54 | Wie erschaffe ich einen interessanten Konflikt?

1.3K 169 280
                                    

Hallo, ihr Menschen da draußen.

Konflikte. Jeder Roman nutzt sie, um eine Geschichte zu erzählen, weshalb ich es persönlich unglaublich interessant finde, mich mit ihnen zu beschäftigen. Doch was genau versteckt sich hinter diesem Wort, was ist ein Konflikt? Und welche Konfliktmuster gibt es, bzw. inwiefern unterscheiden sie sich? Kann ich auch "falsche" Konflikte wählen, die sich nicht für mein Buch eignen? Sollte man sich nur auf einen Konflikt konzentrieren oder sind Mischformen empfehlenswert? All diese Fragen möchte ich euch heute beantworten und im gleichen Atemzug auch erfahren, welche Konflikte euch besonders faszinieren. Heute bitte ich euch aber ganz gezielt darum, nicht nur euer eigenes Geschriebenes zu analysieren, sondern euch auch an die Werke anderer Autoren zu erinnern – warum, das erklärt sich später.


54.1 | Warum brauche ich einen Konflikt?

Pfui, dumme Frage. Warum brauchen Menschen die Luft zum Atmen? Ja, weil...

Weil eine Geschichte ohne einen Konflikt nichts als eine Aneinanderreihung von Worten ist. Stellt euch Harry Potter vor, wie er nach Hogwarts kommt, die Zaubererwelt ihn nicht überfordert, alle Lehrer ihn lieben und er uneingeschränkt tolle Noten schreibt. Ziemlich langweilig, nicht? Konflikte sind die Stolpersteine, die wir Schriftstellern unseren Figuren in den Weg legen, damit sie daran wachsen können. Ein Konflikt muss auch nicht immer etwas Weltbedrohliches, Existenzielles sein. Allein die Beziehung zwischen einem Sohn und seinem Stiefvater kann für spannende Dynamiken sorgen!


54.2 | Protagonist gegen Person

Dieses Konfliktmuster nenne ich als erstes, weil es das am häufigsten auftauchende ist. Kein anderer Konflikt ist zum derartigen Kultobjekt geworden wie "Protagonist gegen Antagonist", deshalb denken die meisten beim Begriff des Konflikts auch sofort an einen Gegenspieler. Dieses Schwarz-Weiß-Denken muss aber nicht sein, siehe "Das Lied von Eis und Feuer" (Und ja, ich werde diese Reihe immer wieder für Beispiele heranziehen, einfach weil ich sie so sehr liebe!): Unglaublich viele Charaktere, die sich in moralischen Grauzonen befinden, bekämpfen einander – ob mit Waffen oder Worten.

Meine 1. Frage: Fällt euch ein Buch-Beispiel für 'Protagonist gegen Person' ein?


54.3 | Protagonist gegen Ich

Diesen Art des Konflikts mag ich besonders gern, denn wir alle durchlaufen ihn eines Tages in unserem Leben: den Kampf gegen uns selbst. Wir alle haben schon einmal an uns gezweifelt, waren unsicher oder haben uns eine wichtige Entscheidung nicht zugetraut. Diese Einstellung zu überwinden ... ist nicht einfach, um es so zu sagen. Doch der Weg dahin kann unglaublich interessant sein. Aber auch lebensbedrohlichere Situationen als ein Coming-of-Age-Roman gehören zu diesem Konfliktmuster, so wie zum Beispiel schwere mentale Erkrankungen, ein Todesfall in der Familie oder das Schicksal eines Amokläufers, der in seiner Schulzeit gemobbt wurde.

Meine 2. Frage: Fällt euch ein Buch-Beispiel für 'Protagonist gegen Ich' ein?


54.4 | Protagonist gegen Gesellschaft

Besonders in historischen Romanen kann dieses Konfliktmuster gut aufgegriffen werden (durch systematischen Rassismus, Homophobie, Freiheitsdrang, etc.), aber auch in heutigen Contemporary-Werken finden ähnliche Konflikte immer wieder ihren Platz – denn wir sind noch weit davon entfernt, als Gesellschaft die Lebensweisen anderer Menschen widerstandslos zu akzeptieren und jeden so leben zu lassen, wie er möchte, bzw. jedem eine freie Wahl zu lassen, was sein Schicksal angeht. Besonders interessant finde ich es auf der anderen Seite auch, wenn sozusagen ein Antagonist erzählt, der Taten begangen hat, die jeder mit gesundem Menschenverstand verurteilen würde. Was geht etwa in einem pädophilen Serienmörder vor, während er die Jagd auf sich selbst in den Medien mitverfolgt? So ein Buch würde ich unglaublich gerne mal lesen, wie steht es um euch?

Meine 3. Frage: Fällt euch ein Buch-Beispiel für 'Protagonist gegen Gesellschaft' ein?


54.5 | Protagonist gegen Umwelt

Bei diesem Konfliktmuster muss ich immer an "Robinson Crusoe" denken. Ein Mann, 28 Jahre, eine Insel. Da kann man sich vorstellen, dass Crusoe im Laufe dieser Zeit in eine Menge Konflikte mit der Umwelt gekommen ist. Bei diesem Konfliktmuster stellt sich euer Protagonist dem ältesten Feind der Geschichte: der Natur. Ob er nun in einem Sturm in Norwegen steckt und mit seinem Auto in einer verlassenen Hütte im Wald landet oder eben wie Robinson Crusoe auf einer Insel vom Rest der Menschheit abgeschottet wird – es geht hier nicht um einen intermenschlichen Konflikt, sondern das Urverständnis zwischen Mensch und Natur. Besonders oft paart sich dieses Konfliktmuster mit "Protagonist gegen Ich", denn jetzt mal ehrlich: Wer von uns würde keine psychischen Probleme bekommen, wenn wir für mehrere Jahrzehnte allein auf einer Insel gestrandet wären?

Meine 4. Frage: Fällt euch ein Buch-Beispiel für 'Protagonist gegen Umwelt' ein?


Meine 5. Frage: Fallen euch noch andere Konfliktmuster ein?


Meine Aufgabe: Findet die Konfliktmuster (ja, es sind mehrere, vielleicht ja sogar alle oben genannten?) dieser fast schon satirisch übertriebenen Zusammenfassung und schreibt sie heraus.
Eine junge Frau in den Vereinigten Staaten der 1960er Jahre findet heraus, dass ihr Vater ein Drogenboss ist, und möchte seine Geschäfte unbedingt stoppen – doch davon darf er nichts mitbekommen. Gleichzeitig hat sie einen schwarzen Verlobten; eine Tatsache, die ihre erzkonservative und fremdenfeindliche Familie nicht anerkennt und dazu führt, dass sie aus dem Haus verbannt wird. Niemand möchte die beiden bei sich aufnehmen, da man die Konsequenzen für die Unterstützung eines gemischtrassigen Paares fürchtet. So müssen die beiden in einem abgelegenen Hof unterkommen, doch die Kälte des Winters nähert sich unaufhaltsam. Sie zweifelt immer öfter an ihrer Entscheidung und spielt mit dem Gedanken, ihren Liebsten aufzugeben und zu ihrem wohlbehüteten Leben in der wohlhabenden Familie zurückzukehren, doch ihr Herz spricht eine andere Sprache als ihr Kopf.


54.6 | Reicht ein einziger Konflikt?

Um ehrlich zu sein, wäre ein Buch mit nur einem Konflikt ziemlich einseitig. Warum sollte sich das gesamte Werk nur um ein einziges, eingeschränktes Thema drehen? Das haben die Autoren dieser Welt auch erkannt und es hat sich ein typisches Muster etabliert: ein oder zwei Hauptkonflikte, viele kleine Nebenkonflikte. Die meisten Romane bestehen also aus mehreren Konflikten, bzw. einer Mischung der uns bekannten Konfliktmuster.

Ein perfektes Beispiel, um dieses System zu veranschaulichen, sind die "Harry Potter"-Romane. In jedem der insgesamt sieben Teile gibt es einen Handlungsstrang, der sich zum Ende des Buches hin zuspitzt. Das ist der Hauptkonflikt, wie beispielsweise im zweiten Teil die Kammer des Schreckens mit der Tatsache, dass Harry die Sprache der Schlangen versteht und in den Gängen Hogwarts' von seiner Gabe verfolgt wird. Darüber hinaus gibt es bei "Harry Potter" noch einen Überkonflikt, der – wie der Begriff schon verrät – über allen anderen Konflikten steht, und zwar Voldemort. Der Kampf zwischen ihm, dessen Name nicht genannt werden darf, und dem Jungen, der lebte.

In den einzelnen Teilen gibt es außerdem jeweils Unterkonflikte– wie im sechsten Teil, als Harrys bester Freund eine Beziehung mit Lavender Brown eingeht und Hermine das Ganze mit ansehen muss. Diese Unterkonflikte bringen Leben in eure Geschichte und sind daher nicht weniger wichtig als der Hauptkonflikt, bzw. Überkonflikt.


Ihr ahnt ja gar nicht, wie gerne ich diese Ausgabe geschrieben habe! Das mag vor allem daran liegen, dass ich es genieße, meine Projekte anhand der Konflikte zu strukturieren und dieses Schachtelsystem – Über-, Haupt- und Unterkonflikt – abgöttisch liebe. Hoffentlich konnte ich euch mit dieser Ausgabe das Thema etwas näherbringen, das würde mich zumindest sehr freuen. Wenn ihr noch mehr Fragen zum Konstruieren von Konflikten habt, schreibt sie mir sehr gerne in die Kommentare, denn ich plane, zu dieser Thematik in der Zukunft noch eine weitere Ausgabe zu schreiben. Da möchte ich mich besonders intensiv damit beschäftigen, wie man auf seine Buchkonflikte kommt und auf welche Weise man sie aufbaut, bzw. miteinander verbindet. Heute wollte ich mich eher auf die Theorie konzentrieren und hoffe, dass diese Vorgehensweise in Ordnung für euch ist. Das war's auch schon von mir!

Frohes Schreiben!

P.C.

P.C.'s SchreibratgeberWhere stories live. Discover now