Kapitel 33

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Alles war still. Ganz still. Ich hörte meinen eigenen Atmen, meinen Herzschlag, und dann wie etwas neben mir hinfiel und Gummisohlen sich über klebenden Boden bewegten.

„Och Mensch!", vernahm ich neben mir und schlug abrupt die Augen auf. Diese Stimme war fremd, zumindest konnte ich sie nicht zuordnen und das ließ meinen Puls in die Höhe schießen.

Helles Licht traf auf meine Netzhaut. Ich blinzelte und konnte zumindest nach wenigen Wimpernschlägen eine typische Linoleumdecke ausmachen. Hatten sie im Himmel, oder eher in der Hölle diese Decken?

Die Krankenschwestern neben mir sah weder aus wie ein Engel noch wie ein Dämon. Langsam sickerte in mein Bewusstsein, dass wohl auch dieses Mal etwas nicht nach Plan gelaufen war. Fuck! Das musste ein ganz blöder Witz des Universums sein.

„Ach simma auch en mal wach?", lachte mich dieser etwas korpulente Nichtdemon/ Nichtengel an. „Wollen se was trinken?"

Stumm nickte ich und verzog das Gesicht als ich mich aufstützen wollte.

„Ach so, joa, dat wird wieder!", wollte sie mich wohl mit ihrem Lächeln aufmuntern und stellte ein Glas mit Wasser auf das Tischchen neben dem Bett. „Jenäht is, da kommt gleich noch mal de Frau Doktor und will mit ihnen reden!"

Als ihre Schritte auf dem Flur verhallten kehrte wieder diese vermaledeite Stille ein. Diese Art der Stille in der dein Klopf arbeitet und arbeitet und arbeitet. Diese Stille in der das Gedankenkarussel fahrt aufnimmt und nicht mehr herunter zu bremsen ist. Diese Form der Stille die tötet.

Was hatte ich der Welt getan? Wie hatte das alles überhaupt seinen Lauf genommen?

War es an dem Punkt ins Rollen gekommen, als ich Klara das erste Mal in der Aula unserer Schule gesehen hatte? Damals noch mit einem mittellangen dunkelblonden Haarschnitt und Zahnspange. Oder als wir nach unserem Geschichtskurs das erste Mal miteinander gesprochen hatten und sie mir davon erzählt hatte wie sehr sie Pferde liebte? Hatte sie da vielleicht schon alles geplant und kalkuliert wie sich mich am besten Fertig machen konnte? Gut, der Gedanke war abwegig. Ich glaube kaum dass jemand mit sechzehn plante, wie er mit zwanzig seinen Freund ausnimmt und fertig macht. Dann gingen wir doch vielleicht einfach mal davon aus, dass es mit unserem ersten Gespräch angefangen hatte.

Ich konnte mich noch daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. Wir hatten auf dem Flur gestanden und sie hatte mich nach meinem letzten Turnier gefragt. Ich war überrascht gewesen, dass sie davon wusste. Dadurch dass sich viele meiner männlichen Mitschüler darüber lustig gemacht hatten, dass ich ritt, hatte ich nie viel darüber geredet. Sie hatte mich dabei breit angelächelt und so ehrlich interessiert gewirkt, dass wir uns die ganze Pause unterhalten hatten. Ich hatte sie zwei Tage später auf unser Gestüt eingeladen und irgendwie nahm sie diese Beziehung ihren Lauf mit den ersten Küssen unter der Linde am Springplatz.

Tief atmete ich ein und dachte wieder daran wie ich sie mit Kai zusammen gesehen hatte. So hatte sie mich nie geküsst. Zumindest nicht öffentlich. Wenn ich tief in mich hinein lauschte war ich sogar froh darum, dass mir das erspart geblieben war.

Vielleicht hatten Klara und ich einfach nicht sein sollen. Sie behauptete zwar mich immer noch zu lieben, aber ich konnte ihr das einfach nicht abnehmen. Allgemein fiel es mir gerade sehr schwer zu glauben, dass ich irgendjemandem wichtig war.

Ich war alleine. Allein in diesem kargen und beinahe schon kalt wirkendem Zimmer. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass jemand nach mir suchen würde. Wahrscheinlich fiel mein Fehlen erst auf, wenn ich eigentlich hätte starten sollen.

Die Tür öffnete sich und die Ärztin schritt in den Raum. Ruhig musterte sie mich und ihre Mundwinkel zuckten leicht nach oben. „Guten Morgen."

Ich blinzelte sie einfach nur an. Einen Augenblick brauchte ich um ebenfalls ein, „Guten Morgen", zu entgegen.

Des Springreiters Stolz- (2022 Version)Where stories live. Discover now