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[A/N: Es ist sonnig, es ist Sonntag. Also noch ein Kapitel für euch :D]

   

Schrilles Piepen aus der Küche weckte mich. Schlagartig wach, stolperte ich aus dem Gästezimmer, hinunter zum Zimmer meiner Cousine. Auch Nathalie war bereits auf dem Weg zu dem Ursprung des Schrillen.

»Ist das die Alarmanlage?«, fragte ich eine Spur zu laut, um den Lärm zu übertrumpfen. Glücklicherweise hatte ich noch nie den Ton gehört, das dieses elektronische Ding machte. Ich musste zugeben, dass ich es selbst viel zu selten anstellte. Dabei legte ich viel Wert auf das Verschließen aller Türen, aber die Alarmanlage ignorierte ich. Was wahrscheinlich ein Fehler war.

»Das ist der Feuermelder.« Nathalie schloss den Gürtel ihres Morgenmantels – seit wann trug sie solche Dinger? – und nahm sich den Besenstiel aus dem Schränkchen neben der Küche, in dem all unsere Putzutensilien gelagert waren. Als hätte sie das schon einmal gemacht, lief sie zu einer weißen Untertasse, die in dem Zwischengang zwischen Wohnzimmer und Küche an der Decke hing. Scheinbar war dies der Ursprung der Warnsignale.
Nathalie drückte mit dem Besenstiel einen für mich unsichtbaren Knopf an der Unterasse und sofort wurde es wieder still im Haus.

Erleichtert atmete ich auf. »Seit wann haben wir einen Feuermelder?«

Nathalie runzelte die Stirn und lief an mir vorbei. Ihre Haare waren in einem ordentlichen Zopf gefangen und sie sah nicht so aus, als wäre sie gerade aus dem Bett gefallen. Viel zu makellos. Was bedeutete, dass Nathalie mal wieder bis mitten in die Nacht Berichte geschrieben hatte. Oder Serien schaute. Beides sehr wahrscheinlich.

»Seit immer. Ist sogar Pflicht in Deutschland, Liebes. Liest du keine Nachrichten?« Mit einer Hand an der Stirn lief Nathalie zur Küche zurück, stellte den Besen beiseite und untersuchte Ofen und Mikrowelle. Sie steckte sogar ihren Kopf hinein und schnüffelte laut, was mich fast zum Kichern brachte.

Was lernte ich doch für wundersame Dinge in dieser Nacht, in der ich ohnehin so unruhig geschlafen hatte. Wir besaßen einen Feuermelder, Nathalie trug Morgenmäntel und hatte eine Neigung dazu, Sylvia Plath zu sein.

»Jetzt kann ich sicher nicht mehr ins Bett«, murmelte ich und rieb mir gähnend übers Gesicht. »Was hat den Alarm ausgelöst?«

Meine Cousine drehte sich um und das ernste Gesicht gefiel mir nicht. Schon bevor Nathalie etwas antwortete, konnte ich ahnen, was sie sagen würde. Weswegen ich es eigentlich nicht hören wollte.

»Nichts. Er ist einfach losgegangen.« Nathalie begegnete meinem Blick und biss sich auf die Unterlippe. Schnell fügte sie hinzu: »Vielleicht sind nur die Batterien defekt.«

Was mich nicht beruhigte. Ich hatte nicht einmal daran gedacht, dass es keine Fehlfunktion sein konnte, bis Nathalie dieses Thema angesprochen hatte. Jetzt überfielen mich die Gedanken, die Sorgen, die Paranoia. Was wenn jemand ins Haus gekommen war. Was wenn noch jemand im Haus war. Was wenn ...

»Geh in dein Zimmer«, durchbrach Nathalie meine Gedanken. »Ich kontrolliere, ob alles abgeschlossen ist und rufe morgen früh gleich einen Techniker an.«

»Die Flutlichter waren nicht an«, sagte ich leise. Müdigkeit überfiel mich schleichend und jeder Muskel meines Körpers schmerzte vom Renovieren. Vielleicht konnte ich doch noch einmal schlafen. »Vermutlich war es also wirklich ein Fehler.«

»Ganz bestimmt«, versuchte Nathalie mich offensichtlich zu beruhigen. Doch auch sie klang leicht abgelenkt. »Leg dich wieder hin, Liebes.« Ein Kuss auf die Stirn und Nathalie ließ mich allein in der Küche zurück.

Während ich die Treppen zum Gästezimmer hinaufschlich, hörte ich noch, wie Nathalie die Haustür überprüfte und anschließend das stetige Piepsen der Alarmanlage, die auch an diesem Abend nicht eingeschaltet gewesen schien.

Ich muss mich künftig dran erinnern, war mein letzter Gedanke, bevor ich mich wieder unter die weiche Decke kuschelte und das Hörbuch auf dem Mp3-Player von vorn startete.

***

»Guten Morgen«, murmelte ich Leila am Morgen zu, als ich die Stufen zur Küche hinunter schlurfte und die Kaffeemaschine bediente.

Leila trug, wie eigentlich immer, Stoffhosen und eine knallige Tunika. An diesem Tag war sie kanarienvogelgelb. Dazu passende Ohrringe und ein ebenso gelber Haargummi komplementierten das Outfit.

Sie war dabei, Geschirr aus Kisten auszuräumen, das mir vage bekannt vorkam. Bei einem zweiten Blick erkannte ich es als das teure Porzellan, das sich andere Menschen vielleicht in Glasvitrinen stellten. Nathalie jedoch stand nicht auf überflüssigen Dekoschrott, was man im gesamten Haus erkennen konnte.

Gerade Linien, helle Möbel, einige Fotos und Bücher im Wohnzimmer, gepaart mit Auszeichnungen und frischen Blumen. Es gab genau drei Vasen, die keinen Nutzen hatten und nur Deko waren. Mehr erlaubte Nathalie nicht. Ganz so minimalistisch war ich zwar nicht veranlagt, aber da es ihr Haus war, erlaubte ich mir keine Kritik.

»Ist das das Geschirr von Nats Eltern?«

»Von Herr und Frau Stiesing?«, wiederholte Leila fragend und nickte eifrig. Es piepste und sie bat mich, die Zimtschnecken aus dem Ofen zu holen, die sie gebacken hatte. Und mit einem Schlag wusste ich gar nicht mehr, wieso ich mich je von Leila trennen sollte. Der Tag, an dem ich hier auszog, würde ein trauriger werden.

»Ich kann dein Kostüm zur Reinigung bringen, wenn ich Bob zur Mittagsrunde mitnehme.«

Mit dem Backblech in den Händen schüttelte ich den Kopf. Ich würde sicherlich kein Kostüm anziehen, nur weil Frauke und Thomas das so erwarteten. Ich wollte mich verändern, offener sein. Das konnte ich nicht in Klamotten, die ich verabscheute, sondern nur in einem normalen Outfit.

Es würde alles genau so laufen, wie ich das wollte. Hoffte ich.

***

Ich trug ein dunkelblaues Kleid mit Pünktchen. Der Klassiker, mit dem man selten etwas falsch machen konnte. Nathalie trug den Hosenanzug, den sie am Morgen angezogen hatte. Das Haus war sauber, das Essen bereit, serviert zu werden, und der Wein atmete, wie vom Händler empfohlen. Alles war perfekt vorbereitet.

Dennoch kribbelte es in meinem Magen und als ich zum wiederholten Mal meine Hände wusch, hielt Nathalie sanft meine Handgelenke fest.

»Ich weiß, dass du Angst hast«, sagte sie leise und lächelte. Ihre Haare hatte sie seitlich in Locken festgesteckt, was sie noch jünger aussehen ließ. »Aber ich bin hier, okay?«

Hier war so ein großes, dämliches Wort. Natürlich war Nathalie anwesend und würde voraussichtlich alles tun, um mich zu beschützen. Wie sie es immer machte. Aber sie steckte nicht in meinem Kopf, nicht in meinem Körper. Innerlich war ich einfach nur allein. Ein Zustand, der mir viel zu vertraut vorkam. Dabei war es nicht einmal Angst, die mich befiel. Natürlich war ich aufgeregt, nervös und zittrig, das ließ sich keineswegs bestreiten. Doch die mächtigste aller Gefühle war die Trauer. Thomas und Frauke waren nette Menschen, auch wenn ich sie anders in Erinnerung hatte. Sie hätten mir großartige Ersatz-Eltern sein können und hatten diese Chance verpasst.

Etwas, das ich ihnen niemals verzeihen konnte.

99 MalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt