Kapitel 36 - Warten

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Evelyn's POV:

Über eine Stunde saß ich jetzt schon hier. Ich wartete und wartete.

William war mit allen Anderen nach Hause gekommen, und hatte mir und Olivia erzählt, was passiert war. Irgendwie hatten sie auch noch ein Mädchen gefunden. Ich hatte sie nur kurz gesehen. Eigentlich sah sie sehr nett aus, aber Justin war mir wichtiger. Ich würde mich später, wenn es ihr ein wenig besser ging, um sie kümmern. Vielleicht konnten wir uns ja dann anfreunden.

William hatte gemeint, er würde mich hierherfahren. So kam es dazu, dass wir beide hier saßen und warteten.

Justin musste operiert werden. Wie lange die OP noch dauerte, konnte uns keiner sagen. Nur waren sie jetzt schon 3 Stunden dabei, was mir Sorgen machte. Noch mehr Sorgen, als ich sie überhaupt schon hatte.

Was ist, wenn er nicht überlebt?

Ich hatte so verdammt Angst, dass er es nicht schaffen würde. Und obwohl ich mich grad dafür ohrfeigen konnte, dass ich hier war, wollte ich nicht hier weg. Ich musste ihm zur Seite stehen und ihm helfen. Trotz allem, was er getan hatte, liebte ich ihn.

Plötzlich betrat ein Mann mit einem großen, weißen Kittel den Raum. Das war dann wohl der Arzt.

"Angehörige von Mr. Bieber?", fragte er, obwohl wir die Einzigen in diesem Raum waren. Alle Anderen, die hier warteten standen im Flur. Sie hatten wahrscheinlich nicht die Ruhe, um sich hierhinzusetzen. Aber mir bleib nichts anderes übrig.

William und ich nickten und der Arzt zeigte uns, dass wir ihm folgen sollten. Er führte uns zu einem Raum, der etwas abgelegen von den anderen war.

"Sie müssen sich ruhig verhalten. Die OP ist gut verlaufen, und er wird so in spätestens einer Stunde aufwachen. Wenn das der Fall ist, rufen sie bitte eine Schwester, die das notiert, ok?"

Wieder nickten wir beide, und gingen schließlich rein.

Als ich Justin sah, fing ich an zu schluchzen und hielt mir die Hand vor den Mund. Er war mit vielen Schläuchen an Maschinen verbunden, die rund um seinen Körper verteilt waren. Sein Anblick lies mich erschaudern.

Seine Augen waren natürlich geschlossen und sein Atem war ruhig. Tränen kullerten immer noch über meine Wangen, die einfach nicht aufhören wollten.

Eigentlich sollte ich wohl froh sein, dass er überhaupt noch lebte. War ich ja auch, aber ich wollte, dass er zu Hause und glücklich war. Sofern man das sein konnte.

Ich trat einen Schritt näher, um Justin etwas besser erkennen zu können. Er sah so unbeschwert aus. Obwohl er diese ganzen Schläuche um und an sich hatte und im Krankenhaus lag, weil er angeschossen wurde, sah er zufrieden aus.

Klar, er lächelte nicht. Aber zum ersten Mal sah ich ihn ohne diese Falte zwischen den Augenbrauen. Sein Gesicht sah aalglatt aus, wenn nicht sogar ein wenig zu glatt. Er war totalweiß, und ich fragte mich, ob mit ihm echt alles ok war. Aber das war es wohl.

Die Ärzte hatten gesagt, dass alles gut wäre. Dass er in spätestens einer Stunde aufwachen würde. Ich glaubte den Ärzten, auch wenn sie mir das alles nicht versichern konnten. Er konnte trotzdem noch sterben. Weitere Tränen liefen meine Wangen hinunter und weitere Schluchzer verließen meine Kehle. Doch trotzdem dachte ich weiter.

Was, wenn das hier das Ende war? Das endgültige Ende? Was war, wenn Justin gleich nicht aufwachen würde? Ich wusste nicht, wie ich reagieren würde. Ich hatte keine Ahnung. Das alles war so komisch.

Ich war hier her gefahren, weinte und konnte damit ich gar nicht mehr aufhören, und das, obwohl wir uns getrennt hatten. Obwohl ich nichts mehr von ihm wissen wollte.

Dabei wusste ich die Antwort für die Frage genau. Sie gefiel mir nur nicht, weshalb ich sie nicht aussprach. Die Antwort war schlimm.

Nie in meinem Leben könnte ich es verkrafte, wenn Justin vor mir sterben würde. Ich würde damit einfach nicht klarkommen. Ich wusste zwar nicht, zu was ich dann fähig war, aber ich würde mir wahrscheinlich das Leben nehmen, wenn mich gerade keiner beobachtet.

Ich liebte Justin noch viel stärker, als ich es jemals getan hatte. Die letzten Tage, in denen wir keinen Kontakt hatten, hatten meine Gefühle für ihn nur noch stärker gemacht. So stark, dass mein Herz schon fast blutete. Blutete, weil ich ihm nicht verzeihen wollte. Mein Kopf sagte 'Nein', während mein Herz genau das Gegenteil sagte.

Ich hatte die gesamte Kontrolle über meinen Körper verloren.

Die ganze zeit, in der ich das gedacht hatte, hatte ich einer geweint und geschluchzt. William strich mir beruhigend über den Rücken, was mir aber kein bisschen half. trotzdem war ich froh, dass er hier war und mir zur Seite stand. Aber das konnte er ja auch mal machen, nachdem er mich 18 Jahre allein gelassen hatte.

William umarmte mich schließlich, was ich erwiderte. Das war das einzige, was mir wenigstens etwas Beruhigung gab. Auch, wenn es nur eine Umarmung von einem Typen war, den ich alles andere als mochte.

Nachdem wir wieder nebeneinander standen, ging ich noch einen Schritt näher an Justin's Bett. Immer noch lag er seelenruhig da. Was sollte denn auch passiert sein?

Vorsichtig nahm ich seine weiche, aber kalte Hand in meine. Sachte streichte ich darüber. Er regte ich immer noch kein Stück.

Doch plötzlich zuckten seine Finger ein wenig. Ich dachte ich hätte mich nur getäuscht, weil ich so sehr wollte, dass er jetzt aufwacht, aber er bewegte sich wirklich. Langsam drückte er meine Hand. Ein paar Sekunden später fingen seine Augen an zu zucken. Als er sie dann langsam öffnete schaute er mir sofort in die Augen.

Wieder spürte ich die Schmetterlinge, die glücklich in meinem Bauch umher turnten. Ein wohliges Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. Sichtlich erleichtert lächelte ich Justin an.

Trotzdem wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Wenn ich jetzt so nett zu ihm war, dachte er, ich würde wieder mit ihm zusammen sein wollen. Aber das wollte ich ja nicht. Ok, ich wollte, aber konnte nicht. Ich durfte ihm keine falschen Hoffnungen machen.

Justin lächelte mir vorsichtig zurück. Ich hatte seine Hand immer noch in meiner, während wir uns einfach anguckten. Irgendwann hatte ich das Gefühl Justin wolle mir etwas sagen, weswegen ich ruhig wartete.

"Ly...", sagte er und atmete ruhig ein und aus.

Out of ControlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt