Virginia - Vom Lernen und Predigen

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In der Eingangshalle blieb ich einen Moment stehen und atmete diesen vertrauten Geruch unseres Hauses ein. Ich war wieder angekommen, dachte ich lächelnd.
„Sybill, denkt bitte daran, dass Master Edward jetzt in seinem eigenen Zimmer schläft und ihr seine Sachen dort unterbringt." hörte ich meinen Mann noch sagen, bevor er in unserem Schlafzimmer mit seinem Kammerdiener verschwand.
Sprachlos blieb ich auf dem Treppenabsatz stehen. Hilfesuchend sah ich Mrs. Wallace an.
„Mistress Kenway, lasst es einfach zu. Ich werde auf Edward aufpassen. Und ich weiß, wie schwer euch dieser Schritt fällt. Ich habe es in Frankreich ja auch gesehen, aber dort habt ihr es gemeistert, dann werden wir das hier ebenso schaffen. Ich stehe auf eurer Seite, Mistress Kenway!" versicherte mir das Kindermädchen.
Traurig sah ich zu meinem Sohn, welcher mich aber weiterhin mit einem Schmollen strafte.
„Ich... es fällt so schwer... Gerade nach dieser langen Überfahrt und..." ich seufzte tief.
„Ihr habt Recht, ich muss immer noch dazu lernen, genau wie Edward." Ich trat auf die beiden zu. „Min lille skat, wollen wir dein Zimmer hier einmal ansehen? Du hast ein großes Bett, ganz für dich alleine und deine Spielzeugtruhen sind bestimmt auch schon dort." sagte ich euphorischer als ich eigentlich war.

Zum ersten Mal, muss ich zu meiner Schande gestehen, stand ich in dem eigentlichen Kinderzimmer meines Sohnes.
Die Vorhänge waren in einem satten Gelbton und sein Bett war noch auf ein Kind angepasst, aber dafür doch recht groß.
Es gab einen Kleiderschrank, eine Kommode zum Wickeln und wie ich erfreut feststellte, war sein Spielzeug tatsächlich schon hier oben.
Sybill und ich ließen ihn jetzt sein Reich selber erkunden. Er wankte immer noch leicht hin und her, aber sein Gang wurde immer sicherer auf festem Boden.
Edward war ein neugieriges Kind wie ich feststellte, weil er auch unter dem Bett nachsah und auf der anderen Seite kichernd wieder auftauchte.
Langsam beruhigte ich mich und gab dem kleinen Kenway noch einen Kuss. „Sei artig, min lille skat. Mama geht sich jetzt umziehen und Mrs. Wallace wird dich auch fürs Abendessen anziehen. Ich hab dich lieb." dann ich ging hinüber ins Schlafzimmer.

Hier herrschte reger Betrieb, einige Mädchen verräumten bereits die Kleidung, während eine andere Magd die dreckigen Kleidungsstücke einsammelte, die man ihr gab. Im Ankleidezimmer saß Haytham auf einem Stuhl und ließ sich von Michael rasieren. Erst jetzt fiel mir auf, dass mein Mann wirklich ein wenig wild im Gesicht aussah. Während der Überfahrt fiel des öfteren so eine Zuwendung aus, weil der Seegang es nicht zuließ, oder einfach nicht die Zeit reichte.
Magda machte sich daran mir die Toilettensachen zurechtzulegen und bat mich ebenfalls auf dem Stuhl vor meiner Kommode Platz zunehmen. Es war eine Wohltat wieder Wasser im Gesicht zu haben, FRISCHES Wasser wohlgemerkt! Dass es eiskalt war, war mir gerade ziemlich egal und ich stöhnte laut bei der Berührung.
Haytham bat kurz darauf die Zimmermädchen uns alleine zulassen, damit Michael und Magda uns einkleiden konnten.
Ich genoss diese kurze Wäsche und als ich in einem warmen Wollkleid steckte, fühlte ich mich einfach gut. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Haytham mir einen langen Blick zuwarf, aber weder etwas sagte noch dachte. Irritiert sah ich weiter zu ihm, aber er machte keine Anstalten sich zu erklären. Für einen Moment war ich in die Zeit versetzt, in welcher ich seine Art oft nicht deuten konnte. Plötzlich trat ein wissendes Grinsen auf sein Gesicht und dann hörte ich seine Stimme in meinem Kopf.
Es funktioniert immer noch, mi sol. Sei dir sicher, du gehörst mir und ich habe gerade wieder gemerkt, dass es mir einen wohligen Schauer beschert, wenn ich dich so aus der Fassung bringen kann. Mit einem einzigen Blick. Erwähnte ich, dass dieser Mann mitunter richtig fies sein kann?

Fertig angezogen gingen wir hinunter in den Wintergarten um zu Abend zu essen. Edward saß bereits in seinem kleinen Hochstuhl und wartete zappelnd und plappernd auf uns. „Hunger!" und seine kleinen Finger wollten schon nach dem Teller greifen, wo Tabea ihm Gemüse und Kartoffeln bereitgestellt hatte.
„Nein, du wartest, bis wir alle am Tisch sind, Edward." kam es streng von Haytham, was ihm prompt ein Jammern von seinem Sohn einbrachte!
Ich befürchtete schon, dass mein Gatte auch noch vor dem Essen das Beten anfing, doch Odin sei Dank, war das keiner seiner Pläne! Aber sogar ich war versucht, zu warten bis Haytham mit dem Essen begann... seine Autorität war oft einfach nervig! Aber im Grunde liebte ich gerade das an meinem Mann, oder nicht? Doch ich schweife ab...

Von schicksalhaften Zeitreisen und dem Ruf der NornenWhere stories live. Discover now