32. Kapitel

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Camilla Rosalie Lopez

Ich öffnete den Briefumschlag, und zog das gefaltete Papier heraus. Dieses faltete ich auseinander und begann den augenscheinlichen Brief zu lesen.

Hey Cimi!

Ich zog scharf Luft ein, laß jedoch weiter.

Wenn du das jetzt ließt, dann werde ich gescheitert sein. Oder ich habe kalte Füße bekommen - was ich allerdings nicht glaube, da du mir alles bedeutest -, und nun fragst du dich, was das für ein komischer Kerl ist, der dir schreibt. Falls das erste zutrifft, und du wirklich geflüchtet bist, dann muss ich mich offensichtlich entschuldigen. Du warst - und wirst es immer sein - meine Welt, und ich liebe dich mehr als jeden anderen auf dieser Erde. Das, was ich dir gegenüber empfinde, ist die Definition wahrer und unendlicher Liebe, die man seinem Seelenverwandten gegenüber verspürt. Ich würde jeden Menschen auf diesem Planten umbringen, nur damit du mich wieder liebst, wie du es einst tatest. Ich weiß nicht, was ich dir angetan habe, dass du flüchten musstest, aber ich werde dich wieder auffinden, dass weißt du...

Obwohl da noch mehr stand, faltete ich den Brief wieder zu und legte ihn auf meinen Nachttisch. Ich hatte ja bemerkt, wie mich Fünf liebte. Er hatte mich entführt, vergewaltigt und in einen dunklen, kalten Raum gesteckt, isoliert von der Außenwelt.

Gerade, als ich das kleine Nachtlicht ausknipsen wollte, hörte ich, wie die Türklinke hinunter gedrückt, und darauf die Tür geöffnet wurde.

„Camilla?", es war Lucie, welche hinein kam, und hinter sich die Tür schloss, „Camilla? Bist du noch wach?"

„Ich blicke dir geradewegs in die Augen", antwortete ich etwas genervt, und zog die Decke näher an mich.

„Hör mir zu, Camilla", Lucie setzte sich neben mich auf mein Bett, „Ich habe dich lieb, ich meine du bist meine Schwester, und auch wenn ich es oft nicht zeige, du kannst mir alles anvertrauen!"

Verwirrt sah ich sie an, als ihr Blick auf das Hemd fiel, welches von Fünf stammte und ich noch immer trug.

„Was ist das für ein Oberteil?", fragte sie stutzig.

„Das ist von meinem ehemaligen Entführer", seufzte ich, während ich versuchte, meinen Körper mit meiner Decke zu bedecken, „Aber wieso bist du hierhin gekommen?"

„I-Ich glaube dir nicht", gestand sie, wobei sie einen schuldigen Blick aufsetzte.

„Wie bitte?!", schnaufte ich entrüstet. Dachte sie, ich wäre abgehauen, und hätte mir das alles ausgedacht, oder was.

„Dieser Kerl, Vier oder so, der hat doch nie existiert", sie sagte Vier, während sie Gänsefüßchen zeigte, „Ich will dir nicht zu nahe treten, allerdings bist du ein gar irrelevantes Mädchen aus einem kleinen Dorf in Deutschland. Ich habe dich lieb, das weißt du, aber das ist doch alles Quatsch!"

„Tut mir leid, dass du so denkst", seufzte ich, „Aber ich erzähle nur die Wahrheit. Ich wurde nach Toronto verschleppt, wo ein sechzehnjähriger Kerl meinte, er wäre über dreißig Jahre mit mir zusammen gewesen und...und...", ich brach in einen kompletten Tränenanfall aus. Ich hatte mir selbst zugehört, und natürlich klang das total lächerlich, aber das waren meine letzten Monate gewesen, und ich kann selbst doch auch nichts dafür.

„Hast du dir eigentlich zugehört?", fragte Lucie fürsorglich, „D-Das klingt absurd! V-Vielleicht solltest du einen Therapeuten aufsuchen, der könnte dir helfen. Camilla, ich habe dich ehrlich lieb, aber das klingt lächerlich!"

„Sieh mich doch an!", brüllte ich geradezu, „Ich trage einen Unterhose und ein Hemd, welches mir angezogen wurde, nachdem mich mein Entführer vergewaltigt hatte. Vergewaltigt wurde ich, Lucie, vergewaltigt! Ich bin psychisch zerstört, habe meine Jungfräulichkeit an einen Psychopathen verloren, meine beste Freundin wurde wegen mir erschossen, und weißt du eigentlich, wie lange ich nicht mehr einschlafen konnte, ohne Angst zu haben, in der Nacht abgestochen zu werden, während ich darüber nachdenke, wie ich zurück zu meiner Familie finde?!"

Lucie stotterte irgendetwas, was mich nur noch wütender machte.

„Hier!", rief ich aufgebracht, und streckte ihr den Brief entgegen, welcher auf meinen Nachtisch lag, „Ließ das, und sag mir nochmal, dass ich einen Therapeuten besuchen soll. Der kann mir auch nichtmehr helfen!"

Cimi?", fragte Lucie verwirrt, wobei sie auf den Brief starrte.

„S-Sag das nicht", murmelte ich, und krallte meine Fingernägel in meine Decke, „Sag dieses Wort bei wieder!"

„Komm schon, Camilla, wem willst du was vormachen?", seufzte Lucie.

„Ach, fick dich doch!", schrie ich, „Ich habe fast ein halbes Jahr daran gedacht, wie es jetzt sein würde, und so hatte ich es mir definitiv nicht vorgestellt. Verschwinde! V-Verschwinde, Lucie, verdammt!", ich hatte angefangen zu heulen, was meine Schwester nur mit einem genervten Blick kommentierte.

„Wir gehen morgen zur Polizeiwache", schlug sie vor, nachdem Lucie aufgestanden und wieder zur Tür gelaufen war, „Wir fahren mit Mama und Papa dahin und werden der Polizei alles erzählen!", damit verschwand sie aus dem Zimmer und ließ die Tür einen Spalt offen.

„TÜR ZU!!!!!!", brüllte ich, doch sie war schon weg.

Entführt von einem Hargreeves || Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt