alles wunderbar", rief er spöttisch. Jack riss sich aus Midoris Armen frei und eilte zu seinem Freund hin. „Draven!" „Ja ich bin's, wer hätte das gedacht?", antwortete Draven mit wutentbrannten Augen. Er humpelte einige Schritte. Doch als Jack ihm zu Hilfe kommen wollte, schlug er seine helfende Hand zornig weg. „Ich schaff' das auch alleine", funkelte Draven seinen Freund an und liess sich schwach auf einen Stuhl fallen. Jack, irritiert von Dravens abweisendem Verhalten, setzte sich ihm gegenüber. Er war so froh, dass Draven noch lebte. Aber Draven schien eher weniger froh darüber, Jack zu sehen. „Soll ich dir irgendeine Medizin mischen, Draven?", fragte Midori aus dem Hintergrund. Draven warf ihr über die Schulter einen wütenden Blick zu. Midori machte wissend einen Schritt zurück und eilte dann die Treppen hoch. „Wenn mir mal irgendjemand etwas Wasser und ein Tuch hätte, wär' das sehr freundlich!", rief Draven in die Richtung des Wirtes, der unschlüssig hinter der Theke stand mit einer schweissnassen Glatze. „Draven, ich kann nicht beschreiben, wie froh ich bin, dass du lebst", erklärte Jack mit einem Lachen im Gesicht. „Aha", brummte Draven, während er seine Wunden inspizierte. Er warf Jack einen vorwurfsvollen Blick zu und lehnte sich seufzend zurück. Jacks Lachen verschwand und seine Stirn legte sich in denkende Falten. Jack verstand einfach nicht, warum Draven so aufmüpfig und negativ war. Immerhin war er am Leben und nicht schwer verletzt. Die junge Bedienung riss die beiden Freunde aus ihrem eisernen Blickkontakt. Sie eilte zu Draven und kniete sich neben ihn hin. „Hier trink das", sprach sie leise und reichte Draven ein Glass Wasser. Während er das trank, zupfte Hazel ein Tuch aus ihrem Gurt und begutachtete Dravens Wunden. Sein Gesicht sah ziemlich schlimm aus. Aufgeplatzte Lippe, blaues Auge, blutende Nase und viele Schrammen. Dazu kam, dass in seinem Oberschenkel ein Pfeil steckte und auch seine Arme hatte einiges abbekommen. Die Bedienung schien nicht verwundert, es war wohl nicht das erste Mal, dass sie sich um einen Verletzten kümmern musste. Sanft wischte sie das Blut aus Dravens Gesicht. Etwas widerwillig hielt er still und liess sich verarzten. Das Letzte, was er wollte, war diesem Mädchen Angst zu machen. „Draven, jetzt erzähl doch, was ist passiert?", hackte Jack nach. „Was passiert ist?", wiederholte Draven und warf Jack einen genervten Blick zu, „Du bist einfach abgehauen und hast mich im Stich gelassen, das ist passiert!" Jack verschlug es die Sprache. Er wollte widersprechen. Doch dann fiel ihm auf, dass Draven Recht hatte. Er war einfach aus der Burg gerannt, ohne an Draven zu denken, ohne nach ihm zu suchen und ihm zu helfen. Jacks Blick wanderte schuldbewusst auf den Boden. Draven nickte und verzog sein Gesicht vor Wut. „Ja", flüsterte er ohne Jack aus seinen aufmerksamen Augen zu lassen, „zum Sterben zurückgelassen hast du mich. Ich musste mich alleine durchschlagen. Gegen die Ritter kämpfen, sie alle töten und aus der Burg verschwinden. Alles auf eigene Faust. Ich war auf mich alleine gestellt und hatte keinen Ausweg in Sicht ausser zu kämpfen. Mir blieb keine andere Wahl... Ich habe sie alle getötet." Für einen kurzen Moment hielt Draven inne, beobachtete die Reaktion in Jacks Gesicht und biss die Zähne zusammen, als Hazel ohne Vorwarnung den Pfeil gekonnt aus seinem Bein zog. Sie presste ein Tuch auf die Wunde gegen die Blutung. Draven liess sich den Schmerz nicht anmerken. „Und eins steht fest, Jack, wärst du an meiner Stelle gewesen, wärst du jetzt tot. Ich verdanke mein Leben nur mir selbst und meinen Fähigkeiten, du hast überhaupt nichts für mich getan. Und weisst du was, unsere Freundschaft ist hiermit beendet. Ich gratuliere dir Jack, das hast du toll hingekriegt!", bemerkte Draven mit unüberhörbarem Hohn in seiner Stimme. Dann richtete er sich auf und verschwand die Treppen nach oben in sein Zimmer. Hazel beobachtete ihn verwirrt und machte sich Sorgen um seine schlimmen Verletzungen. Sie müssten besser behandelt werden. Doch sie durfte nichts tun ohne die Erlaubnis des Wirtes. Schweigend griff sie nach dem leeren Glas und dem blutigen Tuch und verschwand hinter die Theke. Jetzt kam Midori verwirrt die Treppen hinunter. In ihrer Hand eine Reihe von kleinen Fläschchen und Schalen. Fragend warf sie Jack einen Blick zu. „In seinem Zimmer", erklärte er Midori kurz und blieb dann alleine in dem grossen Raum sitzen. Unschlüssig was er jetzt tun sollte. Sein Brustkorb schmerzte. Es schmerzte ihn zu wissen, dass er gerade seinen besten Freund verloren hatte. Und dies nur wegen einer unüberlegten, blödsinnigen Tat. Ein Moment, in dem er einfach nicht an alles denken konnte. Alles was er gedacht hatte, als Alice leblos vor ihm lag, war die Flucht aus dieser verdammten Burg. Aber er wusste selbst nicht, wie er seinen besten Freund vergessen konnte. Doch er musste sich zusammenreissen, sonst hätten ihn die dunklen Gestalten wieder in ihrer Gewalt und das konnte Jack nicht zulassen. Er musste jetzt einfach die beschützen, die ihm nach alldem noch blieben.
Ein sanftes Klopfen riss Draven aus einem unruhigen Schlaf. Er richtete sich auf und bemerkte dabei schmerzhaft seine Wunden. Er hatte Glück gehabt, nicht jeder wäre aus dieser Lage lebendig wieder rausgekommen. Midori hatte irgendwelche Salben auf die offenen Wunden gestrichen und ihm etwas zur Beruhigung gegeben, danach war er eingeschlafen. Jetzt war es mitten in der Nacht. Kein Sonnenlicht, das durch das kleine, schmutzige Fenster in sein ebenso kleines und schmutziges Zimmer drang. Die Dunkelheit regierte die Strassen. Ein fahler Lichtstrahl drang durch die Tür zu Draven. Die zierliche Hazel schlich sich in sein Zimmer. Verwundert über diesen Besuch fehlten Draven die Worte. „Faro der Gastwirt schickt mich", sprach sie mit sanfter Stimme, legte die Kerze ab und stellte sich direkt vor das Bett, „Ich soll dir als Geschenk zur Entspannung dienen." Draven runzelte verwirrt die Stirne. „Was soll das bedeuten?". Doch seine Frage erübrigte sich. Hazel liess ihr Kleid langsam über ihre Schultern gleiten bis ihre Brüste und schliesslich auch ihre Hüfte entblösst waren. Draven war sprachlos und verstand die Welt nicht mehr. Sie konnte nicht älter als 16 sein. Doch er hatte seine Zunge verschluckt. Hazel hob ihren Kopf, versuchte sich ihre Unzufriedenheit nicht anmerken zu lassen und kniete sich zu Draven aufs Bett. Langsam kam sie ihm immer näher. Doch als sie ihre Hand in seine Hose gleiten lassen wollte, drückte Draven die junge Frau hastig von sich weg. „Was wird das?", fragte er noch immer verwirrt. Hazel kniete sich vor ihn hin, schaute ihm in die dunklen Augen. Gute Augen. „Ich bin dein Geschenk." Und wieder, als sie sich ihm nähern wollte, drückte Draven sie von sich weg. „Wow, wow, wow. Nur mit der Ruhe. Ich habe aber kein Geschenk bestellt und schon gar nicht so eines", meinte Draven. Hazel rührte sich nicht. Sie war unschlüssig. „Aber Faro will es so. Ich gehorche nur seinem Wort", versuchte sie zu erklären. „Ich will das aber nicht", antwortete Draven schnell und hielt ihr die Decke hin, damit sie sich bedecken konnte. „Hör zu, sag diesem Faro ich nehme sein Geschenk nicht an, es entspricht nicht meinen Vorstellungen eines Geschenkes." Hazel war verdutzt. „Ich gefalle dir nicht?", erkundigte sie sich mit gerunzelter Stirne und zog die Decke höher. „Du bist doch erst...", Draven stotterte. „Was?", hackte Hazel bestimmt nach. Draven riss sich zusammen, schaute Hazel in ihre wunderschönen dunkelbraunen Augen. „Hör zu, Hazel. Du bist keine Hure, du bist beinahe noch ein Kind. Und ich brauche auch wirklich keine Entspannung gerade. Bestimmt nicht diese Art von Entspannung. Ich werde es diesem Faro schon erklären. Ich weiss, ich kenne dich kaum, aber ich sehe doch, dass du ein schlaues und starkes Mädchen bist. Das hier bist nicht du. Bitte, mit allem Respekt, geh wieder in dein Zimmer und leg dich schlafen, ich überlebe diese Nacht auch ohne ein Geschenk", erklärte Draven mit ernsten Augen. Er konnte es immer noch nicht fassen, was gerade geschehen war. Hazel schien es einzusehen, doch sie bewegte sich nicht. „Du verstehst es nicht, es ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst. Faro wartet auf mich. Er lauscht und wird sich danach erkundigen, ob du zufrieden mit meinen Diensten warst. Wenn du nicht zufrieden bist oder wenn es nicht zu Sex kommt, wird er...wird er mich bestrafen und es ist...", auf einmal verlor ihre Stimme an Stärke und sie wandte ihren Blick ab. „Ach, wieso erzähle ich dir das", flüsterte sie leise und erhob sich vom Bett. Da fiel Dravens Blick auf ihren Rücken, der von dicken Narben bedeckt war. Sie griff eilig nach ihrem Kleid und streifte es sich über. Da wurde Draven einiges klar. Er versuchte so schnell es ging aufzustehen und packte Hazel am Arm. „Was sind das für Narben auf deinem Rücken?", fragte er besorgt. Sie schaute ihm in die Augen, bereit ihm alles zu erzählen, doch dann brach sie ein. „Ich kann dir das nicht sagen. Es würde alles nur schlimmer machen. Lass mich bitte gehen", meinte sie knapp und wollte aus dem Zimmer verschwinden. „Hazel!", rief Draven ihr hinterher. Sie blickte ihn über die Schulter an. Ihre Augen waren mit Tränen gefüllt und schrien nach Hilfe. Dann wandte sie den Kopf schnell wieder ab und ging weiter. Doch Draven konnte sie nicht gehen lassen. Er fühlte sich verantwortlich für die junge Frau. Er hinkte ihr hinterher, bekam sie zu fassen und drückte sie gegen die Wand. „Du weisst, was ich diesem Faro antue, wenn er tatsächlich eine Minderjährige missbraucht", flüsterte er wütend, „Ich muss es wissen." Er blickte in ihre braunen Augen, aus denen Tränen quollen. Sanft wischte er sie von ihrer Wange fort. Sie genoss seine Berührung und nickte ihm einverstanden zu. Draven zog sie zurück in sein Zimmer, wo sie sich auf das Bett setzten und einfach nur miteinander sprachen. Hazel hatte sich an Dravens verletzte Brust gekuschelt. Er strich ihr liebevoll und verständnisvoll über die langen Locken. „Also was ist das mit diesem Faro?", kam Draven schliesslich auf dieses Thema zurück. Hazel schluckte kurz, sie mochte es nicht, darüber zu sprechen. Aber Draven hatte es nun verdient die Wahrheit zu kennen. Und gleichzeitig hatte sie bei ihm ein warmes, vertrautes Gefühl, das sie seit Jahrzehnten nicht mehr gekannt hatte. Ihr Blick war starr an die dunkle Wand gerichtet, als sie zu erzählen begann. „Faro hat mich aus dem Waisenhaus geholt. Meine Eltern sind schon gestorben als ich noch an meinem Daumen gelutscht habe. Alles, was ich noch von ihnen habe, ist dieser kleine Schlüssel", Hazel zeigte Draven einen kleinen silbernen Schlüssel, den sie an einem alten Lederbändchen um den Hals trug, „Faro hat mich aufgenommen, mir ein Zuhause geboten. Und alles, was ich dafür tun musste war arbeiten. Wasser holen, putzen, kochen, die Gäste bedienen und all das Zeug halt. Und als ich dann 13 war, hat er angefangen mich in die Zimmer der Männer zu schicken. Ich sollte mich ausziehen und zu den Männern ins Bett steigen, er sagte, ich würde dann schon lernen, was zu tun sei. Manchmal bekommt er Geld dafür, manchmal soll es aber auch nur zur Unterhaltung eines schlecht gelaunten Gastes dienen. Doch wenn ich mich geweigert habe zu den Männern zu gehen, hat er mich ausgepeitscht." Draven war sprachlos. Wie konnte jemand so etwas einem kleinen Mädchen bloss antun. Für ihn war es unbegreiflich. Doch auch er wusste, wie hart diese Stadt sein konnte. „Wieso bist du nicht einfach abgehauen? Deine Sachen gepackt und dann einfach weg." Hazel zuckte die Schultern. „Wo soll ich denn hin? Dieses Gasthaus ist alles, das ich habe und kenne. Ich wäre verloren in dieser riesengrossen Stadt", meinte sie mit einem traurigen Lächeln. „Irgendwann verschwinden wir gemeinsam. Nicht nur aus diesem Gasthaus, sondern aus der ganzen Stadt. Es gibt noch so viel mehr..." Hazel lachte. „Das würdest du tun?" Sie blickte ihn strahlend an. Draven nickte und presste Hazel an seine Brust. Er hatte das Gefühl, dass sie dringend jemanden brauchte, der sie beschützte und ihr half auf den eigenen Beinen zu stehen. Er wusste selbst gut, wie hart das Leben sein konnte. Hazel fühlte sich an wie Familie. Er würde sich um sie kümmern. „Für dich würde ich das tun", flüsterte er. Hazel strahlte ihn träumerisch an. „Ich hätte so gerne ein anderes Leben", flüsterte sie und fiel ihm um den Hals. Draven stöhnte leicht, da Hazel eine Wunde berührt hatte. Sie entschuldigte sich verlegen. Doch ihr Lächeln war bald verflogen. „Ich muss jetzt wieder gehen, sonst wird Faro noch misstrauisch." „Ich werde ihm mitteilen, dass ich sehr zufrieden mit deinen Diensten war", meinte Draven mit einem Lachen und Hazel huschte leise aus dem Zimmer.

Die Reise des DrachenmädchensWhere stories live. Discover now