Kapitel 17

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P.o.V. Rezo

Heute war einer der erfolgreichsten Tage überhaupt gewesen. Ju und ich hatten am Nachmittag einen riesigen Vertrag mit einem großen Unternehmen aushandeln können und von dem Geld, das allein für mich dabei rausspringen würde, könnte ich mir fast ein Haus kaufen. 

Die Mitarbeiter waren länger geblieben, um zu feiern, denn natürlich würden wir sie alle mit einem großen Bonus daran beteiligen. Zuletzt waren nur noch Ju und ich übrig, schütteten uns zu wie lange nicht mehr und machten Pläne. Nachdem eine große Flasche Champagner und zwei Weinflaschen leer waren, verließen wir stolpernd das Büro. Auf der Straße fiel Ju über einen Stein und legte sich der Länge nach hin, tat sich allerdings nicht weh. Mein Kopf war völlig vernebelt, aber irgendwann hatten wir uns verabschiedet und ich hatte die restlichen Meter zu mir allein zurückgelegt. Beim dritten Anlauf hatte ich den richtigen Schlüssel ins Schloss gesteckt und dann meine Schuhe von mir geschleudert. Heute geisterten keine Gedanken um mich herum, ehrlich gesagt konnte ich gerade sowieso keinen klaren Gedanken fassen.

Eigentlich wollte ich im Kühlschrank nur nach etwas zu essen suchen, fand jedoch noch zwei eiskalte Bier, die ich mir genehmigte, während eine Pizza im Ofen vor sich hin garte. Ein Blick auf die Uhr verriet mir die überaus frühe Uhrzeit von 22.42 Uhr. 

Entspannt ließ ich mich mit meinem Teller auf die Couch fallen und schaltete irgendeine Serie an. Komischerweise hatte ich bis jetzt noch keine Nachricht von Mexi bekommen, dem ich schon vor Stunden die guten Neuigkeiten überbracht hatte, was überaus seltsam war. Genüsslich verspeiste ich meine Pizza Stück für Stück und lachte etwas zu laut über das Geschehen auf dem Bildschirm. Gerade als ich aufstehen und den Teller zurück in die Küche bringen wollte, klingelte es mehrmals an der Tür. Wer könnte das jetzt noch sein? Vielleicht war es ja Mexi, der als Überraschung zum Feiern vorbeigekommen war. Voller Vorfreude torkelte ich zur Tür und öffnete sie. Was ich dort sah, ließ mir allerdings alle Freude aus dem Gesicht fallen.

Es war Mexi. Seine Augen aufgequollen und rot, dicke Ringe darunter und dicke Tränenspuren auf den Wangen. Völlig überfordert stand ich auf der Schwelle und starte auf das unwirkliche Bild vor meinen Augen. Schnell wollte ich ihn beruhigen, jedoch verschlangen sich die Wörter auf dem Weg von meinem Kopf bis zu meinem Mund und bildeten unzusammenhängenden Nonsens: „Hei, was kann ich- äh was ist helfen- passiert dir- was los ist?" Verdammt ich hatte viel zu viel getrunken.

Scheinbar hatte er aber gar nicht mitbekommen, was ich von mir gegeben hatte und nur eine Millisekunde später wurde mir klar wieso. Er stank ebenfalls nach Alkohol und außerdem nach Zigaretten. Mir fehlten die Worte. Noch immer hatte er nichts gesagt und stand nur stumm an derselben Stelle, schwankte jedoch ziemlich hin und her. Als er dann den Mund öffnete, kam kein Ton heraus. Er schloss ihn wieder, schluckte schwer und setzte dann erneut an: „Kiara- tot." Mehr brachte er nicht heraus und brach in Schluchzen aus. Endlich schaltete auch mein Körper und ich zog ihn fest an mich, die Arme über seinen Rücken streichelnd. Wer war nochmal Kiara? Seine Schwester? Nein, er hatte keine Schwester... oder? Wo hatte ich den Namen gehört? Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Kiara war einer seiner Hunde, die bei seinen Eltern wohnten. Jetzt drückte ich ihn noch fester und konzentrierte mich stark auf meine nächsten Worte: „Das- das tut mir- tut mir echt leid."

Auf meiner Schulter hatte sich mittlerweile ein großer nasser Fleck gebildet, aber das interessierte mich nicht. Mexi murmelte unverständliche Dinge gegen den Stoff meines Shirts, weiterhin geschüttelt von Schluchzern. Irgendwie fühlte ich mich hilflos, so etwas hatte ich noch nie erlebt und hätte gerade wirklich Ju gebraucht, der in sowas mehr Übung hatte. Gerade kickten die zwei Bier nochmal richtig rein und alles drehte sich. Scheiße. Da murmelte er etwas und ich schob ihn ein Stück von mir weg, um verstehen zu können, was er sagte. 

Der Anblick machte mich hilflos. Noch nie hatte ich einen Menschen so gesehen. So aufgelöst. So verzweifelt. So wunderschön. Es musste irgendetwas geben, dass ihn beruhigen konnte, etwas das ihn ablenkte und in den glücklichen, fröhlichen Mexi zurückverwandelte. Noch bevor mein Körper wirklich mitbekommen hatte, was er da tat, hatte ich eine Hand an seine Wange gelegt und wischte die Tränen weg, die gerade erneut herunterliefen. Der Schmerz in seinen strahlenden Augen versetzte mir einen festen Stich ins Herz. Also machte ich das Einzige, das in meinem betrunkenen Kopf Sinn ergab. Ich zog ihn an mich und küsste ihn.

Seine Lippen schmeckten nach Whisky und Schokolade. Tränen trafen jetzt mein Gesicht und ich vergrub eine Hand in seinen Haaren, um ihn zu beruhigen. Seine Händen griffen nach dem Kragen meines Shirts und klammerten sich daran. Zwar hatte ich schon viele Leute geküsst, aber die Intensität dieses Kusses überstieg alle Vergangenen um Längen. Ein warmes Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus und versetzte mich in eine Art Rauschzustand. Das fühlte sich verdammt gut an, viel zu gut. Vorsichtig löste ich mich von ihm und sah in sein glühendes Gesicht, das mich mit so viel Gefühl anblickte. „Nochmal," flüsterte er so leise, dass ich ihn fast nicht gehört hätte. Nichts lieber als das. Meine Hand landete wieder an seinem Hinterkopf und vereinte unsere Lippen zum zweiten Mal miteinander.

Ein lautes Piepsen riss mich aus meinem Schlaf. Die Sonne ging gerade auf und mein Wecker zeigte sieben Uhr. Sofort pochten heftige Kopfschmerzen hinter meiner Stirn auf und ließen mich zischend zusammenzucken. Was zur Hölle war gestern passiert und wieso hatte ich Idiot den Alarm nicht ausgestellt. Müde und vollkommen gerädert, schwang ich mich aus dem Bett, da mein Magen mindesten genauso schmerzte wie mein Kopf.

Im Wohnzimmer hätte mich die Person auf der Couch beinah zu Tode erschreckt. „Ey Mexi, was machstn du hier? Hast du hier geschlafen?"

„Sieht so aus, aber ich hab keinen Plan wie ich hierhergekommen bin."

„Ich auch nicht, aber das finden wir bestimmt irgendwann heraus. In der Zwischenzeit würde ich Frühstück machen und Aspirin einwerfen."

„Gute Idee, ich verhungere."

Blue •rezofyWhere stories live. Discover now