Kapitel 32 - Revier

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Nachdem ich meinen inneren Monolog beendet hatte, realisierte ich, dass er sich direkt neben mich gesetzt hatte. Er würdigte mich keines Blickes. Aber jetzt konnte ich mir endgütig sicher sein, dass er nie etwas für mich empfunden hatte. Es gab mir die Bestätigung, dass ich verarscht wurde. Dass ich mit meinen ganzen Gefühlen und Emotionen allein da stand.

Damit musste ich jetzt irgendwie fertig werden.

"Okay. Jetzt müsste es gehen.", unterbrach John auch dieses Mal wieder die Stille. Jetzt, wo Justin neben mir saß, war es mir sehr unangenehm. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Ruhig sitzen bleiben? Etwas sagen? Justin machte nichts, weshalb ich mich auch erstmal dazu entschied, nichts zutun, obwohl es mir immer noch unangenehm war.

Alle setzten sich wieder um den Computer herum, und warteten nun wohl darauf, ob man Ryder und seine Gangmitglieder, oder wie auch immer man das nannte, jetzt orten konnte oder nicht.

"BINGO", schrie Richard plötzlich glücklich.

Es schien wohl zu klappen. Hatte ich halt gut gemacht. Ich hatte ja auch einiges riskiert und ausgehalten, aber ich wollte nicht weiter darüber nachdenken.

"Sie halten sich in einem Wald auf. Da scheint irgendwie ein kleines Haus oder so etwas zu sein. Das ist etwa anderthalb Stunden von hier entfernt."

"Dann lass uns jetzt hinfahren!", meinte Jaden begeistert. Sehr schlau schien er nicht zu sein. War es nicht voll sinnlos da jetzt hinzufahren? Vielleicht war es ja gar nicht deren Revier sondern irgendetwas anderes. Man musste die doch weiter beobachteten. Und musste man da nicht eigentlich noch mehr planen? Wie genau man das stürmt, und so weiter?

Oder dachte ich einfach falsch? Aber so würde ich es eigentlich machen. Ich glaube, William und die anderen sahen das genau so wie ich, obwohl ich ihnen nicht gesagt hatte, was ich davon hielt. Ihre Blicke verrieten alles.

"Jaden, bist du bescheuert? Was zur Hölle hast du geraucht? Du bist schon seit Tagen so komisch.", motzte Daniel ihn von der Seite an. Justin schien wohl nicht der einzige zu sein, dem irgendetwas nicht passte.

Jetzt wo Daniel es sagte, fiel es mir auch auf. Jaden sah Justin im Moment sehr ähnlich. Dunkle Augenringe, müder Gesichtsausdruck und seine Haare standen wild in alle Richtungen ab.

Seine Haare sahen eigentlich ganz gut aus, musste ich schon sagen, aber selbst ein Blinder mit Krückstock konnte sehen, dass es ihm nicht sonderlich gut ging. Bis auf, dass es mir bis vor wenigen Sekunden auch nicht aufgefallen war, weil ich nur an Justin dachte, und wie er mich verletzt und verarscht hatte.

Keiner sagte mehr etwas. Irgendetwas schien vorgefallen zu sein. Ich wusste nicht, ob die anderen es wussten, aber Jaden würde sowieso nicht erzählen, was mit ihm los war.

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Mir war noch gar nicht aufgefallen, dass Daniel und Jaden meine Halbbrüder waren. Ich war ihre Halbschwester. Aber ich war ihnen egal. Das hatte ich ja gemerkt. Eigentlich war ich allen egal.

Waren John und Richard auch irgendwelche Verwandten von mir? Arbeitete mein Opa oder Onkel oder sonst wer auch noch hier? Gab es noch mehr Lügen und Geheimnisse, von denen ich nichts wusste?

Ich hatte keine Ahnung, aber ich war mir mittlerweile sicher, dass ich's irgendwann herausfinden würde. Irgendwie musste ich irgendwann alle vorhanden Puzzleteile zusammenbasteln.

Jetzt saßen wir alle immer noch in den Raum und beobachteten den roten Punkt, den Ryder's Peilsender darstellte. Er bewegte sich immer nur wenige Millimeter. Er hielt sch zumindest länger dort auf.

John meinte, es sei ein Wald rum um das Haus, in dem er sich befand. Ein perfekter Ort für ein Revier, das niemand finden soll, oder?

"Es muss einfach das Revier sein.", meinte Richard nachdenklich.

Der Meinung war ich auch, auch wenn ich mich nicht wirklich damit auskannte. Trotzdem war es meiner Meinung nach noch nicht richtig, da jetzt schon hinzufahren. Wer weiß, was es eigentlich ist, und was dort passiert.

"Ok..Also ich würde sagen, wir schauen die nächsten 2-3 Tage nochmal, und dann fahren wir dahin. In der Zeit solltet ihr alle nochmal das Umgehen mit den Waffen üben. Das soll echt kein Desaster werden.", meinte William bestimmerisch.

Alle standen plötzlich auf und begaben sich Richtung Tür. War dieses Meeting etwa jetzt schon vorbei? Ich meine, ich fände es gut, aber wir saßen hier erst seit einer halben Stunde. Das war definitiv zu wenig, im Gegensatz zu den letzten Treffen.

Ich stand ebenfalls auf, und folgte den Männern. Sie gingen doch nicht Richtung Ausgang, sondern nur in einen anderen Raum.

William's Büro. Natürlich.

William erklärte ganz genau, wie das ablaufen sollte, wenn sie das Revier stürmen. Erst würden sie sich anschleichen, jeder an einer anderen Stelle und Position. Alle würden ihre Waffe bereit halten, falls etwas passieren würde. Dann sollten sie das Haus erstmal eine Weile beobachten, bis sie es dann schließlich stürmen, und alle Typen der Truppe erschießen.

Für mich klang der Plan zwar etwas aggressiv, aber dennoch klar und deutlich. Mir hatte William gesagt, dass ich einfach bei ihm zu Hause bleiben sollte, da es sonst zu gefährlich für mich war. Und ganz ehrlich, ich wollte da auch nicht mit. Auch, wenn mein Leben im Moment echt scheiße war, konnte und wollte ich es noch nicht beenden.

Schließlich dauerte das Ganze etwa zwei Stunden - so lange, wie die anderen Treffen auch gedauert hatten. Ich hatte mich schon gewundert. Alle standen auf und verabschiedeten sich voneinander.

In solchen Momenten merkte man einfach, dass die Jungs oder Männer doch etwas Anstand und Respekt- auch untereinander- hatten. Auch wenn sie zum Beispiel Justin oder so nicht so sehr mochten, sie waren ihm gegenüber immer respektvoll. Wie sie sich mir gegenüber verhalten hatten, lassen wir mal außen vor, aber allgemein hatten sie Anstand.

Mittlerweile hatten William, John, Richard, Daniel und Jaden den Raum verlassen und gingen Richtung Ausgang. Ich hatte natürlich mal wieder zu viel nachgedacht. Nur noch Justin und ich waren im Raum. Er war auch gerade dabei, den Raum zu verlassen.

Dann jedoch blieb er stehen und drehte sich zu mir um. Wieder lag da dieser komische Blick in seinen Augen, den man nicht deuten konnte. Er schaute mich die ganze Zeit durchdringend an. Ich jedoch hielt dem Blick stand, wusste jedoch nicht so recht, was ich tun sollte, und was als nächstes passieren würde. Er würde wahrscheinlich auch rausgehen. Mich wieder zurücklassen.

"Ly... Können wir bitte reden?"

Out of ControlWhere stories live. Discover now