Kapitel 27

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Yiruma - River Flows In You

Freitag, 27. Dezember

Heute ist es soweit. Heute ist Salihas großer Tag. Ich habe mich damit abgefunden, dass Can und ich kein Paar mehr werden, nur bin ich etwas nervös, weil heute sowohl meine Mutter, als auch Cans Mutter auf der Hochzeit sein werde. Was soll ich sagen? Was soll ich ihnen bloß antworten, wenn sie mich auf Can ansprechen? Ich bin unvorbereitet, auch wenn ich alles schon verdaut habe. Über einen Monat ist unsere beidseitige Trennung her, die still verlaufen ist. Es ist wahrhaftig tot zwischen uns, was den anderen nicht entgeht. Heute aber nicht. Heute muss ich glücklich sein, denn heute heiraten Saliha und Malik. Die Verlobung war wunderschön, meine Mutter konnte da nicht kommen und komischerweise habe ich dort Cans Mutter nicht gesehen, was besser für mich war, jedoch kann ich heute nicht mehr fliehen. Ich schaue Saliha zu, wie sie von der Visagistin geschminkt wird. Ich wurde schon geschminkt - bei meinen Augenringen war das auch wirklich nötig. Zum Glück ist die Schminke wasserfest, nicht dass ich dann wegen Saliha weinen muss. Kaum zu glauben, dass Saliha schon heiratet, wow. Die Zeit vergeht so schnell. Bald fängt das neue Jahr schon an. Neues Jahr, neues Glück? Daran glaube ich schon lange nicht mehr - war ich je optimistisch? Ja, als ich noch um Can gekämpft habe. Ich habe länger gekämpft, als es gesund war, aber ich habe es ja beendet. Von Can habe ich nichts gehört. Nichts mit Aleyna, nichts mit Waffen, Drogen, Alkohol oder Schlägereien. Ich habe ihn nicht beachtet, als wir im Rathaus waren oder auf den anderen Feten von Saliha und Malik. Ich wollte ihn nicht sehen, habe seine Blicke jedoch gespürt. Geredet haben wir nicht, was gut so war.

Saliha seufzt zufrieden und schaut sich im Spiegel an. "Sehe ich gut oder gut aus?", fragt sie mich, was mich schmunzeln lässt. "Oder." Ich pruste, woraufhin sie ihre Augen verdreht. Gemeinsam stehen wir auf und laufen auf das Auto zu, was uns zum Saal fahren wird. Ich dachte, dass Malik Saliha abholt, aber aus irgendeinem traditionellen Grund - glaube ich - werden Saliha und Malik sich erst vor dem Saal sehen. Im Auto drückt Saliha meine Hand. "Shana, ich bin so aufgeregt!", quietscht sie, was mich schmunzeln lässt. "Nicht hinfliegen, wir haben nicht umsonst zwei Wochen das Laufen auf hohen Schuhen geübt", erinnere ich sie. "Ich hoffe, ich fliege nicht hin." Ich streiche über den seidenen Stoff meines rosa Kleides und zupfe an den Blütenärmeln herum. "Wird schon", murmele ich. Die Hochzeit wird schön, sie wird voller Liebe sein. Ich muss aufhören daran zu denken, bevor ich wieder deprimiert werde. Wir kommen vor dem Saal an, wo die Musik schon gespielt wird. Viele Leute versammeln sich vor dem Auto und warten, dass Saliha aussteigt. Es ist kalt, aber zum Glück regnet es nicht. Alle tanzen, während ich Salihas Schleppe anhebe. Belustigt schaue ich Viyan zu, wie sie anfängt zu tanzen und will mir eine frisierte Strähne hinter mein Ohr schieben, wobei ich ihn sehe. Er steht da, lässig, elegant, wunderschön, aber zerstört. Da ist der, der ehemalig mir gehörte. Ich schlucke und das so laut, dass ich Angst habe, dass Can es gehört hat. Ich habe ihn so lange nicht mehr angesehen und kann meinen Blick kaum abwenden. Schau mich an!, schreit meine innere Stimme, und als ob Can sie gehört hätte, dreht er seinen Kopf zu mir. Seine Augen treffen auf meine, was mich innerlich explodieren lässt.

Ich muss aufpassen, dass ich nicht hinfliege und kriege es auch hin. Nur kriege ich es nicht hin, wegzusehen. Seine Augen schaffen es immer wieder: immer und immer wieder ziehen sie mich in ihren magischen Bann. Das Gelb leuchtet und seine Pupillen weiten sich - wie früher. Hat er mich vermisst? Hat er Sehnsucht zu mir? Möchte er mit mir reden? Schluss damit! Ich senke den Blick sofort und bemerke, dass wir schon im Saal sind. Saliha hat Maliks Hand erreicht und läuft mit ihm alleine den Weg in die Mitte. Gebannt schaue ich ihnen zu. Saliha bebt bestimmt vor Freude und Malik ist bestimmt nervös, weil er gleich mit Saliha alleine tanzen muss. Vielleicht ist er auch etwas eingeschüchtert, weil ihre fünf Brüder hier sind. Mein Herz schlägt unergründlich schneller. Weil ich mich für Saliha freue? Nein, weil Can hier ist. Ich wünschte, ich könnte bei seinem Namen, seinem Duft, bei seiner Aura keine Regung spüren, doch nach all diesen Tagen geht es nicht. Mal wieder widerspreche ich mir. Ich habe es also jetzt immer noch nicht geschafft, ihn zu vergessen, aber geht das innerhalb eines Monats, wenn man so viel erlebt und gefühlt hat? Nein, das wäre unmöglich für mich. Alles hat seine Zeit, meine ist noch nicht gekommen. Soll ich akzeptieren, dass ich keine wahre Liebe mehr bekomme? Nur eine zweite, kleinere? Wer sagt denn, dass ich mich wieder verlieben kann? Can hat mich zu sehr geprägt und ich hoffe, dass auch ich ihn geprägt habe. Wann bin ich wieder frei? Wie lange bin ich gefangen in diesem Teufelskreis, der mir einmal sagt, dass ich vergessen habe, dann aber die Türen der Erinnerungen wieder öffnet?

AkzeptanzWhere stories live. Discover now