Kapitel 50

386 21 2
                                    

Also waren Maurizio und ich um neun morgens alleine zu Hause. Ich machte uns Frühstück.
Nach einer halben Stunde, wir saßen gerade noch am gedeckten Tisch, klingelte es an der Tür. Ich ging hin und sah plötzlich im Fenster dort Meine Großeltern stehen. Hastig öffnete ich die Tür, da sie eigentlich erst morgen wiederkommen wollten. Sie stürmten beide mit verheulten Augen und starken Atem in die Küche, knallten ihre Taschen in die nächste Ecke und setzten sich hin.

Oh nein...

Ich konnte mir denken was war, doch ich hoffte mit ganzem Körper das Gegenteil... Ich ging in meinen Gedanken mögliche Gründe durch...

Maurizio:"Was is los? Was is passiert?!"

Oma:"Ihr müsst mir versprechen ganz stark zu bleiben...."

Nein...

Opa:"...sie ist tot..."

...

Mein kompletter Körper stoppte zu arbeiten. Mein Herz blieb stehen. Meine Augen froren ein. Meine Gedanken stoppten. Ein kaltes Schweigen brach im Raum aus. Mir fielen so viele Wörter ein, doch keines davon passte zu dem, was war.

Die wunderbarste Frau, die ich je gesehen hatte, die ich als einziges Vorbild nehmen konnte, die sich so lange um mich und Maurizio gekümmert hat, ständig versucht hat uns glücklich zu machen, die für uns alles gemacht hätte... sollte nun tot sein... Eine Träne verlies mein Auge. Dann eine zweite und eine dritte. Mein Kopf begann nicht wieder zu arbeiten. Deshalb tat ich einfach irgendwas. Und das war wegrennen. Ich drehte mich um und ging zur Tür hinaus, zu meiner Simse, stieg auf und fuhr los. Schneller als je zuvor fuhr ich die Straßen dieses Ortes entlang. Schneller als je zuvor machte ich mich auf den Weg zu Tim, in der Hoffnung, dass er noch bei sich zu Hause war.
Ich bog die letzte Straße zu Tim ein und sah, dass Tims Auto nichtmehr dort stand.

Mein Geistlicher Tod trat ein.

Man diese SCHEISS LEBEN! WIESO MUSS ALLES IM BESTEN MOMENT IMMER SO SCHEISSE SEIN?!?!
ICH HAB DA DRAUF KEIN BOCK MEHR!!

Entschlossen fuhr ich vom Markt zur Kirche und dann zur Autobahn.
Nach einer halben Stunde kam ich auch dort an.
Ich fuhr auf die Autobahn und hielt kurz darauf am Standstreifen an und stellte das Moped dort ab.

Wieso sollte man Leben? Wieso sollte das Leben eine Bereicherung sein? Wie soll das gehen? Glücklich sein? Irgendwann kommt doch nur wieder son' Arschloch und schubst dich in den tiefsten Abgrund, der dich verschlingt... Was soll das?...

Ich stellte mich extrem knapp an die Straße. Ein Auto raste hupend 3cm an mir vorbei. Der Windstoß tat gut. Er fühlte sich wie Erlösung an. Und roch nach Tod, Benzin und Verwesung. Ich nahm einen tiefen Zug von diesem Geruch, schloss meine Augen. Plötzlich kam die Sonne raus. Sie erwärmte meinen scheinbar leblosen Körper. Ich fühlte mich in der Kälte Leichenähnlich. Doch die Sonne nahm mir das Gefühl. Eine Träne lief meine Wange hinunter. Ich war entschlossen. Einige mehr Autos fuhren an mir vorbei. Einige wechselten extra die Spur. 
Ich war dabei den ersten Schritt auf die Straße zu machen. Die Autos hupten, hielten jedoch nicht an. Das wollte ich auch nicht. Ich wollte meine Ruhe. Ich tätigte einen zweiten Schritt. Ich wusste, dass der nächste Schritt mir keinen Weg um die ewige Erlösung bot. Ich wusste es genauer als jeder, der an mir vorbei fuhr, als jeder, der mich anhupte... Als jeder, der mich komisch angesehen hatte...
Ich hatte keine Angst. Ich hatte Freude. Ich war gespannt und glücklich. Meine Ur-ur-Oma war ab einem Ort, an dem es wirklich besser ist als hier. Und nähmlich an dem Ort, den niemand beschrieben kann, vom dem noch nie jemand zurück kehrte. Niemand weiß, wo er ist.

Niemand kann mich stören. Und meine Seele quält sich in einem anderen Körper weiter ab. Hoffentlich wählt sie dieses Mal einen hübscheren, eleganteren Körper aus, als meinen...

Mein Herz zerknirschte während meinem Gedankengang immer mehr. Immer mehr Gründe taten sich auf, diesen einen Schritt zu wagen.
Ich wollte es. Ich wollte es endgültig. Ich nahm das letzte bisschen an Kontrolle über meinen Körper zusammen. Ich setzte an, spürte den Luftstoß eines weiteren Autos, meine Augen waren geschlossen. Nebenbei hörte ich plötzlich eine Tür zuknallen. Und auf einmal tauchte da eine der wenigen Personen auf, wegen denen ich nie weiter als jetzt kam.
Maurizio tauchte neben mir auf. Er nahm meine Hand fest in seine.
Mit jeder vergehenden Sekunde festigte sich der Druck.
Es gibt kein Wort, das die bestehende Aura beschreiben konnte. Es war eine Mischung aus Trauer, Wut, Hass... Allem negativen, was es halt so gibt. Typisch für meine Verhältnisse. Aber Maurizio war noch nie depressiv. Und wenn das jetzt sein erstes Mal sein sollte, ist das echt heftig für den Anfang. Er tat mir leid. Ich hing ja schon öfters am Strick, bin aber gerade so noch befreit wurden. Aber das hier war anders. Es war neu. Eine große Spannung baute sich auf. Er hatte anscheinend fertig nachgedacht. Er legte seinen Kopf in seinen Nacken, atmete tief durch. Ein Zeichen für mich, dass er so weit war. Wir schauten uns zeitgleich in die Augen. Er nickte mir etwas unsicher zu. Wir setzten zu dem entscheidend Schritt an. Plötzlich hörte man ein extrem lautes Quietschen. Eine Tür knallte zu und schnelle Schritte waren zu hören. Doch das war nicht das einzige;

Tim:"WARTET!"

Wir schauten zu Tim, der gerade auf uns zu gerannt kam. Unsere Hände lösten sich.

Tim:"Das... Das könnt ihr doch nicht machen..."

Er klang so aufgelöst...

Tim:"Maurizio... Was denkst du, würde Anne denken, wenn ich ihr sage, dass du von einem Auto überrollt wurdest?"

Maurizio zögerte, zog sich dann doch zurück.
Tims Stimme kämpfte gegen den Lärm der Autos.

Tim:"Und Zoe... Lass mich nicht alleine... Bitte! Komm zurück und erzähl mir, was los ist!..."

...
Ich konnte nicht. Ich konnte nicht schon wieder dort aufhören, wo ich am weitesten gekommen bin. Ich wollte nicht.
Meine Hand ballte sich zu einer Faust.

Tim:"Zoe... Bitte..."

Seine Stimme war leise, doch trotzdem stark genug, durch den Klang der Autobahn durchzudringen.

Ich kann es nicht! Meine Seele wird so zwar gequält, aber wenn ich tot bin, muss sie wieder von Neuem anfangen. Und das wäre scheiße. Das will ich und sie nicht. Ich... lasses sein...

Moment... WAS?!
Das ist es wieder! Ich lass mich nicht mehr überzeugen...
Ich setzte zum Schritt an...

Tim:"Zoe... Warte..."

Ich stoppte.
Er zögerte.

Tim:"...ich komme mit dir..."

...was?!

Er stellte sich neben mich und nahm meine Hand.

Tim:"Ohne dich ergibt mein Leben keinen Sinn... Und wenn du gehst, dann geh ich mit dir... Und zwar nur mit dir... Und was auch immer su vor hast, ich werde dich auf deinem Weg begleiten..."

...

Ich:"Du bist zu meinem Leben geworden. Unsere Herzen schlagen im Einklang. Aber wenn meins aufhört, kann deins weiter schlagen. Lasses bitte sein, Tim..."

Ich ließ seine Hand los. Doch meine lag noch immer fest in seiner.

Tim:"Entweder ich komme mit dir, oder wir lassen es beide sein..."

Eine Träne floss über meine Wange. Tim wischte sie mir weg und schaute mich an.

Er kann nicht mit mir gehen! Er ist zu wertvoll... Und er hat es nicht verdient...
Es wäre meine Schuld... Meine-Schuld...

Ich:"Ich will es nicht mehr. Ich werfe alles weg. Ich gebe auf. Mein Leben ergibt keinen Sinn mehr... Sie ist tot..."

Im Augenwinkel sah ich, wie er mich ansah.
Es entstand ein Schweigemoment.
Ich brach ihn...

Ich:"Ich will zu ihr."

Tim:"Du wirst nicht wiederkommen können!"

Ich:"Ich weiss!"

Tim:"Und ich?! Was sollte dann aus mir werden?"

Ich musste weinen...

Ich:"Ich.... Ich weiß es nicht..."

...

Ich nahm einen letzten tiefen Luftzug und machte den Schritt.
Ich hörte ein lautes Hupen und spürte einen letzten, riesigen Schmerz...

Ff Herr Bergmann|Mehr als nur ein Lieblinglehrer? Where stories live. Discover now