53 | Was ist Show, don't Tell und wie wende ich es an?

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Hallo, ihr Menschen da draußen.

Show, don't Tell – diese drei Wörter hört und liest man oft in der Schreibwelt, doch überraschend viele haben sich noch nie wirklich mit diesem unscheinbaren Satz auseinandergesetzt oder können sich darunter nicht wirklich etwas vorstellen. Das möchte ich heute ändern. Denn was genau dieser Satz im Bezug aufs Schreiben bedeutet und in wie vielen Bereichen man ihn anwenden kann, ist schwer in einen Satz zu fassen. Da diese Thematik auch sehr umfangreich ist, werde ich in Zukunft vermutlich noch mehr Ausgaben rund um Show, don't Tell schreiben – doch irgendwo muss man ja anfangen. Und diesen Anfang möchte ich heute lostreten.

Heute beschäftigen wir uns neben der allgemeinen Begriffserklärung von Show, don't Tell insbesondere mit unseren Buchfiguren samt Charaktereigenschaften und Intentionen. Wie kann man diese Aspekte im Roman verdeutlichen, ohne sie dem Leser auf die Nase zu binden? Wie schafft man es, dem Leser Informationen zu vermitteln, ohne sie geradeheraus zu schreiben? Anhand von praktischen Beispielen möchte ich euch die Unterschiede zwischen Show und Tell verdeutlichen. Zu guter Letzt möchte ich den Spieß aber auch noch einmal umdrehen und auf Textstellen eingehen, wann man nicht strikt der Regel Show, don't Tell folgen sollte. Viel Spaß beim Lesen!


53.1 | Begriffserklärung

Die reine Begriffserklärung ist recht simpel, doch dahinter steckt noch so viel mehr. Wer der englischen Sprache nicht so wirklich mächtig ist und sich nach einer Übersetzung sehnt: Show, don't Tell heißt Zeigen, nicht Erzählen. Und so kann man es auch direkt übertragen. Wenn ihr beim Schreiben sogenanntes telling betreibt, beschreibt ihr einfach alles, was geschieht. Das kann ziemlich eintönig werden, schafft eine enorme Distanz zwischen dem Leser und eurem Werk und ist auch stilistisch nicht wirklich eine Goldgrube.

Deshalb wird euch in vermutlich jedem Schreibratgeber dieser Galaxie das showing als Schreibmittel ans Herz gelegt werden, denn hier geht man ein wenig vor wie in der Filmindustrie. Man erschafft eine Szenerie, in der ein Protagonist lebt und sich bewegt, und zeigt dem Leser diese Welt in einem möglichst bildlichen Stil. Doch dazu gleich mehr.

Meine Frage: Habt ihr euch schon einmal mit Show, don't Tell auseinandergesetzt? Wendet ihr es aktiv an?


53.2 | Zustände/ Intentionen

Show, don't Tell besagt, dass es wichtig ist, zwischen den Charaktereigenschaften, Intentionen und persönlichen Zuständen einer Figur die Relation zu ihren Taten und Worten zu ziehen. Kurz gesagt: Die Handlungen und Gefühle eines Menschen müssen für ihn sprechen, nicht der Erzähler. Ein ganz einfaches Beispiel eines persönlichen Zustandes zu Beginn:

1. Beispiel Tell: Sie war traurig.

Das sagt nicht besonders viel aus, nicht wahr? Gerade bei intensiven und vielfältigen Gefühlen wie Trauer ist es notwendig, in bildliche Details zu gehen, um den Leser wirklich mitzureißen. Das muss auch nicht immer gleich ganze Absätze verschlingen, sondern kann so wie im folgenden Beispiel in einen Satz gefasst werden.

1. Beispiel Show: Ein unsichtbares Gewicht zog ihre Brust nach unten und zwang sie zu Boden.

Hier haben wir ein sprachliches Bild, das sich jeder vorstellen kann. Wer hatte denn schon nicht das Gefühl, beim Weinen oder kurz davor ein Gewicht auf der Brust zu haben, dass das Atmen erschwert? Natürlich könnte man hier noch viel detaillierter werden, doch allein dieser Satz vermittelt dem Leser eine gewisse Temperatur der folgenden Szene. Es wird traurig, niederschmetternd, existenziell. "Sie war traurig" fasst dieses Gefühlsorchester nicht einmal annähernd zusammen.

Meine 1. Aufgabe: Formuliert den folgenden Satz um oder schreibt ihn komplett neu, um dem Prinzip von Show, don't Tell zu entsprechen. Dabei dürft ihr euch auch gerne eine eigene Szenerie überlegen, um das Ganze authentischer zu gestalten.

"Mein Ehemann wurde wütend wegen unserer rebellischen Tochter."

Meine 2. Aufgabe: Nehmt euer Ergebnis aus Aufgabe 1 und überlegt euch die Intentionen der einzelnen Figuren: Vater, Mutter, rebellische Tochter. Wieso tun sie das, was sie tun? Was steht dahinter?


53.3 | Charaktereigenschaften

Ein weiterer Aspekt, der auf keinen Fall bei Show, don't Tell vernachlässigt werden sollte, ist der Bereich der Charaktereigenschaften. Man liest oft Feststellungen zu den Charakterzügen gewisser Buchfiguren, doch sie handeln nur selten dementsprechend. Dadurch wirken die Figuren meist inkonsequent und nicht gut durchdacht.

2. Beispiel Tell: Ich bin schon immer ein neugieriger Mensch gewesen und habe durch meine zynische Art immer wieder mein Umfeld verschreckt.

Klingt jetzt nicht sonderlich mitreißend, oder? Um das zu verhindern, solltet ihr euren Lesern den Menschen in eurem Buch zeigen. Mit all seinen Fehlern, seinen versteckten Gedanken, seinen Geheimnissen. Und wie geht das am besten? An praktischen Beispielen aus ihrem Leben, selbstverständlich.

2. Beispiel Show: Redeten die Nachbarn schon wieder miteinander? Ich öffnete das Küchenfenster und spähte durch die Hecke in den Garten der Hartmanns. Wusste ich's doch. Ich schnappte Wortfetzen auf – "Sommerfest ... ihr kommt ... wird schön".
Meinte Katarina nicht noch letzten Sonntag, dass sie das Sommerfest abgesagt hätte, weil sie es zeitlich einfach nicht auf die Reihe bekäme? Sie hatte mir sogar erzählt, wie schade sie es fände, dass wir uns dort nicht sehen würden. Diese Heuchlerin. Diese verdammte, verfluchte Heuchlerin.
Soll sie doch auf das dumme Sommerfest gehen mit ihren dummen Kindern und ihrem dummen Ehemann, der sie schon seit mehr als vier Monaten mit Veronica betrog. Ich hatte ihre kleingeistigen Unterhaltungen sowieso satt.


53. | Tell, don't Show?

"Wie jetzt? Also soll ich doch hin und wieder Dinge einfach nur erzählen, statt sie meinen Lesern zu zeigen?"

Ganz genau. Allerdings sollte man diese Ausnahmen bewusst wählen. Denn es gibt tatsächlich einen Bereich, in dem sich das telling gerade anbietet, und zwar Zeitraffungen oder Zeitsprünge. Wenn euer Protagonist beispielsweise in einem Moment erfährt, dass er nach einem One Night Stand mit einer Frau, die er nicht ausstehen kann, unerwartet Vater wird, ergibt es wenig Sinn, die komplette Schwangerschaft Tag für Tag zu erzählen. Wir sind keine Hebammen, das wird langweilig. Sonst könnte man ja mit jedem Schwangerschaftsmonat einen Roman füllen – und ob der dann preisverdächtig ist, steht auch in den Sternen. Nein, viel eher beschreibt man bestimmte Wochen oder Monate in einem Satz, um die Handlung voranzutreiben und unwichtige Zeilen zu streichen. Ein solcher Einstieg könnte in etwa so aussehen:

3. Beispiel Tell: Die vergangenen Monate waren ein Wirbelwind aus Windeln, Stofftieren und Geschrei gewesen. Ich konnte mich nicht einmal mehr an mein letztes Bad erinnern und im Schlafzimmer stapelten sich die vollgekotzten T-Shirts.

In diesem Beispiel wird dem Leser sofort klar, ohne dass es direkt geschrieben wird: Das Baby ist geboren. Der Protagonist ist überlastet. Sein Alltag ist stressig. Und so finden wir als Leser schnell wieder in die Geschichte hinein, auch wenn zwischen dieser und der letzten Szene Monate vergangen sind. Denn das ist die Essenz von Show, don't Tell: den Leser abzuholen und auf eine Achterbahnfahrt mitzunehmen, auf der er weint, lacht und hofft.


Zum Abschluss finde ich es noch wichtig zu sagen, dass die fünf Sinne bei Show, don't Tell die wohl größte Rolle spielen. Denn unsere Sinneswahrnehmungen machen Erfahrungen real! So wie ihr diese Ausgabe mit euren Augen gelesen habt, nachdem ihr vielleicht durch ein Geräusch eures Handys darauf aufmerksam geworden seid, dass ich wieder etwas hochgeladen habe. Sich zu fragen, was der Protagonist in bestimmten Situationen fühlt, ist der wohl wichtigste Schritt zum mitreißenden Schreiben – und ich hoffe, euch dem ein wenig näher gebracht zu haben.

(Nochmal ganz schnell: Danke fürs Verständnis. Also wirklich. Mir ist gestern erneut klargeworden, wie wichtig ihr mir als Gemeinschaft geworden seid und wie aufgeschmissen ich teilweise ohne eure lieben Zusprüche wäre. Das war's schon mit der Gefühlsduselei, tschau tschau.)

Frohes Schreiben!

P.C.

P.C.'s SchreibratgeberWhere stories live. Discover now