43. & 44. Mal

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Bob schleckte über mein Gesicht. Es war das erste Mal, dass der Dackel das tat und ich konnte es nicht leiden. Erst beim dritten Mal fiel mir wieder ein, dass ich ohnehin aufstehen musste. Noah war unten. Auf meiner Couch. Nachdem er volltrunken zu mir gekommen war und das an Weihnachten. An seinem heiligen Familienfest.

Viel zu verarbeiten für mein müdes Gehirn.

Erstaunlicherweise war Noah bereits wach und sah hundsmiserabel aus.

»Guten Morgen!«, trötete ich aus diesem Grund und registrierte zufrieden, wie er zusammenzuckte. Gut so. Er hatte mir einen Schrecken eingejagt und unsinniges Zeug gelabert. Er verdiente die Kopfschmerzen, da war ich mir sicher. Denn was er gesagt hatte ... Natürlich lag das nur am Alkohol. Aber dennoch.

»Schrei nicht«, maulte Noah umgehend und schloss die Augen wieder. In diesem Moment fiel mir das Veilchen auf, das sein rechtes Augeleicht zugeschwollen hatte. Dem Anblick nach schon ein paar Tage alt, beinahe verheilt. Ich hatte es am Abend gar nicht bemerkt und überquerte sofort die wenigen Meter zu ihm, stieß mir dabei noch den kleinen Fußzeh am Eck der Couch an und fiel fluchend auf die Polster. Tränen schossen mir in die Augen und ich hielt mir den Fuß, an dem kein Schuh hing.

»Du bist eine Idiotin«, murmelte Noah und lehnte sich zu mir hinüber, sodass er in einer merkwürdigen Position über mir verharrte. Ich lag seitlich auf dem breiten Teil der Eck-Couch, Noah beugte sich von der anderen Seite über mich.

Die zweite seltsame Situation mit Noah, innerhalb weniger Stunden.Was war nur mit uns los?

»Wer ist eigentlich Elaine?«, fragte ich, um die Stille zu durchbrechen. In meinem Hals kratzte es, doch der Schmerz in meinem Zeh verebbte allmählich. »Und woher kommt dein blaues Auge?«

»Das trägt man jetzt so«, erklärte er umgehend und richtete sich wieder auf. Sein Pullover war verschmutzt und verkrumpelt, sein Gesicht blass und ebenfalls knittrig. Noah fuhr sich über die Haare und erhob sich, wodurch er ins Schwanken geriet. Gerade als ich ihm folgen wollte, öffnete sich die Haustür und Nathalie kam laut polternd ins Haus. Scheinbar vollgepackt, den Geräuschen nach zu urteilen.

»Wir sind im Wohnzimmer!«, brüllte ich und wartete auf das obligatorische »Wir?«, das jedoch ausblieb. Es krachte etwas im Flur, ich hörte das Klackern von Nathalies Absätzen und dann war es auch wieder verschwunden.

»Nat hat ja auch hervorragende Laune«, sprach Noah meine Gedanken aus und ich seufzte. Da ich nicht in dieser seltsamen Position liegen bleiben wollte, zog ich mich umständlich an der Lehne hoch und blieb sitzen. Noah stand unschlüssig im Raum und schaute an einen unbestimmten Punkt.

Meine anfängliche, klein geratene Wut war verfolgen und durch Sorge ersetzt worden. Noah war mein sprichwörtlicher Anker am Schiff in stürmischer Nacht. Wie ich schon oft festgestellt hatte, war er die Sonne in meinem Universum. Wenn ich der Mond war, nachdenklich und verschlossen, war er offen und herzlich.

Noah war die Romanze, ich der Horrorfilm. Er hatte immer einen Witz auf den Lippen, ein Grinsen im Gesicht oder ein Funkeln im Blick. Und an den seltenen Gelegenheiten, wenn er nicht gut drauf war, gab er wenigstens vor, es zu sein. Das jetzt war falsch. Sein Betrunken-sein, sein Schweigen, all das war nicht richtig. Das passte zu mir, nicht zu ihm.

Aus einem Impuls heraus sprang ich auf, machte einen weiteren Sprung nach vorne und umarmte meinen besten Freund von hinten. Wobei man meine Umklammerung nicht als Umarmung bezeichnen konnte. Ich presste einfach mein gesamtes Gewicht an ihn, erdrückte ihn fast.

»Danke, dass du meine Sonne bist«, nuschelte ich in seinen Rücken und genoss es, seinen Herzschlag unter meiner Wange zu hören.

»Wir reden später, in Ordnung?«, war Noahs kühle, wenn auch freundlich ausgesprochene Antwort. Er löste sich von mir und verließ das Haus ohne ein weiteres Wort des Abschieds.

So ungern ich es mir selbst auch eingestehen wollte, aber vielleicht hatte ich unterschätzt, wie stark und fröhlich Noah in Wahrheit war. Vielleicht hatte ich all die Dinge, die ihm schadeten, übersehen. Wollen. Zu sehr mit meinen eigenen Problemen kurz vor Weihnachten beschäftigt, hatte ich keine Rücksicht auf ihn genommen. Und jetzt traf er sich mit einem Mädchen, das mir nichts sagte und tauchte am 26. Dezember volltrunken bei mir auf. Etwas stimmte nicht, ganz und gar nicht. Und ich wollte verdammt sein, wenn ich nicht herausfinden würde, was das war.

99 MalDove le storie prendono vita. Scoprilo ora