10. Freundinnen [2]

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Während sie langsam Richtung Küche gingen, hörte Savannah nicht auf, von ihrem Kind zu schwärmen. »Camio ist ja ein Wechselbalg. Deswegen konnte mir auch niemand sagen, wie die Schwangerschaft verlaufen würde. Miragel hat mir immer nur diese Horror-Geschichten erzählt, von Kindern, die sich durch den Mutterleib beißen würden.« Sie rollte mit den Augen. »Aber davon ist natürlich nichts wahr. Alles verlief ganz regulär. Und Camio ist wirklich ein kleiner Schatz. Er isst bloß ziemlich viel. Am liebsten rohes Fleisch. Aber davon abgesehen, ist er ein wahres Goldstück. Und Rasputin liebt ihn abgöttisch. Du solltest die beiden mal zusammen sehen.«

Emma hatte wirklich und definitiv genug von Rasputin gesehen. »Nein, ich glaube, das wäre nicht gut«, meinte sie und versuchte, so diplomatisch wie möglich zu klingen.

Savannah wurde still. »Emma ... er ist ein Dämon, aber er ist nicht ...«

»Du weißt, was er getan hat?«

»Das ist nicht fair«, meinte Savannah kopfschüttelnd.

Die Augen der Porträts, die zu beiden Seiten des Flurs auf sie herabsahen, schienen ihre Unterhaltung interessiert zu verfolgen. Emma wusste nicht, wie man an einem Ort mit so vielen stummen Zuschauern leben konnte.

»Rasputin hätte dir niemals wehgetan.«

»Er wollte ... er hat ...« Emma wusste nicht, wie sie ihre Anschuldigung formulieren sollte, ohne Savannah zu verletzen. »Er hat mich geküsst. Das weißt du, oder?«

»Und was ist mit Laurent?«, fragte Savannah weinerlich. »Er wollte dich fressen.«

»Ja, das stimmt. Aber Laurent ist ein Werwolf. Es ist nicht seine Schuld.«

»Und wieso glaubst du, es wäre Rasputins Schuld, dass er ist, was er ist?«

Diese Frage konnte Emma nicht beantworten, jedenfalls nicht sinnvoll. »Das ist doch was ganz anderes«, sagte sie bloß.

Savannah machte ein mitleidiges Gesicht. »Nein«, sagte sie. »Das ist genau das Gleiche. Schlimmer noch.«

»Wie meinst du das?«, fragte Emma steif.

Savannah glitt durch die nur angelehnte Küchentür. »Laurent muss nicht töten, um zu überleben.« Sie drehte die Gaslampe neben der Tür auf. »Aber was Rasputin tut, tut er nur, um zu überleben.«

»Um zu überleben?« Emma gelang es kaum, den Spott in ihrer Stimme zu verbergen.

Savannah nickte und legte ihren Umhang über die Rückenlehne eines Stuhls. Dann wandte sie sich dem Feuerherd zu. »Dämonen wie Rasputin ernähren sich von der Lebensenergie des Menschen, den sie nachts besuchen.«

»Dann wird Rasputin jetzt verhungern, da er nicht mehr in die untere Welt gehen und dort Frauen verführen kann?«, entgegnete Emma prompt.

»Für eine Weile werde ich ihn ernähren können«, erwiderte Savannah ernst. »Aber er wird schwächer werden.« Sie öffnete die Klappe zum Brennraum und füllte sie mit Holzscheiten, die in einer Kiste neben dem Herd standen. »Vielleicht rede ich noch einmal mit dem Baron und bitte ihn, Rasputins Strafe zurückzunehmen. Das werde ich jedenfalls tun müssen, bevor wir in höhere Sphären entschwinden.« Sie schenkte Emma ein zaghaftes Lächeln. »Er selbst könnte sich niemals dazu herablassen, um Entschuldigung zu bitten.«

»Das sollte er aber«, meinte Emma und hockte sich auf einen Stuhl neben dem Fenster, durch das man das abgebrannte Lager und die Ställe sehen konnte.

»Ich weiß«, seufzte Savannah, griff in ihre Schürze und zog einen kleinen, schwarzen Stein hervor. Der Stein schimmerte im Schein der Öllampe wie flüssiges Pech.

Morgenwind - die fliegende Stadt [Buch 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt