Kapitel 70 - Die nächsten Lügen

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„Guten Morgen." Meinte sie verschlafen. Verdammt, es war in Chicago noch Nacht, das hatte ich ganz vergessen. Noch bevor ich etwas sagen konnte, meinte sie: „Entschuldig dich ja nicht, ich war sowieso schon wach, weil das Baby mich ständig tritt." und lachte. „Geht es euch beiden gut?" wollte ich wissen. Sie erzählte, dass sie bereits einen Geburtstermin hatte, genau drei Wochen nach meiner Ankunft in Chicago, was mich unheimlich freute.

„Aber jetzt dazu, weshalb ich eigentlich angerufen habe. Ist Cole bei dir?" fragte sie besorgt. Er hatte ihnen nichts gesagt? „Ja, er ist gestern Mittag in meinem Büro aufgetaucht, hat er euch etwa nichts gesagt?" meinte ich verwirrt. „Nun ja, wir hatten einen Streit wegen seinem Vater und dann ist er abgehauen. Das war Freitagmorgen. Und seitdem ist er weg." Erzählte Rachel.

Wieso hatte mir Cole nichts davon erzählt? Verdammt, er war also nur zu mir gekommen, um seiner Mutter aus dem Weg zu gehen? „Das... hat er mir nicht erzählt. Worüber ging's denn genau?" ich bemerkte, wie meine Hand zitterte, Cole hatte es mir doch tatsächlich verschwiegen.

„Das soll er dir selber erzählen. Aber wenn ich weiß, dass er bei dir ist, bin ich beruhigt. Ich hätte nur nicht gedacht, dass er einen 8-Stunden-Flug auf sich nimmt, nur um mir aus dem Weg zu gehen." Ihre Stimme klang traurig.

Ich versicherte ihr, dass es uns beiden gut ging und legte dann auf. Schnell ging ich in die Küche, um Cole zur Rede zu stellen. „Du bist nur hier, um deiner Mum aus dem Weg zu gehen?" fragte ich enttäuscht und auch ein wenig wütend, sobald ich im Türrahmen stand. Cole drehte sich überrascht um und ihm fehlten erst mal die Worte.

„Nein, ich... okay, ja. Ich habe mit Mum gestritten und bin dann zu Alex gefahren. Aber dann hast du angerufen und ich war so froh, dass du den Brief endlich gefunden hast, sodass ich gleich einen Last-Minute-Flug gebucht habe und hergekommen bin." Erklärte er. Ich sah ihn skeptisch an.

„Worüber ging es in dem Streit?" fragte ich mit erhobener Braue. „Ach, nur darüber, dass ich Ali nicht in die Mall fahren wollte und sie hat mir dann vorgeworfen, dass ich ein schlechter Bruder wäre und so." er log mir eiskalt ins Gesicht.

Ich stemmte die Hände in die Hüften und wurde ernsthaft wütend. „Ist das dein verdammter Ernst? Weil wenn du vorhast, hierherzukommen und mich nur anzulügen, kannst du sofort wieder verschwinden!" warf ich ihm vor und sah ihn böse an. Er gab sich geschlagen und ließ die Arme sinken. „Tut mir leid." Murmelt er und kam auf mich zu, doch ich wich ihm aus.

„Nein, nichts ‚tut mir leid', Cole. Fällt dir auf, dass du nichts Anderes mehr sagst?" ich war sauer, sehr sauer. Cole sah mich mit großen Augen an und blieb wie angewurzelt stehen. „Du willst, dass ich gehe?" fragte er monoton. Ich nickte, denn ich war wirklich sauer. Er ging eiskalt an mir vorbei ins Schlafzimmer und begann, seinen Koffer zu packen.

Verdammt, ich wollte das doch nicht. Ich wollte ihn hier haben, bei mir. Aber hatte mir zuerst was verschwiegen und mir dann eiskalt ins Gesicht gelogen. Ich gab ungern nach, aber ich wusste, dass er wirklich fahren würde, wenn ich ihn nicht abhielt und so ging ich stöhnend ins Zimmer. Er ignorierte mich und so zog ich ihn am Arm zu mir, sodass er mir gegenüberstand.

Ich legte meine Arme um seinen Hals und sah ihm in die Augen. „Ich will nicht, dass du gehst. Aber du lügst mir eiskalt ins Gesicht, Rachel hat mir gesagt, dass es um deinen Vater ging." Sagte ich betont ruhig und er atmete erleichtert aus. Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und sah mich dann wieder an.

„Es tut mir wirklich leid, aber... hör zu, ich will dich nicht schon wieder in meine Angelegenheiten mit reinziehen, du hast genug um die Ohren." Meinte er und sah mir flehend in die Augen. Das hieß, es gab Probleme mit seinem Dad. „Was ist passiert?" fragte ich ernst und sah ihn zwingend an. „Nichts Schlimmes, ich..." er wurde von mir unterbrochen. „Cole, du sagst mir jetzt was passiert ist."

"Dad hat mich gebeten, vor Gericht auszusagen, dass ich in der Nacht, in der er einen seiner Drogenbosse zusammengeschlagen und dabei fast umgebracht hatte, bei ihm war. Ich soll aussagen, dass wir in der Nacht gemeinsam zu Hause waren und einen Film angesehen hatten, dann hätte er ein Alibi und die Klage würde fallen gelassen werden. Dann würde er nur mehr für den Drogenhandel verurteilt werden und müsste von den jetzigen acht Jahren nur mehr insgesamt zwei absitzen."

„Du kannst nicht für ihn lügen, Cole. Dieser Mann hat euch verlassen und dich nur ab und zu angerufen, er hat euch im Stich gelassen und jetzt verlangt er, dass du für ihn lügst, nur damit er seine Fehler nicht einbüßen muss!" ich war besorgt, denn ich wusste, wie sehr Cole seinen Dad liebte und wollte, dass er endlich aus dem Gefängnis kam.

„Genau das gleiche hat Mum auch gesagt." Er schob meine Arme von sich und drehte sich um. Er trat gegen seinen Koffer, sodass dieser aufflog. „Aber das ist die Wahrheit. Ich weiß, wie sehr du willst, dass er aus dem Gefängnis kommt und wie ein normaler Vater ist, aber er hat Fehler gemacht. Er hat euch euer ganzes Leben lang angelogen, er hat den Typen fast umgebracht. Und er sollte dafür geradestehen." Sagte ich vorsichtig.

Cole drehte sich zu mir um und in seinen Augen glänzten Tränen. „Ich habe die Chance, meinen Dad da rauszuholen, Hailee. Ja, er hat Fehler gemacht, aber er hat sich geändert." Er kam mir vor, wie ein kleines Kind, dessen Fußball gerade auf die Straße gerollt ist.

„Dass er dich bittet für ihn zu lügen, damit er sechs Jahre früher rauskommt, zeigt, dass er sich nicht geändert hat. Denn wenn er das hätte, würde er zu seinen Fehlern stehen und seine Strafe absitzen." Ich sah Cole mitfühlend an. Die Wut kochte in ihm hoch, das sah ich.

„Du kennst ihn doch nicht mal! Stell dir vor, dein Dad würde im Gefängnis sitzen. Stell dir vor du verlierst ein Elternteil einfach so und hast dann die Chance, es zurück zu holen! Was würdest du tun, wenn du deine Mum wieder zurückholen könntest, hm?"

Dass er meine Mum mit seinem Dad verglich, schmerzte, aber es ging hier nicht um mich und so ignorierte ich sein Argument. „Du bringst dich damit aber selber in Gefahr. Und was sagt dir, dass er nicht, sobald er draußen ist, wieder verschwindet?" warf ich ein und Cole legte den Kopf in den Nacken. „Du verstehst das nicht." Meinte er und ging ins Wohnzimmer.

„Cole, wenn es jemand versteht, dann ich. Ich würde alles tun, um Mum zurückzuholen! Aber du bringst dich in Gefahr, wenn du vor Gericht lügst, ist das eine Straftat. Und ich habe Angst um dich, ich will dich nämlich nicht eines Tages im Gefängnis besuchen müssen." Meinte ich ehrlich.

„Wenn du es wärst, die da drinsitzt, hinter den Gitterstäben, Hailee. Wenn du vor Jahren Fehler gemacht und dich mittlerweile verändert hättest, trotzdem aber im Gefängnis sitzen würdest. Ich würde nicht mal überlegen, ich würde sofort für dich lügen." Seine Stimme war leise und ich hatte das Gefühl, es war die Ruhe vor dem Sturm.

„Ich würde dich aber nie darum bitten. Außerdem ist das was Anderes... ich meine ja nur, dass er dich vielleicht nur ausnutzt, damit er früher aus dem Gefängnis kommt. Und wenn er dann raus ist, verschwindet er gleich wieder. Er hat es schon mal getan und ich will nicht, dass du dann nur wieder enttäuscht wirst." Ich ging auf ihm zu und legte meine Hand auf seine Wange.

„Ja, das ist mir klar. Aber weißt du, so verzweifelt das auch klingt, ich würde alles tun um meinen Dad endlich wieder bei mir zu haben. Ich habe die Chance, ihn nach drei Jahren wieder jeden Tag zu sehen, außerhalb der Gitterstäbe. Und vielleicht ist es das Risiko wert." Seine Stimme war einsichtig, doch kein Sturm also.

Ich sah ihn mit einfühlsamen Augen an und zog ihn an mich. „Überleg dir das gut, ich will dir nichts ausreden, aber falls das rauskommt, bist du am Arsch." Flüsterte ich in sein Shirt. "Ich weiß, aber es ist meine einzige Möglichkeit."

Call me BabeWhere stories live. Discover now