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»Du warst so still und eingeschlossen heute«, merkte Daniel auf der Heimfahrt an, und suchte meine Hand, die ich auf dem Schoß geballt hatte. Da ich nicht allein sein wollte, hatte ich Daniel gebeten, mich zu begleiten, sodass wir jetzt in Olaf zu mir Heim fuhren.

Zu sagen, dass ich ausgelaugt war, wäre noch eine Untertreibung. Mir ging es nicht gut. Mehr als das, ich fühlte mich miserabel. Es fiel mir schwer, meine Gedanken und Ängste zu ordnen und ich verspürte das dringende Verlangen, mit Nathalie zu reden. Meine große Cousine wusste immer einen Ausweg, hatte immer einen Ratschlag. Damals und auch heute noch.

»Ich habe Kopfschmerzen«, murmelte ich und ließ den Kopf gegen die eiskalte Fensterscheibe gleiten. Mein ganzer Körper war unterkühlt, obwohl die Heizung aufgedreht war.

Was wollte Elaine bloß hier? Von Noah? War es Zufall oder wurde sie geschickt? Wie lange ließ Alessandra mich schon beschatten? Was hatten sie vor? Ging es hierbei um Rache oder um etwas anderes?

Fragen, die in meinem Kopf herumschwirrten und mich nicht zur Ruhe kommen ließen. Ich brauchte Antworten. Hilfe. Ich brauchte jemanden, mit dem ich darüber reden konnte, der von meiner Beteiligung damals wusste.

Denn nachdem »Alice in the Underground« hochgenommen wurde und Alessandra und Jasper vor Gericht kamen, sorgte Nathalies zweiter Exmann Alexander dafür, dass mein Name aus der Öffentlichkeit herausgehalten wurde. Ich hatte es Noah verschwiegen, weil ich mich schämte. Denn erst als ich von dem illegalen Untergeschoss gehört hatte, fand ich Alessandra abstoßend. Zuvor fand ich sogar Gefallen daran, an all dem Glitzer, den Mädels, dem ganzen Geld, den Partys. Es war eine neue Welt und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, irgendwohin zu gehören und nicht nur eine Last zu sein.

Dabei war es mir so vollkommen egal gewesen, dass Alessandra niemals die Wahrheit sagte. Dass sie mir viel verschwieg, dass ich nie eine Antwort auf die Frage bekam, wieso sie mich im Stich gelassen hatte.

Dafür schämte ich mich jetzt. Denn all das war nur Schall und Rauch gewesen. Nicht echt. Eine Maske, die ich getragen hatte, um nicht die Wahrheit zu sehen.

Ich ließ Daniel in die Garage fahren und schloss die Tür auf. Das Haus lag dunkel vor mir, was bedeutete, dass Nathalie nicht da war. Schon das dritte Mal diese Woche. Kein Wunder, dass sie nicht auf meine Anrufe reagierte.

Seufzend stieg ich aus den Schuhen, schmiss die Handtasche beiseite und wartete, bis Daniel durch die Tür gekommen war und stellte die Alarmanlage ein. So schnell würde es nicht mehr geschehen, dass ich sie nicht einschaltete.

»Was hältst du davon, wenn wir ...«

Ich ließ Daniel nicht ausreden, der hinter mich getreten war und sanft meinen Nacken küsste. Obgleich mich ein Kribbeln überfiel, das kaum zu leugnen war, verspürte ich keine Lust. Wie hieß es so schön? Der Körper war willig, der Geist war es nicht.

»Ich bin müde«, sagte ich aus diesem Grund und drehte mich um, küsste Daniel zärtlich auf den Mund und flüchtete vor ihm. Ich brauchte dringend eine heiße Dusche, in der Hoffnung, dass diese meine Gedanken beflügelte. Oder zumindest in eine andere Richtung lenkte.

Daniel schien das zu verstehen, denn als ich aus dem Badezimmer trat und nur in ein Handtuch gekleidet war, schlief er bereits tief und fest auf der Couch. Lächelnd betrachtete ich meinen Freund und fühlte die Wärme in meinen Bauch zurückkehren. Er hatte keine Ahnung, wieso es mir nicht gut ging an diesem Abend oder wieso ich keinen Körperkontakt zulassen wollte, aber er respektierte es. So sehr, dass er freiwillig im Wohnzimmer schlief, statt in mein Bett zu kriechen.

Leise schnappte ich mir meine Handtasche und tapste die Treppenstufen hinauf. Meine Finger zitterten, als ich mein Handy heraus holte und nach einer Nummer suchte, die ich schon seit einer sehr langen Zeit nicht mehr gewählt hatte.
Es war zwar Ewigkeiten her, doch ich wusste genau, dass ich immer anrufen konnte, egal zu welcher Zeit.

99 MalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt