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Ich stand vor dem Club und wusste schon nicht mehr, was mich dazu getrieben hatte. Es war eine stupide Idee gewesen, den Weg hier rauszufahren, um den Kerl wieder zu sehen, der eine Nacht mit mir verbracht hatte. Nein, der nur fast mit mir geschlafen hatte. Mehr war es nicht gewesen.

»Wieso hatte ich gewusst, dass du die Frau bist, die sich nach mir erkundigt hat?«

Woher kam die Stimme?

Vor dem Lotus stand nur einer der Türsteher, der nur mich im Blick hatte. Scheinbar lief das Geschäft am Sonntag vor Heiligabend nicht so gut. Wie unverständlich. Es konnten doch nicht alle in meiner Altersgruppe fröhlich bei ihrer Familie sitzen und sich aufs Fest freuen ...

»Ich bin hier oben, Schneewittchen.«

Den Kopf in den Nacken legend fand ich Daniel auf einem weitläufigen Balkon –Terrasse? – stehen. Seine Hände umfassten das Metallgeländer und trotz der Dunkelheit und den Lichtern, die ihn von hinten beschienen, erkannte ich sein halbes Lächeln. Das, was mir sofort weiche Knie machte.

Verdammt.

»Romeo, oh Romeo«, sagte ich und steckte die Hände in die Taschen meines Mantels. »Wie kann es sein, dass du dort oben bist, oh Romeo. Und ich bin hier unten, ganz allein.«

»Nun, du könntest mir immer Gesellschaft leisten, Schneewittchen.« Er ließ die Brüstung los und drehte sich halb um. Daniel sagte etwas zu jemanden, den ich von meiner Position nicht erkennen konnte, ehe er sich wieder mir zuwendete. »Du wirst nach oben geleitet.«

Es dauerte auch keine zehn Sekunden, dass die Doppeltüren aufgerissen wurden und eine Kellnerin in Arbeitskluft meinen Namen rief und mich bat, ihr zu folgen. Ich warf Daniel noch einen Blick zu, bevor ich mich beeilte und der Frau folgte.

Auch nicht schlecht. Mal eine nette Art in einen Club gelassen zu werden.

Direkt neben dem Eingang befand sich eine rotgepolsterte Tür, die mir bei meinem letzten Besuch nicht aufgefallen war. Dahinter lag ein Gang mit vier weiteren Räumen, die alle sehr kreative Blumennamen besaßen. Nur beim Anblick dieser kroch ein seltsames Gefühl in meiner Kehle hoch.

Rosenzimmer. Tulpenflur. Lilienhaus. Orchideenkammer.

Das waren Namen, die ich an einem anderen Ort erwartet hätte. Die mir etwas in Erinnerung riefen, das ich am liebsten so weit wie möglich verdrängen wollte.

»... Oben.«

Ich starrte die blonde Frau verständnislos an, ehe ich begriff, dass ich die Treppen hochsteigen sollte, vor denen wir angekommen waren. Sie hätte ja auch lauter reden können.

»Dankeschön«, sagte ich schwach und umgriff das Treppengeländer mit einer Hand.

Mit dem Blick nach oben gerichtet fragte ich mich, was ich gerade im Begriff war, zu tun. Warnten Horrorfilme nicht immer vor so etwas? Dass verrückte Serienvergewaltiger und Mörder die hilflosen Damen in ihre Basis einluden, wo niemand ihre Schreie hören konnten?

»Brauchst du einen Aufzug?«, rief Daniel von oben herunter.

Ich durfte nicht so paranoid sein. Es war ja nicht so, dass ich eine hilflose Maid war, die sich nicht wehren konnte. Nathalie und ich hatten vor zwei Jahren, kurz nach meiner Rückkehr, einen Selbstverteidigungskurs belegt. Einiges davon war mir sicher noch im Gedächtnis geblieben. Immerhin war das der Sinn der Übungen gewesen, nicht wahr?

Tief durchatmend machte ich mich an den Aufstieg.

Der Raum war fantastisch. Es war ein einzelnes Zimmer mit Kronleuchtern, die Glühbirnen statt Kerzen besaßen. Zwei Billardtische, an denen einige Leute spielten, eine Dartscheibe, ein riesiger Plasmabildschirm mit einer Spielkonsole, von der ich keine Ahnung hatte. Und eine Bar. Viel kleiner und schmächtiger als die unten, aber es war dennoch beeindruckend wie Daniel hinter der Theke stand und den Shaker herumwirbelte, als hätte er sein Leben nichts anderes getan.

99 MalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt