Kapitel 44

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P.o.V. Rezo

Ju war verschwunden, um mit der Stationsleitung zu sprechen und ich war nicht von Mexis Seite gewichen. Ein leises Gähnen lenkte meine Aufmerksamkeit zu Jasmin, die verschlafen die Augen öffnete und sich verwundert umsah. Ihr Blick fiel auf mich an Mexis Seite und sie verzog ihren Mund zu einem leichten Lächeln.

„Wie spät ist es?"

„Weiß ich nicht, habe seit Stunden auf keine Uhr geschaut."

„Mh Moment," sie zog ihr Handy aus der Tasche, „es ist 19:25, die Besuchszeit ist bald vorbei."

Das versetzte mir einen harten Stich und ich drückte seine Hand noch ein bisschen fester. Nichts und niemand würde mich von seiner Seite wegbekommen und wenn ich mich hier festketten musste. Sein Gesicht wirkte blass, aber hier konnte ich das Leben in ihm noch erkennen, es war nicht verschwunden. Behutsam lehnte ich mich zu ihm und flüsterte in sein Ohr: „Bitte wach bald wieder auf, ich brauche dich hier."

Die Tür öffnete sich und herein kamen Ju und Tim, der besorgt wirkte und augenscheinlich völlig neben sich stand. Ju wandte sich an mich: „Du kannst hierbleiben, aber du musst klingeln, wenn etwas ist und mir versprechen uns anzurufen, solltest du uns brauchen. Gib mir deinen Schlüssel ich hol dir Klamotten und anderes Zeug, was du brauchst."

„Danke," ich zog den Hausschlüssel aus meiner Hosentasche und reichte ihm diesen, „kannst du auch bei ihm vorbeischauen und ein paar Sachen mitbringen?"

„Das werde ich machen," Jasmin stand neben ihm, immer noch ziemlich fertig, aber mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck, „mach dir keine Sorgen."

Damit verließen sie den Raum und ließen Tim mit uns alleine. Zuerst stand er etwas unschlüssig herum, kam dann jedoch zu mir und stellte sich neben mich, wie Ju es vorhin getan hatte. Er räusperte sich leicht, bevor er sprach: „Hei, Ju hat mir schon erzählt, wie es ihm geht. Ist bei dir soweit alles in Ordnung?"

„Es ist besser als vor ein paar Stunden, aber-" weiter kam ich nicht, ich wusste nicht, wie ich meine Emotionen in Worte packen sollte. Das war schon immer mein Problem gewesen. Dinge, die ich fühlte in normale Sprache zu übersetzen und richtig auszudrücken, war mein Schwachpunkt. 

„Ich verstehe, was du meinst."

Danach ging er zum Tisch und holte sich einen der Stühle, den er an die andere Bettseite stellte und sich dann darauf setzte. Eine Zeit lang saßen wir dort still beisammen und betrachteten Mexi.

„Weißt du ich konnte dich am Anfang überhaupt nicht leiden."

„Erzähl mir was Neues."

„Nein so meine ich das nicht. Mexi ist mein bester Freund seitdem wir klein waren, er hat ziemlich früh herausgefunden, dass er auch auf Männer steht und das war damals eine Riesensache, als er es mir gesagt hat. Vor der Reaktion seiner Eltern, hatte er am meisten Angst, aber als die sehr locker und offen reagiert haben, konnte er damit auch viel besser umgehen."

„Wieso erzählst du mir das?"

„Schau mal, Mexi hat angefangen zu daten, als wir in der achten Klasse waren. Zuerst nur Mädchen und später dann auch Jungs. Die Mädchen haben versucht sich an ihm hochzuziehen, weil er ziemlich beliebt war und die Jungs haben ihn reihenweise ausgenutzt. Dann kam Elias und ich dachte er hätte endlich jemanden gefunden, der ihn nicht verletzt. Als er ihn dann mit einem guten Freund im Bett erwischt hat, ist eine Welt für ihn zusammengebrochen. Jeder der danach kam, war entweder ein arroganter Arsch, wollte keine feste Beziehung oder hat ihn behandelt wie Dreck. An dem Abend, als wir uns im Club getroffen haben, dachte ich du wärst genauso wie alle die davor kamen. Einmal wollte ich ihn vor dem immer gleichen Fehler bewahren können. Nur dann seid ihr euch immer näher gekommen und ich wusste, dass du nur auf Frauen stehst, also habe ich versucht ihm das aus dem Kopf zu schlagen. Nach der Sache im Club habe ich dich richtig gehasst, meine Theorie war bestätigt und du warst genauso wie all die anderen. Aber dann hab ich gesehen wie du dich um ihn bemüht hast, wie du vor Eifersucht gekocht hast, als Mexi mit Eddy getanzt hat und da habe ich es verstanden."

„Was hast du verstanden?"

„Mexi hatte einmal bei etwas Recht gehabt. Bei einer Person hatte er sich nicht geirrt und das warst du. Ganz am Anfang haben wir zusammen auf seiner Couch gesessen und er hat mir von dir erzählt, mir vorgeschwärmt wie toll du bist und das du anders bist. Damals hab ich gelacht, heute weiß ich, dass es stimmt. Im Gegensatz zu jedem Arsch und jeder dummen Pute von früher, bist du der Erste, der sein Glück und seine Gefühle über seine eigenen stellt. Niemand von denen hätte hier gesessen. Und auch, wenn es noch dauern sollte, bis du dich entscheidest, wünsche ich euch von ganzem Herzen viel Glück."

„Ich habe mich schon entschieden."

Überrascht zog er die Augenbrauen nach oben und strich sich durch die langen Haare: „Hast du?"

„Der heutige Tag, der Schmerz in meinem Herzen, die Ungewissheit was passiert war. Als ich vor dieser Tür stand, wusste ich endlich, wieso sich meine Gefühle für ihn so seltsam angefühlt hatten, irgendwie ungewohnt. Niemals in meinem Leben habe ich einen Menschen so sehr geliebt wie ihn. Das klingt furchtbar kitschig, aber ich weiß nicht wie ich es anders beschreiben soll. Nach Julia habe ich niemandem mehr vertraut, ich hab auf Gefühle geschissen und mir einfach jedes Mädchen gekrallt, das ich bekommen konnte. Für mich war das eine Art von Rache, wenn Frauen mich so verletzen konnten, dann konnte ich das auch. Das hat so lange funktioniert, bis ich ihn getroffen habe und plötzlich etwas anderes gespürt habe als Schmerz und Wut. Hätte ich mir das früher eingestanden, hätte ich ihm viel Leid erspart."

„Sag es ihm, wenn er aufwacht," gerade wollte ich etwas einwerfen, aber er unterbrach mich mit einer Handbewegung, „ich bin mir sicher, dass alles gut gehen wird und er bald aus dem Koma geholt werden kann."

„Danke, du bist der erste, dem ich das so gesagt habe."

„Ich fühle mich geehrt. Jetzt hoffen wir einfach, dass es ihm bald besser geht."

Wir sahen uns an und nickten uns aufmunternd zu. Gerade spendeten wir uns gegenseitig Kraft und es bedeutete mir sehr viel, dass er mir all das gesagt hatte. Vielleicht waren wir nicht die besten Freunde, aber sicherlich konnte man daran arbeiten.

Blue •rezofyWhere stories live. Discover now