KAPITEL 3

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Sonntag, 00:18

Der Mond erhellte noch immer die Stadt vor mir, nun kam es mir aber so vor als wäre es doppelt so hell. Was vermutlich daran liegen könnte, dass ich mich jetzt an die Dunkelheit gewöhnt hatte.
Ich saß im Fenster meines Zimmers, welches im zweiten Stock lag und ließ meine Beine hinaus hängen.
Ich griff zu meiner Bauchtasche, welche ich mir über die Schulter gelegt hatte. Als ich darin nach meinen Zigaretten anfing zu suchen, fiel mir ein, dass ich sie Karl gegeben habe und sie somit nicht dort drinnen zu finden sein könnten.

Plötzlich hörte ich jemanden hinter mir etwas sagen: „Du hast jetzt aber nicht vor zu springen, oder?" Ich schmunzelte kurz und schüttelte meinen Kopf, doch hörte damit wegen des Schmerzes sofort wieder auf.
Karl lehnte sich neben mir auf dem Fensterbrett ab und sieht zu mir herüber, seine Miene verdunkelte sich schlagartig, als er mein Gesicht sah.
Er griff ruckartig nach meinem Gesicht, so dass er meinen Wangen Knochen richtig erkannte. Mein Vater hatte mir vorhin eine verpasst und sein goldener Ring landete mitten auf der Wange, die Stelle hatte sich vorhin schon angefangen blau zu färben und deswegen fiel mir das Lachen auch so schwer, da jede einzelne Bewegung mehr schmerz verursachte.

„Wo hatte er dich noch geschlagen?", knurrte Karl als er mein Gesicht wieder los ließ, und wieder nach draußen blickte. Ich atmete einmal tief ein und wieder aus.
„In die Magengrube."

„Schlägt er dich noch immer so häufig?", erkundigte sich mein großer Bruder, doch ich antwortete ihm nicht und lehnte mich nur seufzten gegen die schmale Wand links neben mir.
Karl fuhr sich stöhnend durchs Gesicht, ich denke er hatte sich seine Frage soeben selber beantwortet.
„Bitte lass uns das Thema wechseln.", bat ich ihn und Karl ging dem nach, doch ich wusste das er nächstes mal nicht locker lassen würde wenn er mich danach fragt.

Er zog etwas aus seiner Jackentasche hervor und hielt es mir vor die Nase, es war meine Schachtel die ich ihm vorhin gegeben hatte. Ohne weiteres zögern zog ich mir nun eine heraus und nahm auch das blaue Feuerzeug welches zwischen uns lag.

„Stellst du dir auch manchmal vor einfach normal zu sein?", unterbrach ich die Stille zwischen uns, nachdem ich den Rauch wieder aus meiner Lunge ausstieß. Ich spürte denn fragenden Blick von Karl auf mir während ich wieder an meiner Zigarette zog.

„Wenn du mir sagst, was genau du mit normal meinst, kann ich es dir eventuell beantworten.", gab er zurück und kletterte auch das Fenster hinauf um sich neben mich zu setzten. Es sah so viel einfacher aus, wie bei mir.

„Ich meine eine glücklich Familie, in der man sich alles erzählen kann, mit der man etwas unternimmt und einfach Spaß hat, ohne Angst zu haben etwas falsches zutun. Oder eine Freundin zu haben mit der man alles teilen kann und dir dein ganzes Leben bedeutet, du sie ständig vermisst und dir wünscht, dass ihr am liebsten einfach alles gemeinsam machen könnt und euch nichts trennen kann.", ich war selbst verwundert über meine Worte die ich gerade gesagt hatte. Doch es war die Wahrheit, manchmal merke ich wie ich mich nach so einem Leben sehnte.

„Ich glaube du träumst zu viel.", antwortete Karl mir und schnippte mir gegen den Kopf.
Ich stieß ein seufzten aus. „Ich nehme an."
Wir blickten nun beide wieder raus in die Nacht, jeweils mit einer Zigarette in der Hand und schwiegen.

„Ja, tue ich. Ich stelle es mir jeden Tag vor. Also Normal zu sein." , durchbrach er nun die unangenehme Stille zwischen uns, doch nun hatte sich meine Frage bestätigt. Ich war mit diesem Gedanken nicht alleine.

„Warum sagst du eigentlich immer mein Vater, es ist immerhin auch dein Vater?", stellte ich ihm nun die nächste frage, ich wusste in Moment nicht einmal wie ich auf solche Fragen kam.
„Das erkläre ich dir, wenn du älter bist. Das würdest du jetzt noch nicht verkraften.", antwortete er und schmiss seine Zigarette runter auf den Boden - ich tat es ihm gleich. Ich blickte ihn mit einem irritierten Blick an, schließlich war ich schon 17 und er 19.
Er fing an zulachen und wuschelte mir durch die Haare. „Für mich bist du immer mein kleiner Bruder, also gedulde dich noch ein wenig."

Währenddessen ich meine Haare wieder richtete und aufhörte zu lachen, meinte ich: „Darf ich dir noch eine Frage stellen?"

Karl schmunzelte wieder. „Du stellst heute ganz schön viele Fragen."
Ich sah ihn vielversprechend an und somit gab er mir ein kurzes Nicken.

„Denkst du, dass da draußen irgendwo noch unser Seelenverwandter wartet?", fragte ich ihn nun und Karl blickte mich nur mit weiten Augen an und fing an zu lachen.

„Mach dir lieber nicht solche Hoffnungen und geh lieber schlafen.", er klopfte mir auf die Schulter und stand auf, um aus meinem Zimmer zu verschwinden.

Als ich die Türe hinter mir ins Schloss fallen hörte, zündete ich mir noch eine Kippe an und blickte nach unten auf die Straße, auf der noch immer mehrere Autos entlang fuhren. Doch plötzlich sah ich eine Gruppe aus vier Leuten, welche auf dem Bürgersteig zu laufen schienen. Ich erkannte durch die Straßenlaternen, dass zwei von ihnen einen Rucksack auf den Schultern trugen, doch samt alle von ihnen trugen Masken über dem Gesicht.

Doch ich wollte mich nicht länger damit beschäftigen, da ich selbst ja nicht besser war und ging somit wieder in mein Zimmer hinein, schloss mein Fenster, zog mich um und legte mich letztendlich in mein Bett um mir Stunden später noch immer Gedanken um Karl seine Antwort zu machen.

„Das erkläre ich dir, wenn du älter bist. Das würdest du jetzt noch nicht verkraften."

Kiss me once Where stories live. Discover now