Kapitel 34

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Mit zittrigen Fingern tippte ich auf senden. Konnte ich das echt tun? Jetzt gab es kein zurück mehr. Ich konnte nicht einfach auf einen Knopf drücken und diese E-Mail wäre ungeschehen. Ich hatte damit etwas besiegelt, kopflos und vollkommen aus dem Bauch heraus.

Tief atmete ich ein und lehnte mich an die Wand im Flur. Der Geruch nach Desinfektionsmittel machte mir Kopfschmerzen. Ich wollte aber auch nicht zurück in das Zimmer. Ich konnte Leo einfach nicht in die Augen sehen. Wie er mich angefleht hatte zu bleiben...

Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Egal wie tief ich ein und ausatmete, das Gefühl blieb und schnürte mich ein. War das so, wenn man das Gefühl hatte Freunde zu verlieren?

Leo war mir gar nicht so unähnlich, stellte ich schmunzelnd fest und mein Herz zog sich noch mehr zusammen. Auch ich hatte immer wenig Freunde gehabt. Hatte mich aber auch aus allem was nur ging heraus gehalten, da war das wohl kaum verwunderlich. Ich hatte nie Anschluss gefunden und dann immer einfach irgendwann aufgegeben. Es kostete zu viel Energie und zu viel Kraft. Vielleicht ging mir dieser Versuch deshalb so nahe, weil ich ihn verstand.

Ich verstand seinen Schmerz, seine Enttäuschung und alles dazwischen. Dieses Gefühl fraß sich in mich hinein und wollte sich festbeißen. Er hatte sich im Alkohol ertränkt wegen Klara, der Bitch, die uns zwar sagte dass er im Krankenhaus war, aber nicht mitgewollt hatte, als wir es ihr anboten. Sie hatte nur die Nase gerümpft und gemeint sie könne auf diese Erfahrung verzichten. So viel zum Thema, dass sie Leo immer noch liebte. Ich hoffte inständig, dass er nun mit ihr abgeschlossen hatte.

Und dann hatte er das Gespräch zwischen mir und Helena heute morgen mitgehört. Das hatte ihm wohl den Rest gegeben. Ich hatte ihm den Rest gegeben.

Ich schloss die Augen und versuchte irgendwie an etwas schönes zu denken um nicht loszuheulen. Wie hatte bloß so gedankenlos seien können? Warum hatte ich nicht besser aufgepasst? Scheiße! So würde ich wohl kaum bleiben können und damit wohl in die Arbeitslosigkeit abrutschen. Wie sollte man diese Kündigung bloß erklären ohne dass man den nächsten Job auch vergessen konnte?

Helena hatte die ganze Wartezeit nur geheult. Sie hatte mit der Situation schlechter umgehen können als ich. Für sie fiel an diesem Wochenende gefühlt alles auseinander. Die Liebe ihres Lebens, die sie als hoffnungslos abgestempelt hatte, liebte sie auch vögelte aber eine andere. Ihr bester Freund, den sie so schätzte, versuchte sich zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten das Leben zu nehmen und ich war ihr keine Stütze. Ich war bloß die, die nicht aufgepasst hatte und eigentlich schon halb aus der Tür war. Sie hatte nun niemanden an dem sie sich festhalten konnte. Das tat mir unheimlich leid.

Schnelle Schritte kamen den Gang runter und ich überlege noch ob ich nicht vielleicht wieder herein gehen sollte, da bog Quentin um die Ecke. Die Haare verwuschelt, tiefe Augenringe, ein blaues Auge und eine nette kleine Platzwunde am Kiefer. Was auch immer er getrieben hatte, es hatte sich augenscheinlich nicht gelohnt.

„Ist er da?", er zeigte atemlos auf das Zimmer in dem Leo lag.

Ich nickte. „Helena ist bei ihm"

„Gut", nickte er mir zu und lief unbeirrt weiter. Er schien gar nicht zu wissen, was ihm blühen würde, wenn er Helena über den Weg laufen würde. Oder es war ihm schlichtweg egal.

Mein Handy klingelte. Ich presste die Lippen zusammen und blickte auf den Bildschirm. Unbekannte Nummer. Kurz war ich geneigt nicht dran zugehen, aber wenn es Leos Eltern waren, war ich ihnen eine Erklärung schuldig.

„Tamra Winkler" meldete ich mich und versuchte nicht allzu geknickt zu klingen. Ich wollte ja nicht den Eindruck erwecken, dass ich die Situation nicht unter Kontrolle hatte.

Des Springreiters Stolz- (2022 Version)Место, где живут истории. Откройте их для себя