4. Neue Freunde, alte Feinde [2]

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Kilian erwartete sie im Erdgeschoss, in einem Raum, der trotz prasselndem Kaminfeuer kalt und unbehaglich wirkte. Die hohe Decke, die schweren Vorhänge, die nur spärlich vorhandene Einrichtung und die dunklen, holzvertäfelten Wände erstickten jede Gemütlichkeit bereits im Keim.

Der Baron erwartete sie jedoch nicht alleine. Bei ihm waren Kamilla, sein jüngerer Bruder und ein Mädchen, bei dem Emma vermutete, dass es sich um eine weitere Schwester handelte. Sie musste etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein. Ihr Haar war von demselben auffälligen Blond wie das ihrer Geschwister. Davon abgesehen, war sie ein pausbäckiger, etwas pummeliger Teenager, der Emma an sich selbst in ihrem Alter erinnerte. Sie spielte mit einem kleinen silbernen Gegenstand und sah nicht einmal auf, als die Gruppe eintrat.

In einer Ecke des Zimmers bemerkte Emma Rasputin. Er lümmelte auf einer Holzbank und betrachtete scheinbar interessiert seine Fingernägel. Bei seinem Anblick wurde ihr augenblicklich flau im Magen.

»Emma«, sagte Kamilla und erhob sich aus dem breiten Sessel, den sie sich mit ihrer Schwester teilte. Der dunkelgrüne Stoffbezug des Möbelstücks war bereits löchrig und abgewetzt. »Wie fühlst du dich?«, wollte sie wissen und schloss Emma fest in die Arme. Für einen Moment sah Emma nur noch Kamillas üppigen Busen. Die innige Begrüßung war ihr nicht nur deswegen ziemlich unangenehm.

»Gut«, antwortete sie verlegen und befreite sich sanft aus der Umarmung. »Meinem Rücken geht es auch schon viel besser.«

»Das freut mich zu hören«, meinte Kilian. Er saß in einem hohen Ohrensessel und starrte in die Flammen des Kamins. Sein jüngerer Bruder lehnte ein paar Schritte weiter am Kaminsims und musterte Emma misstrauisch. Alle vier Geschwister trugen schwarz.

»Was macht er hier?«, fragte Emma mit Blick auf Rasputin.

»Er ist hier, weil ich ein ernstes Wort mit ihm zu reden habe«, erwiderte Kilian. »Genau wie mit dir, Laurent.«

»Ich habe mich schon bei Emma entschuldigt«, sagte Laurent rasch, aber Kilian schüttelte den Kopf.

»Du weißt genau, dass es mir nicht um eine Entschuldigung geht. Jedenfalls nicht nur. Was letzte Nacht geschehen ist, hätte in einer Katastrophe enden können. Nicht nur für Emma, sondern für uns alle.«

Laurent senkte den Blick auf seine Fußspitzen. »Ich weiß, Baron. Was passiert ist, tut mir aufrichtig leid. Aber ich kann mir nicht erklären, wie es passieren konnte, dass mein Käfig plötzlich unverschlossen war.«

»Jemand muss vergessen haben, ihn abzuschließen«, vermutete Kamilla.

»Das denkt Joseph auch«, sagte Laurent in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er anderer Meinung war. »Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass ich die Tür noch am Abend zuvor genau überprüft habe. So, wie ich es immer tue.«

»Dann wurde die Tür geöffnet«, sagte Kamilla.

»Aber wer hätte das tun sollen?«, erwiderte Laurent. »Und weshalb?«

»Die Person, die auch Ninites Stall geöffnet, die Blitzkanone manipuliert und Desmond eine Treppe runtergestoßen hat«, bemerkte Kilians Bruder.

Kilian löste seine Aufmerksamkeit von den Flammen und warf seinem Bruder einen finsteren Blick zu. »Emma, darf ich dir meinen Bruder Karel und meine Schwester Klarissa vorstellen?«

»Sehr erfreut«, murmelte Emma. Die Angesprochenen reagierten nicht. Vielleicht war es unter ihrer Würde, sich mit einer Bürgerlichen zu unterhalten.

»Das waren alles Unfälle«, fuhr Kilian fort.

»Und was ist mit dem Tod unseres Vaters?«, erwiderte Karel. Seine Stimme zitterte vor mühsam unterdrücktem Zorn.

Morgenwind - die fliegende Stadt [Buch 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt