28. Schlaflos [2]

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Emma verabschiedete sich von den beiden und betrat die Küche, wo Miragel damit beschäftigt war, Heiltränke anzurühren und Kräuterpasten zusammenzumischen.

Anoushka gab ihm von der Seitenlinie hilfreiche Tipps. »Ist Rasputin aufgewacht?«, fragte sie, noch ehe Emma etwas sagen konnte.

»Ja, das ist er«, bestätigte Emma und spähte in einen der Töpfe auf dem Herd, in dem eine intensiv nach Kamille duftende Brühe vor sich hin köchelte.

»Und er ist noch nicht über dich hergefallen«, meinte Anoushka mit hochgezogenen Brauen, während sie in einem kleinen, ziemlich abgewetzten Notizbuch blätterte.

Emma verschränkte die Arme vor dem Körper. »Nein, ist er nicht, aber vermutlich wird er bald über irgendwen herfallen.«

»Wir müssen uns was einfallen lassen«, sagte Miragel, während er den Sud umrührte.

Anoushka seufzte. »Ich kümmere mich darum.«

Emma wartete bis die Hexe gegangen war, dann wandte sie sich direkt an Miragel: »Kann ich Kilian sehen?«

»Der Baron muss sich ausruhen«, antwortete Miragel ohne von seiner Arbeit aufzusehen.

»Ich werde ihm nicht zur Last fallen«, sagte Emma. Seit sie in Paris voneinander getrennt worden waren, hatten sie nicht mehr richtig miteinander gesprochen. Emma hatte das drängende Gefühl, sich für ihre Rückkehr zur Morgenwind rechtfertigen zu müssen. Immerhin wollte sie nicht, dass er dachte, sie wäre seinetwegen zurückgekehrt. Außerdem wollte sie ihn unbedingt dazu bringen, ihre Verbannung rückgängig zu machen. Nicht, dass sie vorhatte, auf der Morgenwind zu bleiben, aber sie würde auch nicht wieder gehen, bevor sie sich für Savannahs Tod gerächt hatte. Niemand sollte glauben, er könnte einfach auftauchen, ihre Freundin töten und damit davonkommen. Auch nicht General Orel Erelis.

»Ich halte das für keine gute Idee«, sagte Miragel.

»Es ist nur für-«

Ein lautes Scheppern brachte Emma zum Innehalten. Der Löffel war Miragels Fingern entglitten und in der kochenden Brühe gelandet. In einer fremden Sprache fluchend, fischte der Elf den Löffel wieder heraus und ließ ihn in eine Schüssel mit kaltem Wasser fallen. Dann lehnte er sich gegen den Herd und schloss die Augen.

Emma konnte kaum glauben, was sie sah. Miragel in einem Moment der Schwäche?

»Alles in Ordnung?«, fragte sie vorsichtig.

Miragel fuhr sich mit der Hand über die geschlossenen Augen und nickte. »Es geht mir gut. Ich brauche nur einen Moment.«

»Du musst total erschöpft sein«, erkannte Emma und ihr wurde bewusst, wie taktlos sie sich verhalten hatte. »Lass mich dir helfen.« Sie bückte sich nach dem Löffel. »Ich kann das machen. Ich-«

Miragel nahm Haltung an und entwand ihr den Löffel. »Ich sagte doch, es geht mir gut.« Er maß Emma abschätzend. »Außerdem wärt Ihr mir in Eurem Zustand ohnehin keine Hilfe.«

»In meinem Zustand?«, fragte Emma.

»Ihr habt nicht geschlafen und Euer Gesicht sieht aus wie ein Blaubeerkuchen.« Miragel wandte sich wieder seinem Gebräu zu. »Ich werde mir das später ansehen, wenn kein Bewohner mehr in Lebensgefahr schwebt.«

»Aber ich würde gerne helfen«, sagte Emma, wobei sie vorsichtig ihr Gesicht betastete. Als sie ihre Nase berührte, spürte sie einen dumpfen, pochenden Schmerz. Plötzlich erinnerte sie sich wieder daran, dass ihr General Erelis mit seinem Flügel ins Gesicht geschlagen und ihr dabei vermutlich die Nase gebrochen hatte.

Morgenwind - die fliegende Stadt [Buch 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt