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»Du weilst also wieder unter den Lebenden?«, war Daniels erste Frage, als ich ihn anrief und ein Krisentreffen einberufen wollte. Es war Zeit, dass ich auch mit ihm Klartext sprach. Ich konnte nicht mit dem alten Trott weitermachen und die Wahrheit zu sagen, gehörte zu der Veränderung dazu.

Ich hatte mich dieses Jahr verändern wollen und das musste mal so langsam anfangen, denn eine gute Hälfte war schon fast vorüber. Es reichte nicht, wenn man das Zimmer dekorierte oder ein lange aufgeschobenes Essen nachholte. Wechsel fanden im Innern statt. In der Art, wie man dachte und handelte.

»Irgendwann musste das ja mal passieren«, erwiderte ich erstaunlich kühl und klemmte mir das Handy zwischen Ohr und Schulter, während ich der Verkäuferin an der Kasse einen Geldschein entgegenhielt.
»Hat aber höllisch gute Dinge mit meinem Aussehen angestellt. Willst du dich dessen nicht vergewissern?«

Daniel lachte leise auf. Ein wohliger Schauer legte sich über meinen Rücken und die Trauer, die um mein Herz geschlungen war, ließ leicht nach. Nicht alles war verloren. Das musste ich mir nur immer wieder ins Gedächtnis rufen.

Nein, ich liebte Daniel nicht. Zumindest nicht auf die alles konsumierende Art. Er war süß, er war witzig, ich mochte es, Zeit mit ihm zu verbringen und ich wollte ihn nicht verlieren – aber mein Leben wollte ich nicht für immer mit ihm teilen.

Machte es mich zu einem schlechten Menschen, dass ich ihm das nicht sagte und mich trennte? Oder einfach nur zu einem Realisten? Nicht jede Beziehung hielt ewig an, das war klar. Ich sah es nur, wie es sich mir eben darbot. Daniel war ein Wegbegleiter, der einen Moment lang blieb. Keine Ahnung wie lange und wie der restliche Weg dann aussehen würde – aber ich wollte es genießen, solange es anhielt.

War das so verkehrt?

    
Sowohl Carla als auch Daniel waren enttäuscht, wie konnte es auch anders sein. Sie verstanden Noah, verteidigten sogar seine Reaktion. Es hätte mich nicht überraschen sollen, aber irgendwie tat es das trotzdem.

»Du hast uns belogen.«

»Nur die Wahrheit verschwiegen«, sagte ich und biss mir auf die Unterlippe. »Und das tut mir ja auch leid.«

Carla schnaubte und fasste sich an die Stirn. Die Verunsicherung war ihr anzusehen und auch das tat mir leid. Sie hatte ihre Freunde in eine dumme Position gebracht. Besonders Carla, die jetzt zwischen zwei Stühlen stand. Immerhin war auch sie jahrelang mit Noah befreundet gewesen.

»Ich verstehe einfach nicht, wieso du nie etwas gesagt hast. Das macht keinen Sinn.«

Mit dieser Frage hatte ich gerechnet. Hätte es auch Noah erklären wollen, wenn ich denn die Möglichkeit dazu bekommen hätte. Also erzählte ich Daniel und auch Carla, wie mir das Leben im Nachtgeschäft anfänglich gefallen hatte. Wie aufregend ich es fand, mitten im Geschehen zu sein und mich mit den Mädchen zu unterhalten, die Standart-, oder Premium-Gäste annahmen. Ich erzählte von den Partys, von den tollen Kleidern, dem Essen, der Aufmerksamkeit, die ich erhielt.

Als Sechzehnjährige hatte ich mich großartig gefühlt und es war ja nichts Verwerfliches gewesen. Es war ein wahrgewordener Traum. Endlich hatte ich meine Mutter zurück, an die ich ohnehin nur spärliche Erinnerungen hatte. Sie war wieder da, in meinem Leben. Sie hatte Interesse an mir. Wollte mich. Liebte mich.

Über die Jugendlichen, die mir von Zeit zu Zeit begegnet waren, sprach ich auch. Dass ich niemals daran gedacht hatte, wie seltsam es war, in einem solchen Etablissement Kinder meines Alters zu sehen.
Bis Jasper eines Abends zu mir gekommen war und verlangt hatte, dass ich ein kurzes Kleid anzog und mit in die unteren Räume kam. Dort hatte ich das Grauen entdeckt, die wahre Geldeinnahmequelle. Die Menschen, die Unvorstellbares mit den Jungen und Mädchen anstellen durften.

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