46 | Wo hört Inspiration auf und beginnt Ideendiebstahl?

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Hallo, ihr Menschen da draußen.

"Ich habe mich doch nur inspirieren lassen." Ein Satz, den so gut wie jeder von uns schon einmal gehört hat. Ob es jedoch wirklich nur bei einer unschuldigen Inspiration geblieben oder gar ein gesamtes Projekt und die Idee dazu abgekupfert worden ist, steht oftmals zur Debatte. In der heutigen Ausgabe möchte ich auf genau diese Diskussion eingehen und erläutern, was Inspiration eigentlich ist. Darüber hinaus möchte ich den Schwerpunkt auf die Definition von Begriffen wie 'Kreativität' und 'Fantasie' legen, da allein um solche scheinbar unwichtigen Tatsachen Grundsatzdiskussionen entfachen. Zu guter Letzt möchte ich dann auf die berüchtigte Grenze zwischen Inspiration und Ideendiebstahl eingehen und wie man sich im Zweifelsfall verhalten sollte. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen!


46.1 | Die Grundsatzdiskussion: Was ist Kreativität/ Fantasie?

Vor einigen Jahren habe ich in der Süddeutschen Zeitung einen interessanten Artikel des Journalisten Christian Schmidt lesen dürfen. Darin befasst er sich mit der Rolle des Autors und seinen Lesern in der digitalisierten Gesellschaft in Bezug auf den Literaturmarkt. In einem Unterpunkt geht er hinsichtlich zunehmender Plagiatsvorwürfe darauf ein, dass es eigentlich gar keine unabgeleitete Fantasie mehr gebe. Unsere Einbildungskraft brauche Vorgaben und die Prägung der kollektiven Fantasie, also der Vorstellungskraft unserer Gesellschaft, finde durch Werke der Weltliteratur statt.

Übersetzt heißt das: Egal, für wie innovativ wir uns selbst halten – jede Idee hat es schon einmal gegeben. Das lenkt die Diskussion um die Thematik des Ideendiebstahls in eine vollkommen neue Richtung, denn wenn es wirklich keine neuen Ideen mehr gibt, verliert der Diebstahl solcher bereits existenter Ideen augenblicklich an Gewicht. Und kann es überhaupt als Diebstahl gewertet werden?

Die Fragestellung, ob unabgeleitete Fantasie überhaupt noch existiert, ist eine, über die Philosophen beruflich diskutieren, doch letztendlich bleibt es jedem von uns selbst überlassen, wie wir Kreativität und Fantasie für uns selbst definieren. Ist es die Erschaffung von etwas Neuem für uns selbst, das wir zuvor noch nicht kannten, oder muss es für die gesamte Menschheit neu sein? Durch die Beantwortung dieser Frage ergeben sich zwei vollkommen unterschiedliche Herangehensweisen an die Äußerungen Schmidts. Geht man davon aus, dass Kreativität und Fantasie nur dann wahrhaftig sind, wenn sie etwas der Menschheit zuvor vollkommen Fremdes entwickeln, dann ist es recht wahrscheinlich, dass Schmidts Aussage mit den eigenen Überzeugungen übereinstimmt. Immerhin ist es schwer vorstellbar, dass noch keine Person in der Geschichte der Menschheit eine vergleichbare Buchidee zu eurer gehabt hat. Wenn für euch jedoch die Individualität und das persönliche Streben nach Neuheiten und dem Unbekannten im Vordergrund eures Schreibens stehen, bewahrheitet sie sich höchstwahrscheinlich nicht.

Meine 1. Frage: Stimmt ihr Christian Schmidt zu? Gibt es eurer Meinung nach keine unabgeleitete Fantasie mehr?


46.2 | Definition: Inspiration

Bevor wir jedoch über die Grenze zwischen Inspiration und Ideendiebstahl diskutieren können, wäre es empfehlenswert, sich erst einmal über die offiziellen Definitionen beider Begriffe zu informieren. Und wer eignet sich dafür besser als mein guter alter Freund, der Duden? Was er zu 'Inspiration' zu sagen hat? Nun...

• zu etwas anregen; jmdn. Impulse verleihen
• jmdn. künstlerisch, musikalisch inspirieren
• jmdn. zu einem Werk, einem Buch, einem Gemälde, einem Gedicht inspirieren

Synonyme für 'inspirieren' wären:
• aktivieren, animieren, anregen, anreizen, anspornen, anstacheln, antreiben, befeuern, beflügeln, ermuntern, ermutigen, motivieren, stimulieren

Besonders 'anspornen' sticht bei dieser Auflistung für mich persönlich heraus. Denn genau das ist für mich die Definition von Inspiration: jemanden anzuspornen, etwas zu tun. Den Startschuss zu geben. Eine Initialzündung zu verursachen. Und dann beobachten zu können, wie der Inspirierte die Inspiration eigenhändig weiterverwendet.

Meine 2. Frage: Lasst ihr euch oft bewusst von anderen Werken inspirieren?


46.3 | Definition: Ideendiebstahl

Für die Definition von 'Ideendiebstahl' habe ich mich glatt beim Strafgesetzbuch bedient. Da wird unter §242 der Begriff des Diebstahls in meinen Augen recht passend in Worte gefasst.

'Wer eine fremde [...] Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen [...]'

Klingt doch schon einmal interessant. Gerade das Stichwort 'Absicht' empfinde ich in diesem Beispiel als besonders bedeutend, denn genau dadurch wird aktiver Diebstahl ausgezeichnet. Doch damit nicht genug. Ich habe mir auch mal die Definition von 'Plagiat' etwas genauer angesehen, um die Thematik noch ein wenig weiter zu fassen:

'Ein Plagiat ist nach allgemeiner Ansicht eine Urheberrechtsverletzung, bei der sich jemand fremde Urheberschaft bewusst anmaßt.'

Diese 'bewusste Anmaßung', von der hier die Rede ist, stellt den Grundbaustein für einen wahrhaftigen Ideendiebstahl. Ich würde an dieser Stelle gerne ein Beispiel zur Verbildlichung dieser Definition anführen. Stellt euch vor, ihr geht am Schaufenster einer Modeboutique vorbei und entdeckt dort ein wunderschönes, rotes Kleid mit U-Boot-Ausschnitt und ausgestelltem Rock. Dann jedoch der Blick auf das Preisschild: zu teuer. Verdammt. Doch selbst in den nächsten Tagen bekommt ihr das Bild des Kleides nicht mehr aus dem Kopf und entscheidet euch schließlich dafür, es als Inspiration für ein selbstgeschneidertes Stück zu nehmen. Wochen später habt ihr eure Arbeit abgeschlossen und stellt es stolz zur Schau. Wenn Freunde und Bekannte euch fragen, wie ihr auf die Idee gekommen seid, dieses Kleid zu schneidern, seid ihr ehrlich und gebt zu, ein Vorbild gehabt zu haben. Ist ja auch nicht verwerflich, immerhin war es eure Inspiration.

Anders wäre die Situation jedoch, wenn ihr das Kleid anfertigen und auf Nachfrage behaupten würdet, die Idee zu diesem Kleidungsstück wäre euch im Traum gekommen. Die Modeboutique erwähnt ihr nicht einmal als Ausgangspunkt oder Initialzündung eures Verlangens nach diesem roten Kleid. Und zwar nicht, weil ihr den Namen des Ladens vergessen habt oder ähnliches – ihr wollt den Ruhm und das Lob für eure Arbeit ganz allein einheimsen. Das nennt sich dann Ideendiebstahl.

Meine 3. Frage: Hand aufs Herz – habt ihr schon einmal etwas abgekupfert?


46.4 | Was tun im Zweifelsfall?

Im Englischen gibt es das wunderbare Sprichwort: "Give credit where credit is due." Man soll also Verdienste anerkennen und Kredit geben, wo dieser Kredit nötig ist. Das heißt: Ihr lasst euch von dem roten Kleid im Schaufenster inspirieren? Dann verheimlicht eure Inspirationsquelle nicht, wenn ihr danach gefragt werdet, und verkauft es erst recht nicht als eure eigene Idee.

Und im Zweifelsfall gilt: Fragt nach und sichert euch ab! Beispielsweise könntet ihr in die Boutique gehen und fragen, ob es in Ordnung wäre, diesen und jenen Teil des Kleides zu übernehmen, wenn ihr auf Nachfrage eindeutig klarstellen würdet, wo ihr diese Inspiration herhabt. Das wäre ja auch eine Art der Werbung für die Boutique, weshalb ihr sicherlich eine positive Rückmeldung erhalten würdet. Auf jeden Fall jedoch wird die Reaktion freundlicher ausfallen, als wenn ihr auf einmal gegenüber der Boutique einen eigenen Laden eröffnen und exakt das gleiche Kleid anbieten würdet. Das wäre nicht cool. Ganz und gar nicht cool.


Dieses Thema lag mir schon eine ganze Weile auf dem Herzen und hat auch bei euch einige Interessierte gefunden. Daher hoffe ich umso mehr, dem Ganzen gerecht geworden zu sein, und möchte mich zudem für eure andauernde Unterstützung und konstruktiven Beiträge bedanken. Im Kontext der letzten Ausgabe habe ich so einige eurer persönlichen Erfahrungsberichte lesen dürfen, was mich immer besonders freut. Es ist unglaublich interessant, eine andere Sichtweise eröffnet zu bekommen – gerade wenn es um Tatbestände wie Trigger geht. Deshalb ein großes Dankeschön von mir an euch!

Frohes Schreiben!

P.C.

P.C.'s SchreibratgeberWhere stories live. Discover now