KAPITEL 67

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Wenige Sekunden später

Mit einem kurzen Geräusch verschloss ich meine Tür hinter mir und lehnte mich anschließend mit meinem Rücken gegen das harte Holz.
Meine Augen kniff ich fest zusammen und atmete zitternd die warme Luft im Raum ein.
Noch immer konnte ich nicht realisieren, was wenige Sekunden zuvor zwischen meinem Vater und mir passiert war.
Wenn Karl nicht in letzter Sekunde gekommen wäre, hätte ich jetzt endgültig mein Leben verloren.

Einige Tränen verließen meinen Augenwinkel und befeuchteten meine Wangen. Meine Lippe bebte zwischen meinen Zähnen, genauso wie der Rest meines Körpers.
Womit hatte ich das alles nur verdient?

„George ...", hörte ich eine weibliche Stimme am anderen Ende meines Zimmers flüstern und erschrocken öffnete ich meine Augen und drückte mich mit einem erhöhten Puls gegen meine Zimmertür.

Meine Mutter stand vor meinem Fenster und sah ängstlich und entschuldigend zu mir hinüber.
Ihre Haare hatten sie sich hinter die Ohren geklemmt und ihren blauen Blazer fand ich auf meinem Bett wieder.

„Mum...", flüsterte ich leise zurück und erkannte, erst hinterher was ich gerade zu ihr gesagt hatte. Ich hatte sie Mama genannt.

Als die Frau hörte, was ich gerade zu ihr gesagt hatte, riss sie nun schockiert ihre Augen weit auf. Scheinbar war sie genauso überrascht, dass ich sie gerade so genannt hatte.

„Was ist passiert?", fragte sie vorsichtig und kam einen kleinen Schritt auf mich zugelaufen.
Deine Schuhe auf meinem Boden ließen ein kurzes Geräusch ertönen, ansonsten hätte ich gar nicht bemerkt, dass sie mir näher gekommen war.
Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich wirklich mit ihr darüber reden wollte, doch immerhin hatte sie ja scheinbar etwas mitbekommen, wenn sie sich in meinem Zimmer aufhielt.

„Dad –", ich räusperte mich kurz, da sich ein unangenehmer Kloß in meinem Hals angesammelt hatte.

„Er hätte mich fast- fast", stotterte ich vor mir hin und bemerkte, wie sich wieder mehrere Tränen einen Weg aus meinen Augen bannten.
Mein Atem wurde schlagartig schneller, mein Blick glitt nach unten und sah meine Hände an die vor sich hin zitterten.
Wieder kamen mir meine Narben ins Auge und ich hatte das Gefühl jede Sekunde in mir zusammen zu fallen. 
Das konnte jetzt nicht passieren, nicht vor meiner Mutter.
Hektisch blickte ich mich um, doch ich wusste nicht, dass ich danach suchen wollte.
In meinem Zimmer war nichts, was mir helfen könnte.

Plötzlich kam die braunhaarige Frau auf mich zu gelaufen und blieb knapp vor mir stehen.
Zögernd legte sie eine Hand auf meine Schulter und fing an, sie auf und ab zu fahren. Mein Blick blieb in ihrem Gesicht hängen und fing an meiner Mutter zu mustern, sie hatte genau die gleichen braunen Augen wie ich.
Schon immer hatte ich mich gefragt, wer aus unserer Familie diese dunklen Augen hatte, denn Karl und mein Vater waren es nicht.
Irgendetwas an ihrer Art strahlte so eine Ruhe aus, dass ich es gar nicht mehr komisch fand, dass eine eigentlich fremde Frau gerade vor mir stand.
Es fühlte sich an, als würde ich sie schon mein ganzes Leben kennen, nur entsprach das nicht der Wahrheit. Ich kannte sie gerade mal vielleicht zwei Stunden, aber das interessierte mich gerade gar nicht.

Ohne ein weiteres Mal mit der Wimper zu zucken, hob ich meine Arme an und legte sie um den Körper meiner Mutter um sie anschließend nah an mich zu drücken.
Anfangs war sie scheinbar so überrumpelt von meinem Handeln, dass sie einfach nur steif in meinen Armen stand, jedoch spürte ich kurz danach, wie sie ebenfalls ihre Arme fest um mich schloss.

Als ich die Wärme meiner Mutter an meinen Körper nahm, spielten meine Gefühle wieder einmal verrückt und ich ließ meinen Tränen freien Lauf, währenddessen meine Mutter mich einfach dabei festhielt.
Behutsam strich mir die Frau über meinen Rücken und drückte mich noch ein Stück fester an sich als sie die ersten Schluchzer wahr nahm die meine Kehle verließen.

„Ich halte es hier nicht mehr aus", murmelte ich zitternd in ihrer Schulter und ich spürte ein knappes Nicken was von ihr aus kam.

„Wenn du wieder gehst, bitte lass mich nicht wieder alleine hier zurück", schlüpfte ich und ballte meine Hände hinter ihrem Rücken zu Fäusten. Ich wusste nicht, warum ich das zu ihr sagte, aber das war die Wahrheit und ich hoffte so sehr, dass sie mich ernst nimmt und es nicht machen wird.

„Dieses Mal nicht George. Dieses Mal lasse ich dich nicht alleine", versicherte mir die Frau und strich noch immer meinen Rücken rauf und runter. Mein inneres Kind würde lügen, wenn es sagen würde, dass es nicht gerade drei Luftsprünge gemacht hat, als meine Mutter diese Worte ausgesprochen hatte.

„Warum hast du es dann schon mal getan?", machte ich ihren einen Vorwurf und spürte wie meine Mutter sich kurz verkrampfte.

„Es tut mir unendlich leid und ich würde es definitiv rückgängig machen, wenn ich könnte. Aber ich hatte es mit deinem Vater einfach nicht mehr ausgehalten, es gab für ihn immer nur seine Banden und die Gier nach Geld", klärte sie mich auf und Ich nickte verstanden, bevor ich sie noch einmal kurz an mich drückte und mich anschließend langsam von ihr löste. Allerdings wollte meine Mutter nicht ganz loslassen, da sie scheinbar Angst hatte, ich würde jetzt einfach verschwinden, weswegen sie meine Hände zwischen unseren Körpern in ihre nahm.

„Er ist auch immer noch der selbe", stellte ich seufzend fest und meine Mutter sah mich verwundert an. Wahrscheinlich hatte sie keine Ahnung, wovon ich da eigentlich gerade redete.

„Er hat Karl und mich, mit in diese scheiße gezogen", erklärte ich ihr ebenfalls und riss ihre Augen schockiert auf.

„Hat er dir das auch angetan?", fragte sie mich leise, doch ich konnte die aufbrodelnde Wut in ihrer Stimme hören. Anfangs wusste ich nicht, was sie meinte, doch als ihr Blick einmal kurz zu meinen Armen hinunterglitt, verstand ich sofort, was sie meinte.

„Nein das war ich, aber er war der Auslöser", beichtete ich ihr auch, nachdem ich einmal tief durch geatmet hatte.
Ich konnte förmlich sehen, wie ihr Kiefer sich anspannte und ihre Augen sich verengten.

„Wie kann er es wagen, meinen Sohn so zu behandeln!", rief sie, aber eher zu sich selbst. Abrupt ließen sie meine Arme los und huschte an mir vorbei, bevor sie den Schlüssel im Türloch wieder drehte und die Tür schwungvoll öffnete.
Schnell lief sie in den Flur und die Treppen hinunter, ihre Schritte hallten durch das gesamte Gebäude und nach dem ich mich gefangen hatte rannte ich ihr schnell hinterher.

„JAMES BENNETT!", schrie sie durch das gesamte Haus, bis wir wieder an den Raum anlangten, aus dem ich vor wenigen Minuten herauskam.
Meine Mutter ging mit schnellen Schritten in den Raum hinein und ich eilte hinterher, blieb jedoch
in ihrem Rücken im Türrahmen stehen.

Kiss me once Where stories live. Discover now