8. Meine Heimat

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Ich stand dar wie eingefroren und starrte auf den Mann und das Baby auf seinem Arm. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Keine Ahnung, was mit mir los war.

Das war also mein Stiefvater, dachte ich. Und das Baby war dann meine kleine Stiefschwester, seine Tochter, richtig? Sie sah sehr süß aus in ihrem Strampler. Ihre großen Augen hatten mich die ganze Zeit im Visir. Das brachte ein leichtes Lächeln in mein Gesicht. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr fühlte ich mich wieder wohler.

„Das ist Brian", hörte ich Mum sagen, die nun neben mir stand. „Dein Stiefvater."
Ich nickte leicht und ging auf die beiden zu. Mein Stiefvater lächelte mich an. Er strahlte über sein ganzes Gesicht, als er mich sah. Auch das Baby sah glücklich aus.
„Hey", begrüßte ich Brian und schüttelte ihm eine Hand. Auf seinem anderen Arm hielt er immer noch das Baby, das seine Augen nicht von mir ließ.
„Hey Sel", entgegnete Brian mir. „Ich bin so froh, dich wieder zu sehen. Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen! Du warst immer Unterwegs und dann geschah auch noch dieser Unfall..." Seine Stimme brach ab und er seufzte.
Ich sah zu Boden und nickte wieder leicht.
„Das tut mir so leid", flüsterte er und umarmte mich kurz. „Es muss sehr hart für dich sein."
Ich sah wieder hoch zu ihm. „Ja, es ist immer noch komisch, auch nach über einer Woche noch, aber ich fange an mich an mein Leben zu gewöhnen. Na ja, zumindest an einen Teil..."
„Ja, klar, kann ich nachvollziehen", erklärte er mir schnell. Brian nickte dabei und ich glaube, er wusste, mit welchem Teil ich mich noch gar nicht auskannte. Die Medien. Ich hatte noch keine Ahnung, was dort auf mich zukam, jedoch habe ich bis jetzt nur geteilte Meinungen gehört. Viele finden es gut, von Fotografen umringt zu werden und andere wiederum nicht. Jedoch wusste ich genau, dass das Starleben nicht einfach war.

Mein Blick fiel nun wieder auf das Baby.
„Das ist Gracie", stellte Brian mir die Kleine vor, als er meinen Augen gefolgt war, und strich ihr sanft über den Kopf. Gracie schien das zu mögen. Als er dann wieder zu mir sah, fragte er: „Willst du sie einmal halten?"
Ich lächelte und nickte. Klar, was für eine Frage! Sie war meine Schwester! Natürlich wollte ich sie einmal halten! Ganz vorsichtig reichte Brian mir die Kleine. Sanft schloss ich sie in meine Arme und hielt sie fest, sodass sie nicht runter fallen konnte. Ich konnte ihren Herzschlag fühlen. Er schlug ein bisschen schneller als normal. Wahrscheinlich hat sie sich auch auf mich gefreut. Babys konnten doch auch schon denken und fühlen, oder?
„Na meine kleine Süße", flüsterte ich ihr ins Ohr. „Alles gut?"
Ich wusste, dass sie mir keine Antwort geben würde, tat es trotzdem. Es war wie bei Hunden.
Dafür gab sie leise Geräusche von sich, die ein Baby nun mal so von sich gab.
„Sie ist wirklich hinreißend", gab ich zu und sah hoch zu Brian und Mum, die nun Arm in Arm neben ihm stand. Die beiden sahen wirklich glücklich zusammen aus. Sie waren bestimmt gute Eltern für die kleine Gracie. War ich den auch eine gute Schwester?
Mum fing darauf hin an zu nicken. „Sie ist unser kleiner Engel."
Ich gab Gracie einen Kuss auf ihr kleines Köpfchen und gab sie dann Mum in ihre Arme. Fürs erste war das genug gewesen. Ich musste mich erst einmal wieder dran gewöhnen, dass ich eine kleine Babyschwester hatte. Hoffentlich würde ich mich irgendwann hier wieder heimisch fühlen. Das wünschte ich mir wirklich von Herzen.

„Ihr habt sicher Hunger, oder?", warf Mum dann in den Raum und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich sah sie an und nickte. Heute Morgen hatte ich nur ein kleines Frühstück und zu Mittag hatte ich auch nicht viel. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Brian auch nickte und sich seinem Bauch rieb. Er schien auch großen Hunger zu haben.
„Ja, ich könnte schon etwas vertragen", sagte er mit einem Lächeln und gab Mum einen Kuss auf ihre Haare. Dann ging er schon mal vor in die Küche während Mum und ich noch kurz im Flur stehen blieben. Sie sah mich immer noch an.
„Hast du Lust mir beim Kochen zu helfen?", fragte Mum mich dann erwartungsvoll. Ihre Augen strahlten, als sie mich fragte. Half ich ihr immer beim kochen? War das eine Familientradition? Ich war unsicher und zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht", murmelte ich. „Kann ich denn kochen?"
„Ja, sogar sehr gut", erwiderte Mum und ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus.
„Wirklich?", harkte ich nach. „Daran kann ich mich nicht erinnern."
„Ich weiß, aber es stimmt", versuchte sie mich zu motivieren.
Ich seufzte. „Ich schaue dir heute erst einmal zu, okay?", schlug ich vor.
Mum sah ein bisschen enttäuscht aus, doch sie nickte. Ich konnte sie verstehen, doch ich hatte keine Ahnung vom Kochen. Das würde ich sicher bald wieder lernen.

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