Kapitel 16 - Realität

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"Ähm..Ja..Ich heiße Emma Harsen, bin 18 Jahre alt und komme hier aus New York. Hier bin ich zur Schule gegangen und hatte ein paar Freunde..", sagte ich und zum Ende wurde ich immer leiser. Nicht, weil ich irgendwen vermisste, sondern weil ich mich einfach fragte, warum ich von mir erzählen sollte. Und vor allen Dingen, was? In meinem Leben gab es nichts Spannendes. 

Das war wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass ich mein altes Leben nicht vermisste, es hier jetzt sogar toll fand. Ich hatte nur 2 Freundinnen, keinen Freund, keine tollen Eltern, nichts. Hier hatte ich Daniel und Jaden, die ich schon, zumindest ein bisschen in mein Herz geschlossen hatte. und ich hatte Justin. Der Kerl, der mir irgendwie den Kopf verdreht hatte. Bei dem ich mich sicher und geborgen fühlte. Der Typ, der mich Sachen fühlen ließ, von denen ich dachte, es gäbe sie gar nicht. 

Dieses Leben fand ich einfach spannender, das was ich brauchte. Auch wenn es gefährlich war, was ich ja schon selbst mitbekommen hatte, mochte ich es. Und ich hätte nie gedacht, dass ich so Action-Zeugs mögen würde. Ich war eher ein typisches Mädchen, aber so konnte man sich in sich selbst irren, wenn man nicht wusste, wer man von der Persönlichkeit her war.

Ich wurde von einer Handbewegung vor meinem Gesicht aus meinen Gedanken gerissen. Jaden wedelte mit seiner Hand wild vor meinem Gesicht rum und wollte, dass ich ihm wieder meine Aufmerksamkeit schenkte. Oh man...Warum war ich so oft, so tief in Gedanken?  Das war echt nicht mehr normal. Ich bekam ja nichts mehr mit.

"Evelyn, bist du noch da? Ist irgendwas?"

"Ja. Ja, alles gut.", meinte ich verwirrt und lächelte Jaden schüchtern an. 

"Möchtest du nichts über dich erzählen?", fragte Jaden mich in einem ruhigen Ton.

"Würde ich ja gerne. Aber mein Leben ist, oder war nicht so spektakulär, wie zum Beispiel deins.", meinte ich traurig.

Und ja, ich war traurig. Über alles. Mein ganzes Leben hatte ich fast noch nichts erlebt. Ich war 18 und hatte fast nichts von der Welt gesehen, obwohl wir nicht gerade wenig Geld hatten, und uns einen Urlaub ganz sicher leisten konnten. Man musste mich erst entführen, aus welchem Grund auch immer, damit ich wenigstens etwas erlebte. Ob eine Schießerei jetzt das war, was ich erleben wollte, war fraglich, aber es lies mich endlich mal etwas lebendig fühlen.

Auch als William mich in dem Raum eingesperrt, und mich geschlagen hatte, fühlte ich mich wenigstens mal lebendig. Sonst war ich immer eine Hülle, die jeden Tag das selbe machte. Wie bei einer Maschine, die immer alles wiederholte. Das tat ich täglich. Morgens früh aufstehen, zur schule gehen, nach Hause kommen, Hausaufgaben machen, eventuell mit Freunden treffen und dann schlafen gehen.Immer das Selbe. Und meine Eltern interessierten sich einen Scheißdreck für mich. Ich war so sauer. 

Sauer auf meine Eltern, weil sie das nicht merkten.

Sauer auf mich selbst, weil ich es mir gefallen lies.

Aber damit war jetzt Schluss. Ich hoffte einfach, dass ich nie wieder nach Hause musste und einfach bei Justin bleiben konnte. Hier war ich erstaunlicherweise glücklich. Das hätte ich mir zum Beispiel direkt nach meiner Entführung nie denken können. Nicht mal ansatzweise. Aber so war es jetzt nun mal. 

Jaden nickte verständnisvoll und schaute mich mitleidig an. 

"Kannst du auch was über dich erzählen?", fragte ich mutig, da ich Jaden gegenüber noch nicht ganz so sicher war, wie bei Justin. Aber so schlimm wie bei William war es dann auch nicht, worüber ich sehr froh war.

"Hm....Eigentlich weißt du alles über mich. Weißt du, mein Leben ist auch nicht gerade viel spektakulärer, nur weil ich mit der Mafia zu tun habe. Ich erlebe hier und da mal spannendere Sachen, aber ich bleibe trotzdem der Sohn von William, Bruder von Daniel und bester Kumpel von Justin. Neue Freunde oder so finde ich relativ selten. Du bist da jetzt wohl mal eine Ausnahme."

Ich war überrascht von seinen Worten. Ich hätte nicht gedacht, dass er so über sein Leben dachte. Aber für ihn war alles, was er hier erlebte normal. Deswegen war es für ihn nicht spektakulär. Als Mensch fand man immer die Dinge am besten, die man nicht hatte, oder nicht durfte. Es ist immer so. Genau so ist es jetzt gerade, nur dass ich mein ganzes Leben darunter gelitten hatte.

"Wollen wir wieder zu Daniel und Justin gehen? Ich glaube die haben sich zu Ende gestritten, wenn sie sich nicht schon geschlachtet haben", meinte Jaden und guckte mich lächelnd an. Ich nickte ebenfalls lächelnd, und wir machten uns auf den Weg zurück ins Wohnzimmer.

"Da sind wir wieder. Habt ihr euch auch wieder eingekriegt?"

Als Justin mich sah, winkte er mich zu sich, worauf ich mich neben ihn setzte. Ich konnte es noch tausend mal sagen, aber er brachte mich einfach um den Verstand. Allein sein Lächeln, was er mir gerade schenkte. 

Daniel fing jetzt an zu sprechen. "Ja. Justin's Idee war einfach nur hirnrissig. Aber da können wir ja jetzt nichts mehr machen. Außerdem hatte er einen guten Grund", dabei lächelte er mich an. "Wir töten die einfach, und versuchen das zu vertuschen, damit William, John und Richard nichts davon heraus finden. Das wird sonst für keinen von uns gut enden."

Okay. Wenn die das hinbekommen würden. Ich konnte denen ja nicht groß helfen. Aber eine Frage hatte ich trotzdem noch.

"Was mache ich jetzt eigentlich, wenn ihr da mit denen beschäftigt seid?"

Alle drei guckten mich unsicher an. Justin ergriff schließlich das Wort. 

"Keine Ahnung. Da müssen wir wohl echt William fragen, aber bei den anderen Weibern zu arbeiten kommt gar nicht in Frage."

Die anderen beiden nickten und stimmten Justin dabei zu. Okay. Blieb nur abzuwarten, was William sagte. Ich hoffte, dass er eine andere gute Lösung für mich hatte.

"Wir schaffen das schon, Ly.", flüsterte mir jemand ins Ohr, sodass nur ich es hören konnte. 

Ich fing an zu grinsen, und kuschelte mich an Justin. Er zeigte mir immer wieder, dass er sich um mich kümmerte, ich ihm nicht egal war. Und jedes verdammte Mal, wenn er so etwas tat, wurden meine Gefühle stärker. Ich wusste gar nicht, dass sie noch stärker werden konnten. 

Jedes Mal, wenn er lächelte, egal ob wegen mir, oder einfach so, jedes Mal musste ich direkt auch lächeln. Wie ein Mechanismus funktionierte das in meinem Körper, und ich konnte nichts dagegen machen. Ich war Justin hoffnungslos verfallen.

Ich hatte mich in Justin verliebt.


Out of ControlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt