Kapitel 1 - Die Gegenwart

7.8K 140 7
                                    

Da saß ich nun. Inmitten einer Familie, die mir fremd war, allein. Vier Menschen um mich herum und trotzdem so allein. Meine Mum war tot, mein Dad hatte eine neue Frau geheiratet. Klar, sie war ganz nett. Nett. Es war vielleicht unfair, so über sie zu reden, aber auch wenn sie der netteste Mensch gewesen wäre, hätte ich ihr nie verzeihen können, meine Mum bei Dad ersetzt zu haben. Rachel war eigentlich eine echt tolle Frau. Sie war wunderschön, hilfsbereit, erfolgreich, humorvoll und sie machte meinen Dad glücklich.

Von der Tatsache abgesehen, dass sie Mum in meinen Augen ersetzt hatte, war das einzige, was mich an ihr nervte, ihr Sohn. Ihre Tochter Ali war ein wahrer Engel. Sie war drei Jahre jünger als ich, also 13. Sie war von Anfang an wie eine kleine Schwester für mich. Aber ihr Sohn Cole war der reinste Horror. Gut, er sah zugegeben schon gut aus. Was heißt gut, er war göttlich. Das brachte mit sich, dass alle Mädels etwas von ihm wollten. Was uns wiederrum zu dem Punkt bringt, weshalb ich ihn nicht ausstehen konnte. Er hatte sich durch drei Viertel der Schule geschlafen, rauchte und trank.

Gut, ich war auch nicht die bravste der braven. Ab und zu nahm ich natürlich auch mal einen Schluck oder hatte einen One Night Stand. Doch das war das Problem - wir waren uns zu ähnlich. Beide kalt und ohne Gefühle. Er das Arschloch, das die Mädels für Sex ausnutzte, sich nachts betrank und tagsüber zehn Schachteln rauchte. Ich die genervte sechzehnjährige, die gezwungen wurde, umzuziehen und mit der neuen Flamme ihres Dads und deren Kindern in einem Haus zu leben. Versteht mich nicht falsch, ich liebte meinen Dad, Ali und auch Rachel. Aber ich hatte den Tod meiner Mum wohl nie richtig verarbeitet und so baute ich eben diese Schutzmauer auf, um niemanden sehen zu lassen, dass es mir innerlich beschissen ging.

Aber immerhin hatte ich meine beste Freundin Tamara - meist Tammy genannt - die mich immer unterstützte und mich aus jeder Scheiße rausholte. Ich kannte sie mittlerweile drei Jahre und sie war auch der Grund, weshalb die Schule für mich erträglich war.

Es war ein Morgen wie jeder andere, ich stand im Bad und machte mich fertig, eine von Coles One Night Stands schlich sich aus dem Haus und Ali half unseren Eltern beim Frühstück machen. Als ich gerade fertig war - das heißt geduscht, meine Zähne geputzt, meine Haare zu einem halbwegs annehmbaren Zopf gebunden und mich geschminkt hatte - verließ ich das Bad und machte mich auf den Weg in mein Zimmer.

In dem Moment, in dem ich meine Türklinke runterdrücken wollte, spürte ich einen Klaps auf meinem Hintern. Das konnte nur Cole sein, der Mistkerl. Mit Schwung drehte ich mich um und meine flache Hand fand ihren Weg zu seiner Wange. „Nur, weil du dich so sehr freust, mich zu sehen, musst du nicht gleich handgreiflich werden, Hailee." Grinste er mit diesem dreckigen Grinsen, das er immer trug. Ich sah ihn mit dem zerstörerischsten Blick an, den ich nur hervorbringen konnte. Doch was machte er so früh schon wach? Normalerweise schlief er bis mindestens sieben und es war gerademal Viertel nach sechs.

„Was machst du so früh schon wach?" fragte ich also gelangweilt. „Ich geh duschen, willst du mitkommen?" erst jetzt fiel mir sein freier Oberkörper auf. Die trainierten Muskeln, sein Sixpack, das sah schon fast verboten gut aus.

„Und wovon träumst du nachts?" fragte ich schnippisch und ging in mein Zimmer, wo ich hinter mir die Tür zuschlug.

Ich tauschte meine Shorts mit einer schwarzen, an den Knien zerrissenen Jeans und mein Spaghettiträger Top mit einem weißen Shirt, das einen V-Ausschnitt trug.

Als ich in der Küche ankam, grinsten mich wie üblich bereits drei Gesichter an. Ali aß ihre Honig-Cornflakes, Dad und Rachel tranken den schwarzen Kaffee und ich nahm mir ebenfalls eine Tasse aus dem Regal, in die ich mir Kaffee schüttete, den ich dann mit etwas Milch und Eiswürfeln verfeinerte. Wie gesagt, ein Morgen wie jeder andere in den fünfzehn Wochen, die wir mittlerweile hier lebten. 

„Cole, nimmst du die Mädels heute mit zur Schule, ich fange erst um neun an und Aaron hat einen ganz anderen Weg zur Arbeit...?" fragte Rachel da, als ihr Sohn die Stiegen runter gelaufen kam. Na toll, ich konnte also auch noch mit ihm in die Schule fahren. Meine Augen verdrehten sich wie von selbst. So auch Coles Reaktion, er seufzte auf und sah seine Mum genervt an.

„Mum, ich wollte noch zu Alex fahren" jammerte er, doch Rachel ließ keine Ausreden zu, sie sah ihn vorwurfsvoll an und da er wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit seiner Mum zu diskutieren weil sowieso sie gewinnen würde, gab er sich geschlagen und ließ sich auf den Sessel neben mir fallen. „Können die Prinzessinnen ihre Ärsche nicht einfach in einen Bus schwingen?" fragte er dann und sah seine Schwester und mich finster an. „Nein" antworteten Ali und ich synchron. Er wusste genau, dass ich Angst vor Bussen hatte. Als ich noch ein Kind war, wurde ich von einem Bus angefahren, seitdem konnte ich in keinen Bus mehr einsteigen.

Als wir alle fertig gefrühstückt hatten, stiegen wir drei in Coles schwarzen BMW. Ali wollte natürlich vorne sitzen, doch Cole kannte mich doch schon eine Weile und so sagte er: „Du weißt doch, dass Hailee hinten immer schlecht wird, also verzieh dich auf die Rückbank". Ich grinste zufrieden und setzte mich auf den Sitz.

„Willst du dich nicht anschnallen?" fragte ich, als er losfuhr und es noch nicht getan hatte. „Babe, ich bin der beste Autofahrer überhaupt, ich baue keine Unfälle." War seine prompte Antwort. Ich hasste es verdammt nochmal, wenn er mich Babe nannte. Wie eine seiner Eroberungen, argh.

Call me BabeHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin