13. E-Doppel-M-A [1]

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Als Emma wenig später auf ihr Zimmer zurückkehrte, musste sie mit leichtem Bedauern feststellen, dass Kilian verschwunden war. Sie nutzte die Gelegenheit, um sich umzuziehen. Im Schrank fand sie eine kleine Auswahl altertümlicher, aber auch moderner Kleidung in mehreren Größen.

Nach kurzem Überlegen entschied sie sich für ein mittelalterliches Schnürkleid in verschiedenen Grüntönen, von dem sie wusste, dass es gut zu ihren Haaren und Augen passen würde. Dazu probierte sie ein Paar einfache Riemensandalen an. Das Kleid hatte eine weite A-Form und ließ sich dank der Schnürung gut auf ihre Maße anpassen. Die goldene Borte am Ausschnitt und an den Oberarmen verlieh dem Gewand einen edlen Touch. So verkleidet kam sie sich tatsächlich vor wie ein Burgfräulein. Sie drehte sich im Kreis und betrachtete entzückt, wie der Rock durch die Luft wirbelte.

»Das Kleid gehörte einst der zweiten Frau des Barons.«

Miragels Stimme ließ Emma zusammenfahren. Sie hielt inne und presste sich eine Hand auf die Brust. »Du hast mich erschreckt.«

»Das war nicht meine Absicht«, erwiderte Miragel und reichte ihr eine kleine Flasche mit einer grünlichen Tinktur darin. »Ihr solltet Euren Rücken zweimal täglich damit einreiben und größere Anstrengungen oder Belastungen vermeiden. Dann sollte sich der Schmerz rasch bessern.«

»Danke«, sagte Emma und barg das Fläschchen in den Händen. »Ich ... denkst du, das Kleid ist unangemessen?«

»Es schmeichelt Eurer Figur«, sagte Miragel förmlich. »Und ich glaube nicht, dass sich Herr Kilian oder seine Geschwister daran stören werden. Immerhin lassen sie Euch bereits im Zimmer der Baronin übernachten.«

»Sie war das Burgfräulein«, erkannte Emma.

»Wer sonst?«, gab Miragel zurück. Dann verabschiedete er sich mit einem höflichen Nicken.

Emma überdachte seine Worte und kam zu dem Schluss, dass sie ihm und seiner Einschätzung vertrauen konnte. Sie schüttelte ihre Bedenken ab, verstaute das Fläschchen in der Schublade ihres Nachttischs und ging zur Treppe. Auf dem Weg zur Eingangshalle musste sie unbeabsichtigt eine unschöne Auseinandersetzung zwischen Kilian und Kamilla mitanhören.

»-dich gar nichts an, wo ich diese Nacht war!«, hörte sie Kamilla sagen und hielt mitten auf der Treppe inne. Die Baronesse stürmte aus dem Durchgang zum Ballsaal.

Kilian folgte ihr und packte sie am Arm. »Karel wäre beinahe gestorben und niemand wusste, wo du bist.«

»Ich weiß!«, zischte Kamilla und riss sich von ihrem Bruder los. »Glaubst du nicht, ich mache mir Vorwürfe deswegen?«

»Dann sag mir doch wenigstens, wo du warst.«

»Wie gesagt, das geht dich nichts an.«

»Hast du dich wieder mit einem Mann rumgetrieben?«

Kamilla holte aus und schlug Kilian mit der flachen Hand gegen den Oberarm. »Wie kannst du so von deiner eigenen Schwester sprechen?«

Kilian schnaubte. »Dann stimmt es also nicht?«

»Du ... du bist einfach unmöglich«, grollte Kamilla und durchquerte die Eingangshalle. Ihre Absätze verursachten auf dem Dielenboden ein lautes Klack-Klack-Geräusch. »Es kann ja nicht jeder so ein gottverdammter Mönch sein wie du!« Mit diesen Worten verschwand sie durch eine Tür am anderen Ende der Halle.

Kilian blieb alleine im Halbdunkeln zurück. Er legte eine Hand auf seinen Oberarm und verzog das Gesicht, dann fuhr er herum und kehrte in den Ballsaal zurück.

Emma nutzte die Gelegenheit, um den Rest der Treppe hinter sich zu bringen, durch die Halle zu schleichen und durch das Portal ins Freie zu entfliehen.

Morgenwind - die fliegende Stadt [Buch 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt