Kapitel 39

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Teleria wollte, dass ich im Bett liegen blieb. Doch ich erklärte ihr, dass ich nur schlecht geträumt hatte, wobei ich dessen Inhalt für mich behielt. Während des Frühstücks hatte sie ein Argusauge auf mich gerichtet. Ich fühlte mich unwohl. Lügen war nicht meins. Ich musste dringend mit jemanden reden und dieser jemand saß mir gegenüber. Tarek sah auf und lächelte mich an, als er meinen Blick bemerkte. Doch sein scheinbar höflicher Gesichtsausdruck trügte. Ich bemerkte seine leicht hochgezogene Augenbraue. Er verstand also, dass etwas los war. Ich schaute auf meinen Teller und konzentrierte mich. Wenn ich schon ab und an Bilder in meinem Kopf sah, wieso sollte ich es also nicht schaffen  mit ihm zu kommunizieren? Ich musste ja sowieso anfangen zu üben. Für Kyus. Für Floriel. Also stellte ich mir in Gedanken Tarek so vor, wie er gerade hier saß. Und dass wir eine Verbindung untereinander hätten. Ich rief seinen Namen. Einmal. Zweimal. Beim zehnten Versuch sagte er zu mir: „Was?" Ich blickte erschrocken auf, mein Messer auf dem Teller klirrte, mein Puls raste. „Was?" Er sah mich verwirrt an. „Hast du was gesagt?" Hektisch schüttelte ich den Kopf: „Was? Nein, also ich... ich hatte nichts gesagt. Denke ich. Ich... Ich war in Gedanken."

„Achso, okay. Na dann.", meinte er nur und zuckte mit den Schultern, als sei nichts gewesen. Er sah mir aber denoch in die Augen und ich hörte seine Stimme kurz darauf in meinem Kopf: „Du hast was gesagt, nicht wahr?" Stumm und unauffällig, wie er es vorhin tat, nickte ich ihm zu und schlug die Augen nieder. „Sehr gut, wenn du so weitermachst, wirst du Kyus auch bald aufspühren können." Bei seinem Namen kam mir mein Traum - oder nicht Traum – wieder in den Sinn und mir wurde erneut schlecht. „Alles okay mit dir Lucy? Du bist so grün um die Nase?", hörte ich Teleria von der Küchenzeile aus. Ich schluckte schwer. Mein Puls raste immer noch. Ich sah aber zu ihr hinüber und setzte ein Lächeln auf. „Nein alles okay. Ich bin nur aufgeregt, was mich beim Training gleich erwartet." Sie musterte mich eingehend und nickte dann. „Ich sollte mich sowieso noch schnell umziehen. Also wenn ihr mich kurz entschuldigt.", warf ich schnell hinterher. Alle nickten mir höflich zu. „Tarek, würdest du Lucy bitte begleiten?", sagte Teleria. „Das ist doch nicht nötig.", tat ich halbherzig ab. Aber es könnte mir nur recht sein, ein paar Minuten mit ihm allein zu haben. „Es würde mich beruhigen. Das Grün um deine Nase gefällt mir nicht." Ich zuckte daher nur mit den Schultern. Tarek sprang auf: „Ich pass auf sie auf Teleria, kein Problem. Mach dir keine Sorgen." Sein Lächeln beschwichtigte sie. Und Rallion nickte ihm dankend zu. Wir verließen also auf schnellstem Wege die Küche, bevor uns jemand zurückrufen konnte. Ich ließ Tarek in mein Zimmer gehen, blickte mich dann nochmal im Gang um, dass uns auch ja keiner gefolgt war. „Also was ist los?", begann Tarek, sobald ich die Tür verschlossen hatte. Ich setzte mich auf den Sessel, Tarek hatte es sich inzwischen wieder auf meinem Bett bequem gemacht. Nervös spielte ich mit meinen schweißnassen Fingern. Schon allein der Gedanke an den Traum war purer Horror für mich. Ich erzählte ihm also alles, an was ich mich erinnerte. Tarek sagte nicht, doch ich sah ihm seine Sorge an. „Was denkst du? War das Realität oder doch nur ein Albtraum?" Ich hoffte innerlich darauf, dass er mir versicherte, dass dies wirklich nur ein Gespinnst meiner Fantasie war. Doch als er auch nach zwei Minuten noch nichts sagte, verlor ich diese Hoffnung. „Das werden wir wohl herrausfinden müssen, Lucy. Alles andere wäre nur Spekulation.", flüsterte er in meine Gedanken hinein. Ich nickte ihm stumm zu. „Jetzt zieh dich schnell um, bevor die anderen Verdacht schöpfen." Also ging ich ins Bad, wo ich mir meine Sachen schon zurecht gelegt hatte. Zwei Minuten später war ich fertig.

Wir machten uns auf den Weg zum Sportplatz. Dieser war gut zwei Kilometer vom Haus entfernt. Lorion und Rallion wollten auf Nummer Sicher gehen, dass ich das Haus auch wirklich stehen lies. Was mein Ego ein wenig ankratzte, doch ich gab es nicht zu. Daher lief ich, auf dem Weg zum Sportplatz, still hinter ihnen her. Tarek jedoch schubste mit seiner Schulter gegen meine, denn er spürte mal wieder, wie es in meinem Inneren aussah. Sein fettes Grinsen ließ mich aber nur die Augen verdrehen. Darauf musste er laut lachen. Die zwei Ältesten drehten sich fragend zu uns um. Tarek tat dies aber nur mit einem Winken ab. Als wir endlich ankamen, trollte er sich auf einen ausladenden Baum, dessen untere Äste parallel zum Boden wuchsen. Ich mochte diesen Baum sofort und spürte seine Aura, die er ausstrahlte. Ich blieb auf halber Strecke, zur Mitte des Platzes, stehen und drehte mich um. Die beiden Ältesten standen am Rand. „Dann wollen wir mal loslegen!", begann Rallion und klatschte erfreut in die Hände. Also fing Lorion an, mir dasselbe zu erklären wie Tarek letzte Nacht: „Es kommt Hauptsächlich nur auf die Vorstellung und Konzentration an, Lucy." Ein verächtliches Schnauben in meinem Kopf, dem ich nur zustimmen konnte. Als würde er mir etwas beibringen, von dem er mehr Ahnung hatte als ich. Schließlich war ja ich die mit dem Drachen, nicht er. „Lucy?" Ich schaute Lorion an. „Ja?", räusperte ich mich. Lorion betrachtete mich kurz, dann sagte er: „Na dann mal los." Verwirrt schaute ich umher. Alle Augen war auf mich gerichtet. Ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen und lief daher sofort rot an. Mein Blick blieb an Tarek hängen. Er sah mich grinsend an und dann hörte ich seine Worte: „Konzentration Mademoiselle! Du sollst versuchen deinen Drachen zu rufen." Ich nickte leicht und versuchte dann meine Nervosität herrunterzufahren. Sie auszuatmen. Aber es wollte mir nicht gelingen. Ein weiteres Schnauben erklang, was mich an meine Konzentration erinnerte. „Ja, ist ja schon gut.", antwortete ich in Gedanken. Dann schloss ich die Augen, atmete einmal kurz durch und rief nach dem Tier. Doch nichts tat sich. „Erscheine!" drang meine Stimme energischer durch meinen Kopf. Doch auch diesmal blieb alles still. „Alles okay Lucy?", hörte ich nach geraumer Zeit die besorgte Stimme meines Großvaters. Die Konzentration verpuffte. Ich sah ihn nickend an. „Versuch es zu machen wie bei den letzten Malen." Erneut nickte ich. Als ob es so leicht wäre. Das Problem war, dass ich nicht wusste, wie ich den Drache gerufen hatte. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ich versuchte mich also erneut zu fokussieren. Rief den Drachen in verschiedensten Ausführungen. Von Bitten, über Locken bis zum Drohen. Doch das Untier wollte nicht. Es schnaubte nicht mal mehr. Ich kaute vor Anspannung auf meiner Lippe herrum. „Lucy, entspann dich. Mit Druck wird das nichts.", redete Lorion sanft auf mich ein. Ich nickte krampfhaft, da ich innerlich versuchte den Ort zu finden, wo sich der Drache verbarg. Angestrengt schnaufte ich und wurde langsam aber sicher genervt. „Achso, bei allem was ich sage oder denke, kannst du deinen Senf dazu geben, ja? Aber wenn du dich aus meinem verdammten Kopf heraus bequemen sollst, bist du dir zu schade oder wie?" Ich knirschte mit den Zähnen. „Beweg. Deinen. Arsch. Nach. Draußen.", zischte ich ihn an. Ein beleidigtes Schnaufen erklang. Mir platzte die Hutschnur, das konnte doch nicht sein Ernst sein? „Waaaahhhhhh", schrie ich über den Platz! Die anderen zuckten bei meinem lauten Aufschrei zusammen. Während mein Großvater auf mich zulief, rief er: „Lucy? Was ist passiert?" Ich schlug die Hände vors Gesicht und schrie erneut. In meinem Kopf knurrte es... „HALT DIE KLAPPE!", brüllte ich laut zurück. Rallion zuckte erneut zusammen. „Nein! Tut mir leid, ich meinte nicht dich Opa. Das Ding", ich tippte mir an die Schläfe, „macht mich Wahnsinnig!" Er nahm mich in den Arm. „Ich weiß, dass es am Anfang nicht leicht ist." Ich stöhnte als Antwort. „Atme mal tief durch." Das tat ich und entspannte mich in seinen Armen ein bisschen. „Und nun stell dir deinen Drachen vor und konzentriere dich auf ihn. Lass dir dabei Zeit. Lass es aus dir raus fließen." Ich nickte dankbar, schloss die Augen und atmete erneut tief durch, so wie er es mir riet. Er ließ mich los und kehrte zu Lorion zurück. Also rief ich mir das Bild des Drachen auch diesmal aus meinem Gedächtnis hervor. Doch mehr als das Bild im Kopf wollte mir nicht gelingen. Minute um Minute verstrich. Ich strengte mich an, aber es ging einfach nicht. Angestrengt atmete ich aus. „Ganz entspannt Lucy. Innere Ruhe und Konzentration. Wir haben nicht damit gerechnet, dass es auf Anhieb funktioniert. Es braucht einfach Übung.", drang Lorions Stimme zu mir.

„Euer Vertrauen ehrt mich zutiefst. Und diese Motivation!", rief ich zurück. Ich war dezent angepisst. Das Knurren in meinem Kopf unterstrich diesen Gedanken. „So war das nicht gemeint, Lucy!", begann Rallion. Aber ich winkte nur ab. Erneut konzentrierte ich mich auf das Bild in meinem Kopf. Und spürte dem Knurren nach. Diesmal aber war ich es, die schnaubte, einfach um Dampf abzulassen. Dann spürte ich das leichte Kribbeln auf meiner Haut. Kurz darauf knisterte die Luft. „Lucy, vorsichtig. Nicht soviel Energie!" Abrupt war die Konzentration weg. Ich schlug die Augen auf und sah Lorion an. „Das war schon ganz gut, aber versuch dies mit weniger Energie. Wir wollen den Sportplatz ja nicht wegblasen." In meinem Inneren brodelte es. Er wollte doch, dass ich den Drachen rief. Und so ein großes Tier braucht nunmal Energie oder etwas nicht? Will er ein Schoßhündchen? In meinem Kopf knurrte es. Das Untier war also der selben Meinung. Soll er doch bekommen, was er möchte. Ich schloss erneut die Augen, stellte mir einen kleinen Drachen aus meiner Kindheit vor und konzentrierte mich nun darauf. Die Wut durchströmte mich. Das Kribbeln kam auch diesmal, nur war es diesmal kaum spürbar. Die Luft war elektrisch geladen, wie vor einem Gewitter, aber das Knistern blieb aus. Die Gestalt nahm Form an, und in meinen Gedanken erschien es hinter Lorion. Vom Baum her kam ein Kichern. Ich schlug die Augen auf. Lorion betrachtete mich. „Das war besser. Aber es ist noch nichts passiert. Es braucht wohl ein wenig mehr Energie. Aber das ist eine Übungssache, die richtige Mischung zu finden. Nicht zu viel und nicht zu wenig." Vom Baum erklang wieder gekicher. „Tarek, so kann sich Lucy doch nicht konzentrieren, bitte." Doch Tarek konnte nicht aufhören und auch ich musste lachen. Alle Wut verpuffte für den Moment. Ein kleiner Drache, nicht ganz so wie aus meiner Erinnerung, saß hinter Lorion und äffte ihn nach. Ich spürte dessen Gefühle. Die Ironie in den Bewegungen. „Was?", fragte Lorion und drehte sich um. Erschrocken quiekend sprang er einen Schritt zurück. Es sah einfach urkomisch aus. Tarek und ich lachten uns kaputt. Der kleine Kerl schnaubte verächtlich. Dann lief er auf mich zu und setzte sich auf meine Schuhe. Lorion räusperte sich: „Sehr lustig Lucy." Er nahm es jedoch mit Humor und zwinkerte mir dabei zu. Das rechnete ich ihm hoch an. „Für den Anfang ist das doch schonmal ganz gut. Gratuliere! Nun solltest du dich aber wieder konzentrieren, denn wir wollen schließlich sehen was du kannst. Zirkus können wir gerne danach spielen."

„Na was denn jetzt?", ich war sofort wieder genervt und stemmte meine Hände in die Seiten. „Wenn ihr sehen wollt was ich kann, solltet ihr mich auch machen lassen. Ich kann den Drachen von der Krankenstation, nicht mit einem Hauch von Energie oder Magie oder sonst was entstehen lassen. Es ist schon so schwer genug." Der Mini-Drache zu meinen Füßen schnaubte zustimmend. Die zwei Ältesten sahen mich und den Drachen stirnrunzelnd an, dann nickte Lorion nur. Ich war mir sicher, dass die zwei sich über mich austauschten. „Zeigs ihnen Mademoiselle, aber lass den Platz stehen.", hörte ich Tarek in meinem Kopf scherzen. Er kicherte immer noch. Ich schloss also erneut meine Augen, konzentrierte mich auf den großen Drachen. Die kleine Ausführung verschwand mit einem Plopp. Doch ich war durch. Meine Gedanken wanderten ständig woanders hin. Ich konnte mich nicht mehr auf den Drachen fokussieren. Nach einer Stunde wo nichts mehr passierte, beendete Lorion das Training und wir machten uns auf den Rückweg.

Ich war völlig erschöpft, als wir beim Mittagessen saßen. Teleria hatte ein leckeres Hühnchen-Curry gekocht. Mein Magen knurrte schon bei dem Geruch allein. Nach dem zweiten Teller lehnte ich mich zurück und musste herzhaft gähnen. „Du solltest dich vielleicht ein wenig ausruhen. Der Vormittag war ziemlich anstrengend.", sagte Rallion sanft zu mir, während er seine Hand auf meine legte. „Am Nachmittag soll Tarek mit dir noch ein wenig Selbstverteidigung trainieren." Ich sah ihn verwirrt an. „Wir wollen, dass du dich im Notfall verteidigen kannst. Damit würde ich mich wohler fühlen." Ich blickte ihn nachdenklich an und nickte. Was konnte es schaden. Und mit Tarek wird es sicher Spaß machen. Wir lächelten uns an, und mein Opa, was ich immer noch nicht recht glauben konnte, drückte leicht meine Hand. Plötzlich drangen Stimmen zu uns herein. Wir erhoben uns alle gleichzeitig und begaben uns ebenfalls nach draußen, um zu sehen was los war. Ein rießen Durcheinander herrschte draußen. Elfen liefen zusammen. Mit dem ersten Blick in die Richtung, in der alle liefen, sah ihn sofort. Feyn war mit einigen seiner Männern, zu uns gestoßen. Freude und Angst wechselten sich in mir ab. Freude darüber, dass wir jetzt wohl sehr bald wissen würden, wo sich Kyus und Floriel befanden. Aber das Wissen, dass wir bald in eine Art Schlacht liefen, bereitete mir große Sorgen. Denn eine Schlacht ohne Opfer, die gab es nicht. Feyns Anblick ließ dies in meinem Kopf real werden. Und ich fühlte mich noch nicht breit, mit meinem Drachen in diese Mission aufzubrechen.

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