Geoutet

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Als die Bedienung wieder zu uns sah, schaute sie kurz geschockt aus und funkelte mich dann böse an. Hab ich mir das gerade nur eingebildet?
Als wir fertig  waren, winkte Tim die Frau zu sich. "Wir würden gerne bezahlen.", sagte er höflich. "Natürlich.", lächelte sie wieder nur Tim an. Sie legte die Rechnung auf den Tisch mit einem weiteren kleinen Zettel und ich wollte gerade mein Geld rausholen, als er mein Handgelenk festhielt. Ich sah ihn verwundert an. "Ich mach das schon.", lächelte er charmant und gab der Frau das Geld, worauf hin sie es in ihr Porte-Monnaie stopfte. Verführerisch lächelte sie nochmal, klimperte mit ihren viel zu auffällig geschminkten Wimpern und ging mit unnötig viel Hüftgewackel in ein Hinterzimmer. Als ich den Zettel so unauffällig wie möglich scannte, sah ich, dass da eine, vermutlich ihre Nummer stand. Erwartungsvoll sah ich Tim an, hätte vermutet, dass er ihn einsteckt zusammen mit der Rechnung. Doch er stand nur auf und wartete darauf, dass ich ihm folgte. "Na komm, wir wollen hier doch keine Wurzeln schlagen.", sagte er und reichte mir seine Hand, die ich dankend annahm und er mich darauf hin hochzog. "Aber willst du ihre Nummer garnicht mitnehmen? Die ist bestimmt verletzt, wenn du den einfach liegen lässt.", flüsterte ich ihm besorgt um die arme Frau zu. Naja, vielleicht war sie nicht arm, aber ich fand es trotzdem ganzschön heftig, das Zettelchen einfach liegen zu lassen. "Ach, die sind das gewohnt, dass ihre Nummer liegen bleibt. Aber ich finde es süß, wie du dir Sorgen um sie machst.", lächelte er. Trotz dem, was er gesagte, fühlte ich mich nicht besser. "Ruf sie doch wenigstens an und sag ihr, dass du keine Interesse hast...",  flüsterte ich nun etwas lauter und sah die Frau an, wie sie gerade in der anderen Ecke des Raumes einen Tisch bediente. Doch Tim lachte nur leise auf. Ich sah ihn wieder unverständnisvoll an. "Sowas macht man nicht." Ich wurde vermutlich knallrot. Das konnte ich ja nicht wissen. Mir ist sowas noch nie passiert. Und es hat mich bisher auch nicht wirklich interessiert. Doch Tim nahm das alles zum Glück locker, nahm meine Hand und zog mich nach draußen, wo er das Board auf den Boden stellte. Ich stellte mich stumm auf es und lies mich an einer Hand von Tim über die nassen Straßen ziehen, machte mir Gedanken über diese Frau. Sie hatt es sicher auch nicht einfach. So oft zurück gewiesen zu werden, muss ganzschön an ihrer Psyche kratzen...

Doch plötzlich nahm ich einen lauten Schrei auf und Tim anscheinen auch.
"OH MEIN GOTT, HERR BERGMANN!", schallte es über den gesamten Domplatz in einer unangenehm hohen Stimmlage. Alle, eingenommen mir und Tim, sahen zu der Gruppe Mädchen, die uns zu erst nur beobachtete, dann untereinander tuschelten und urplötzlich auf uns zu kamen. Ich sah schlagartig zu Tim, der seinen Kopf nur kurz hängen lies und: "Das hat mir gerade noch gefehlt...", nuschelte. Doch dann setzte er ein fake Lächeln auf und sah zu den Mädchen. Schüchtern traten auch noch andere Fans von jeder Seite an ihn heran. Er empfing sie herzlich, umarmte einige von ihnen, machte Bilder mit ihnen, gab ihnen Autogramme und halt das ganze Programm, das man als YouTuber abhalten musste. Ich wurde dabei immer mehr nach hinten geschoben von aufdringlicheren und gehypten Fangirls. Ich konnte nur die Augen verdrehen und stellte mich an eine Hauswand, fuhr ein bisschen hin und her, um mir das Gedöhns nicht mit ansehen zu müssen. Es wurde echt laut um ihn herum. Alle stellten sie ihm Fragen. Doch eine sehr auffällige und laute Stimme stach heraus, brachte alle zum Schweigen mit der Frage, die alle brennend interessierte. "Wer ist das Mädchen, dass mit deinem Longboard gefahren ist?" Plötzlich richteten sich alle Blicke auf mich. Ich wurde unter der unerwarteten Aufmerksamkeit sehr schnell panisch, blieb wie angewurzelt stehen. Angeekelte und verstörte Blicke trafen mich. Getuschel entstand unter den Mädchen, darunter heraus zu hören war auch: "Das ist bestimmt seine Neue.", "Die ist ja viel zu jung für ihn... Ist die überhaupt schon erwachsen?" und von mehreren Mädchen auch: "Iih, wie sieht die denn aus?" und "Wenn er mit so einem hässlichen Mädchen ausgeht, dann kann er auch mit mir ausgehen...". Leider hatte ich das so deutlich gehört, dass es unmöglich war, dass ich mich verhört hatte. Auch Tim sah mich an. Aber ich konnte auch bei ihm sowas wie Panik und Mitleid in seinen Augen sehen.
Doch das war zu heftig für mich. Ich wurde schon oft runter gemacht, aber so gezielt und einfach so grundlos noch nie... Eine Träne verließ mein Auge und floss über meine Wange, dicht gefolgt von zwei weiteren. Ich wollte nicht, dass mich Tim so sieht, dass seine Fans mich so sehen. Ich wollte, dass niemand sieht, wie schwach und empfindlich ich eigentlich bin. Ich stellte mich auf das Board und fuhr so schnell ich konnte los. Ich wollte weg von den Menschen, die mir mittlerweile teilweise hinterher lachten und über mich lästerten. Vielleicht konnte ich, selbst nach den vielen Jahren, die ich selbst von meinem eigenen Stiefvater verspottet wurde, immernoch keine Kritik ab. Sehr wahrscheinlich sogar, denn ich rannte gerade wieder vor einem Problem weg. Besser gesagt raste ich davor weg. Menschenmassen kamen mir entgegen, sahen mich komisch und unverständnisvoll, manche sogar abwertend und mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Sie wussten ja nicht, was das in mir auslöste. Sie wussten ja nicht, was das alles, jedes Wort, jeder Blick in mir auslöste.
Ich fuhr Schlängellinien in einer Geschwindigkeit, die es mit einem Fahrrad aufnehmen konnte, durch die Straßen und immer weiter, bis ich schlussendlich beim YouTube Haus ankam. Ich sah an die Klingel und als ich bei Palles Namen ankam, begann ich sturm zu klingeln. Bitte lass ihn einfach nur da sein... Bettelte ich zu wem auch immer. Kurz später erklang seine Stimme in einem metallischen Ton aus den Lautsprechern: "Hallo?" "Palle i-ich bins, Zoe...", stotterte ich, musste tief Luft holen. Er bemerkte anscheinend meine Zitternde Stimme und sofort erklang ein dröhnendes Geräusch, dass mir symbolisierte, dass ich die Tür öffnen konnte. Diese rammte ich auf, nahm das Longboard hoch und rannte zu Palles Tür, in der er auch schon stand und mich besorgt ansah. Als ich außer Atem und komplett zitternd bei ihm war, lies ich das Board einfach auf den Boden fallen, krallte mich sofort an ihn, drückte ihn fest an mich. Er war kurz erschrocken, doch drückte mich dann an meinem Hinterkopf ein bisschen an seine Schulter. Tränen verließen meine Augen wie ein Schwarm wütender Wespen und landeten schlussendlich auf Patricks grauen T-shirt. Schlurzer entflößten meinem Mund. Aber bei ihm war mir das egal. Ich hatte ein riesiges Vertrauen an dem gestrigen Tag zu ihm aufgebaut, dass ich ihm alles Peinliche und Schlimme meines Lebens bis aufs letzte Detail gebeichtet hätte. Mein Atem war hastig und unregelmäßig, als wenn ich gleich einen Herzinfarkt bekommen würde.
Er strich mir sanft über den Rücken. Die Geräusche, die ich vor Schmerz von mir gab, veringerten und verleiserten sich. Dann löste er sich etwas von mir und sah mir eindringlich in meine verheulten Augen... Man, muss ich dumm ausgesehen haben. Aber das interessierte mich in dem Moment nicht. Ohne ein weiteres Wort zu sagen zog er mich in seine Wohnung und schloss die Tür hinter mir, zog mich dann weiter in sein Aufnahmezimmer. Ich stolperte ihm nur hinterher und lies mich anschließend auf die Couch fallen, winkelte die Beine an und lies mein Gesicht hinter meinen Knien verschwinden. Meine Beine waren überanstrengt und zogen einen stechenden Schmerz durch meinen gesamten Körper, genau wie mein Kopf. Meine Haut war so kalt und bleich wie die, einer Leiche. Und mein Inneres ist komplett abgefackelt worden. Warum musste mir die Meinung anderer immernoch so wichtig sein?! Warum kann ich nicht wie die Anderen einfach stolz an ihnen vorbei gehen und zu mir selbst sagen "Was die sagen, kann mir doch egal sein!"? Weil du du bist! Hässlich, klein und depressiv. Du hast deine Depressionen nie überwunden. Du hast dir das alles immer nur eingeredet. Und das hast du davon.

Das ist alles alleine deine Schuld.

Meine Schuld.

In dem Moment kam alles wieder hoch, was damals geschah, als ich diesen Satz aus dem Mund meiner Eltern hören musste. Täglich. Wie ich mir immer wieder anhören musste, wie oft ich etwas falsch mache, wie enttäuscht sie doch von mir sind. Die ganzen Beleidigungen aus ihren Mündern. Mein Unterbewusstsein hatte recht. Ich hatte nie wirklich damit abgeschlossen.

Und sofort fing das Schlurzen wieder an. Alles schien von neuem zu beginnen. Unzählbar viele Tränen nässten meine Wangen und den Stoff meiner Hose. Und die Schmerzen verdoppelten sich.
Palle kam dann zu mir und nahm mich in seine starken Arme. Ich fühlte mich sicher, abgeschirmt von der Außenwelt. Ich hatte eine Pause von der Angst, anderen nicht zu gefallen, das zu machen, was man von mir verlangte. Aber warum hatte ich diesen Zwang und die Angst auch bei Tim?  
Als ich mich etwas beruhigt hatte, löste Patrik sich von mir und sah mich an. "Was is passiert?", fragte er sichtbar unsicher. Aber ich holte tief Luft und versuchte möglichst ohne Gestottere und Schniefer zu erzählen, warum ich heule. Als ich fertig war, nahm er mich nochmal in seine Arme. Dann stand er auf, verschwand kurz in der Küche und kam mit einer Tasse wieder, gab sie mir und deckte mich anschließen mit einer Sofadecke zu. In der Tasse war heißer Kakao. Er wärmte mich auf. Palle stand unruhig in der Tür und sah ständig nach hinten, dann wieder zu mir und immer so weiter. Ich rieb an meiner Nase, die verstopft war, und fragte ihn, warum er sich so komisch verhalte. Er geriet darauf hin ins Schwitzen. Zu erst stammelte er nur irgendwas unverständliches vor sich hin, doch dann seufzte er und sagte etwas, dass bei mir eine Gänsehaut entstehen lies.

"Ich muss dir was sagen..."


Pov. Paluten:

Tja... Jetzt war ich ihr wohl die Antwort schuldig. Und ich musste ihr einiges erklären. Sehr viel, um genau zu sein. Aber sie beunruhigte das sichtbar nicht weniger als mich, denn sie bekam Gänsehaut und sah mich etwas ängstlich an. Aber ich vertraute ihr ungemein. Außerdem, dass sie als erstes nach dem Ereignis zu mir gekommen ist, zeigt, dass sie mir auch sehr vertraut und bedeutet, dass ich ihr in dem Fall etwas schuldig war. Zumindest redete ich mir das ein.

Meine Blicke wechselten ständig zwischen ihr und der Tür, hinter der sich noch immer Manu befand. Ich hatte ihm gesagt, dass er leise sein solle. Ach.... Yolo!
Ich sah auf den Boden und überlegte, wie ich es am besten sagen sollte. Dann ergriff ich den Moment und plauderte es einfach aus...
"Also... es ist so... Ich hab großes Vertrauen in dich. Du darfst es niemanden verraten, versprichst du mir das?" Gehorsam nickte sie.

"Okay...

Zoe, ich bin schwul."


...

Ff Herr Bergmann|Mehr als nur ein Lieblinglehrer? Where stories live. Discover now