Kapitel 95

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Ellie Goulding - Still Falling For You

Freitag, 27. März

Can kam nicht wieder. Ich hoffe so sehr, dass jetzt Klarheit geschaffen wurde. Ich habe ihn einfach komplett in Ruhe gelassen, wie er es auch bei mir gemacht hat. Ganz so alleine war ich jedoch nicht, da ich immer seine Kollegen gesehen haben, die mich begrüßt haben und alle angeblich in unserer Nähe wohnen oder hier etwas zu tun haben. Von Ramazan habe ich nur herausfinden können, dass Can solange bei Celal ist oder war. War er bei der Therapie? Wie geht es ihm? Hat er getrunken? Sich selbst verletzt? Hatte er Albträume? Diese Tage haben mir trotz der Trauer gutgetan. Ich konnte nachdenken, bin noch einmal alles durchgegangen. Kommt er heute wieder? Es ist schon über 18:00 Uhr. Sollte ich ihn jetzt anrufen? Ich weiß doch, wie sehr er Zuneigung braucht. Seufzend nehme ich mir mein Handy zur Hand. Auf meinem Sperrbildschirm sind Can und ich so glücklich, so unbeschwert - das Bild ist aber trotzdem in einer Zeit entstanden, wo es uns nicht gut ging. Can war da auch krank und wir waren glücklich. Das Bild spornt mich gerade echt an, weckt die Optimistin in mir. Wenn wir es schon einmal geschafft haben, dann schaffen wir es doch diesmal auch. Etwas aufgeregt wähle ich seine Nummer. Ich würde es ihm - glaube ich - nicht verübeln, wenn er nicht abnimmt. Das Handy halte ich mir mit leichter Hoffnung ans Ohr. Es tutet einmal, zweimal, dreimal. Ich zucke zusammen, als jemand die Tür aufschließt. Sofort renne ich in den Flur. Can zieht sich die Schuhe aus. Diese Situation war am Mittwoch noch andersherum - Ironie des Schicksals.

Sollte ich auf ihn zulaufen oder warten, bis er sich regt? Seine Mimik sagt mir nichts, aber seine Augen leuchten. Seine geröteten Augen, die von dunklen Ringen geziert werden. Oh nein. Vorsichtig gehe ich einen Schritt auf ihn zu. Er könnte jetzt ausrasten, mich anschreien, um sich schlagen. Was er aber gerade tut, ist einfach nur an seinem Fleck stehenzubleiben und mich anzuschauen. Ich gehe einen weiteren Schritt auf ihn zu, er könnte mich abweisen. In seinen Augen sehe ich nichts, außer ihre Schönheit. Ich bleibe vor ihm stehen, schaue zu ihm hinauf. Er blickt starr in den Flur. "H-hi", flüstere ich. Ich weiß, dass er Zuneigung braucht. Can wird mich nicht wegdrücken. Trotzdem bin ich nervös, als ich meine Hand auf seine Brust lege. Er tut nichts, schaut weiter geradeaus. Langsam lege ich meine Arme um ihn, drücke Can fest an mich. Das fühlt sich so gut an. Ich ziehe seinen Eigenduft ein. Es wird alles wieder gut. Auf die Zehenspitzen stellend, lege ich meinen Kopf in seine Halsbeuge. Can regt sich immer noch nicht, aber das ist okay. Ich bleibe geduldig in dieser Position, nehme die Arme nicht runter, genieße einfach nur unsere schlagenden Herzen, die uns berühren. "Wir kriegen das wieder hin", murmele ich. Aufmunternd fahre ich über seine kräftigen Arme. Mein Rücken prickelt plötzlich, ehe Can seine Arme um mich legt. Mit einem kleinen Lächeln schließe ich die Augen. Jetzt sind wir einen Schritt weitergekommen. "Hey", grüßt er mich wispernd zurück. Seine Stimme lässt mein Inneres vibrieren und beben. Es kommt mir so vor, als ob sich ein helles Licht um uns legt, uns wärmt. Mich überkommt das schöne Gefühl der Erleichterung. Eine einzige Umarmung kann in mir positive Gefühle erwecken. Wie faszinierend die Liebe doch ist.

Langsam lösen wir uns voneinander, schauen uns mit Bedacht und Ruhe in die Augen. Ich fahre über seine bärtige Wange. Er schmiegt sich an meine Hand. "Setzen und reden?", frage ich. Can nickt, nimmt meine Hand und läuft ins Wohnzimmer. Wir setzen uns nebeneinander hin, lassen jedoch etwas Platz, damit wir uns in die Augen schauen können. "Wie geht es dir?", frage ich, nachdem ich geschluckt habe. "Besser, als davor." Ich nicke kaum vernehmbar, spiele an meinem schönen Ehering. "Warst du beim Therapeuten?" Can nickt. Ich mag diese Stille nicht. "Und wie war es? Worüber habt ihr geredet?", will ich wissen. "Ich habe über das jetzige Problem geredet." Er hält inne, holt einen Zettel hervor. "Er ist zwar kein Eheberater, aber er konnte die Situation schon mit meinem Verhalten assoziieren." Can faltet den Zettel auf. "Ich habe mir einige Notizen gemacht, Dr. Al-Kon hat einiges ergänzt, aber er hat eine echt hässliche Schrift. Diese typische Arztschrift." Ich schmunzele, weil sein mürrischer Ton wieder zu hören ist. "Meine Schrift ist sehr oft so", meine ich. "Aber du bist Shana. Das ist ein Unterschied." Ich bin so verdammt emotional, dass mir schon allein bei diesem Satz die Tränen der Freude aufsteigen. "Wir sprechen uns einfach aus", flüstere ich. "Wir hatten beide genug Zeit, um alles noch einmal Revue passieren zu lassen. Ich bin bereit, du auch?" Can nickt. "Ja, das-, also das kriege ich hin." Müde lächelt er. Wie wenig muss er wohl geschlafen haben? Man muss bedenken, dass mein Can schon wenig Schlaf braucht, um ausgeschlafen zu sein. "Beginnst du?", fragt er mich. Ich nicke. Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll. "Nun ja, ähm..." Das ist schwerer als gedacht.

AkzeptanzWhere stories live. Discover now