Kapitel 43

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P.o.V. Rezo

Eine Hand legte sich auf meinen Rücken, aber ich brachte es nicht über mich nach oben zu sehen. Jemand weinte und setzte sich zu mir auf den Boden. Die Person griff nach meiner Hand und drückte sie fest, streichelte mit dem Daumen darüber und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Am liebsten wäre ich aufgestanden und zu ihm gegangen, hätte ihn in den Arm genommen und gesagt, dass alles gut wird. Ob er mich hören konnte? Vielleicht hörte er uns zu und antwortete uns, nur in seinen Gedanken. Mit der letzten Kraft, die ich noch hatte, hob ich den Kopf und sah zu ihm. Er brauchte mich. Vielmehr brauchte aber ich ihn, um das hier durchzustehen.

Behutsam schob ich Jasmins Kopf von meiner Schulter und zog mich am Bettende nach oben. Neben ihm stand ein Stuhl und obwohl meine Beine bleischwer waren, schaffte ich es dorthin und ließ mich darauf fallen. Seine Hand lag neben seinem Körper und ich konnte nicht anders als danach zu greifen. Sie war nicht so warm wie sonst. Normalerweise strahlten seine Hände so viel Wärme aus, dass man das Leben in ihm spüren konnte. Jetzt fühlte es sich an, als wäre das alles verschwunden, einfach ausgelöscht. Trauer schüttelte mich, ließ mich nicht begreifen, warum das hatte passieren müssen.

Eigentlich dachte ich, dass ich so viel geweint hatte, dass nichts mehr nachkommen konnte. Weit gefehlt. Diese Welle der Verzweiflung und Schuld traf mich noch heftiger als die Erste. Ein unkontrollierbares Schluchzen erschütterte meinen ganzen Körper, so sehr, dass ich dachte, ich würde an den Tränen ersticken. Hätte ich nicht seine Hand gehalten, wäre mir alles hier wie ein schlimmer Traum vorgekommen. Mein Kopf wurde von stechenden Schmerzen geplagt, weil ich versuchte, nicht lauthals loszuschreien, für den Fall, dass er uns doch hörte.

Ju und Jasmin hatten ein paar leise Worte gewechselt, dann verließ Jasmin das Zimmer und Ju kam an meine Seite. Eine ganze Zeit stand er dort und lauschte, wie ich innerlich auseinanderbrach, war einfach für mich da.

Wie lange wir bereits hier waren, wusste ich nicht, aber als ich mich langsam wieder gefangen hatte und mich zumindest halbwegs sicher fühlte ein oder zwei verständliche Worte aussprechen zu können, war die Sonne bereits an unserem Fenster vorbeigezogen. Jasmin saß auf einem der Stühle an der Wand, sie war vor Erschöpfung eingeschlafen. Meine Augen hatten auch bereits ein paar Mal zufallen wollen, aber ich hatte tapfer dagegen gekämpft. Als ich zu Ju sah, der sich auf die Fensterbank gesetzt hatte, brannte mein Gesicht wie Feuer. Er sah zu mir, tiefstes Mitleid in seinem Blick. Dann stand er auf und kam näher zu mir: „Brauchst du etwas?"

„Wasser vielleicht." Meine Kehle war trocken und kratzte, als hätte ich alle Flüssigkeit in meinem Körper durch meine Tränen verloren.

Er reichte mir ein Glas und ich trank es in einem Zug leer.

„Danke," meinte ich und gab es ihm wieder.

„Nicht dafür."

„Es ist meine Schuld." Zum ersten Mal hatte ich das ausgesprochen, was mir schon seit Stunden durch den Kopf ging.

„Was meinst du?"

„Ich wollte ihn heute Morgen abholen, aber er hat darauf bestanden, dass ich alleine fahre. Hätte ich- hätte ich ihn trotzdem mitgenommen, dann- dann wäre-"

„Hey, du kannst nichts dafür. Mach dir bitte keine Vorwürfe. Wichtig ist jetzt, dass er wieder gesund wird und die Polizei das Arschloch findet, dass ihn angefahren hat."

„Wird er denn wieder- ich meine- geht es ihm bald besser?"

„Der Arzt meinte, er hat nur drei geprellte Rippen und seine Elle ist gebrochen, das heilt wieder. Aber er ist ziemlich heftig mit dem Kopf auf den Asphalt geschlagen, deshalb haben sie ihn ins Koma gelegt, um einen Hirnschaden ausschließen zu können."

Erneut stiegen Tränen in meinen Augen auf: „Heißt das er könnte- also- er könnte nie wieder- aufwachen, wenn-"

„Nein, er wird aufwachen. Soweit sieht es gut aus, meinten sie und bis jetzt ist kein großer Schaden festzustellen, bis auf eine heftige Gehirnerschütterung. Allerdings wollen sie noch ein paar Tage warten, um alle Eventualitäten auszuschließen."

„Okay, gut."

„Morgen kommen seine Eltern hierher. Jasmin hat mit ihnen gesprochen."

Dazu sagte ich nichts und nickte nur. Eigentlich hatte ich gehofft seine Eltern unter etwas besseren Umständen kennenzulernen. Wie sollte ich ihnen nur unter die Augen treten?

„Außerdem habe ich alle unsere Mitarbeiter nach Hause geschickt und schonmal am Montag freigegeben, so müssen wir uns darum keine Sorgen machen."

„Danke, ich bin dir wirklich sehr dankbar dafür."

Danach sagten wir eine ganze Zeit nichts mehr, bis die Tür geöffnet wurde und zwei Polizeibeamte im Raum standen. Durch meine verquollenen Augen hätte ich sie beinah nicht erkannt.

„Guten Abend, wir ermitteln im Fall ihres Freundes dort und hätten ein paar Fragen an sie, wenn sie sich dazu bereitfühlen sollten."

„Stellen sie alle Fragen, die sie haben, ich stelle ihnen gerne alles zur Verfügung, was ich weiß." Ich löste meine über das Bett gekrümmte Haltung ein bisschen, um die beiden Herren richtig anschauen zu können. Mexis Hand ließ ich jedoch nicht los.

„Sind sie der Partner?"

„Ja, bin ich." Im Augenwinkel sah ich ein kleines Lächeln über Jus Lippen huschen.

„Also heute Morgen hat offensichtlich der oder die Fahrer*in eines schwarzen BMW SUVs das Rot der Ampel viel zu spät bemerkt und demzufolge ereignete sich der Unfall. Allerdings haben Passanten beobachtet, wie das Auto sofort nach dem Zusammenstoß in den Gegenverkehr einbog und die Unfallstelle verließ. Außerdem hatte der Wagen keine Kennzeichen und alle Scheiben waren verdunkelt, sodass niemand eine Beschreibung abgeben konnte. Sollte ihnen jemand einfallen, der ihm vielleicht etwas Böses wollte oder wenn sie das Fahrzeug kennen, sagen sie es uns bitte."

Der Kloß in meinem Hals verhinderte eine Antwort, also übernahm Ju für mich: „Konkrete Menschen, die etwas gegen ihn gehabt hätten, würden mir nicht einfallen. Er war nett und freundlich zu jedem, ich könnte mir ehrlich gesagt niemanden denken, der ihm etwas antun wollte."

„Mir fällt auch niemand ein, er hat auch nie etwas in die Richtung erzählt."

„Okay, das war erstmal unser wichtigstes Anliegen, sollten wir noch Fragen haben, melden wir uns bei ihnen. Hätten sie eine Telefonnummer für uns?"

Schnell zog Ju eine Visitenkarte von Nindo aus der Tasche und kritzelte unsere Nummern auf die Rückseite.

„Vielen Dank, falls ihnen noch etwas einfallen sollte, melden sie sich bitte unter dieser Nummer." Im Austausch reichte er mir seine Karte und ich verstaute sie sicher in meiner Hosentasche.

Als sie wieder gegangen waren, sank mein Kopf auf die Bettdecke. Dieser Tag hatte mich mehr erschöpft als jeder andere in meinem Leben.

„Denkst du ich kann hierbleiben?" verzweifelt klammerte ich mich an seiner Hand fest.

„Ich bin mir nicht sicher, ob das erlaubt ist."

„Ich kann ihn nicht alleine lassen, er braucht mich."

Zweifelnd zog er eine Augenbraue nach oben und da sagte ich es zum allerersten Mal laut: „Verdammt ich liebe ihn, mehr als ich jemals einen anderen Menschen auf dieser gottverdammten Welt geliebt habe. Ich kann hier nicht weggehen, nicht heute."

Blue •rezofyΌπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα