21. In Ungnade gefallen [2]

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»Was ein Bullshit!«, platzte Belle heraus und stemmte die Hände in die Hüften. »Willst du dir das wirklich gefallen lassen, Emma?«

Emma lächelte gezwungen. »Schon gut, Belle. Ich gehe nach Hause.« Sie wollte schon weitermarschieren, da trat Masumi vor, verbeugte sich leicht und reichte Emma eine kleine Geschenkbox - oder besser: eine mit Schleife versehene Holzschachtel, etwa so groß wie eine handelsübliche Kaffeetasse. Anschließend verneigte sie sich erneut und trat zurück in die Reihe. Emma war zu überrumpelt, um etwas zu sagen.

»Komm. Gehen wir«, meinte Derrick und fasste sanft ihren Arm.

Emma barg das Geschenk in den Händen, folgte Derrick aus der Halle in einen schmalen Gang und von dort zu einer Treppe, wo sie bereits von Hilde erwartet wurden. »Da seid ihr ja«, bemerkte sie ungeduldig.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte Derrick beschwichtigend. »Emma wird freiwillig gehen. Also kein Grund, sich aufzuregen.«

Hilde musterte Emma misstrauisch. Anscheinend gehörte sie zu den Personen, die es zumindest für möglich hielten, dass Emma mit den Megamon unter einer Decke steckte. Emma konnte gar nicht sagen, wie lächerlich ihr die ganze Situation vorkam. Trotzdem blieb ihr nichts anderes übrig, als zusammen mit Derrick und Hilde die Treppe hinunter zu steigen und tiefer in den Untergrund der Stadt einzutauchen.



*



»Was wird jetzt passieren?«, fragte Emma. Ihre Stimme hallte unheimlich von den Wänden wider.

»Nun, zuerst einmal bringe ich dich an einen Ort, an dem du dich umziehen kannst«, antwortete Derrick. In Anbetracht der Tatsache, dass Emma noch immer die dreckige Kleidung vom Abend des Lichterfests trug, war das ein erbaulicher Gedanke. »Anschließend wirst du mich in die untere Welt begleiten.«

»Und die Megamon?«, fragte Emma, obwohl es ihr inzwischen beinahe egal war, dass die Kreaturen noch immer hinter ihr her waren. Sie wollte nur noch weg von der Morgenwind. Fast schon hoffte sie, Kilian könnte sie von den schmerzlichen Erinnerungen der letzten Tage erlösen.

Derrick brummte etwas Unverständliches, während er sie in einen gewölbten Tunnel führte, der mit Regalen voller Bücher ausgekleidet war.

»Was ist das hier?«, wechselte Emma das Thema. Die Bücher schienen allesamt sehr alt zu sein. Sie waren mit dicken Ledereinbänden versehen, denen man Alter und Vernachlässigung deutlich ansehen konnte. Moos und Schimmel wucherten auf den Buchrücken und in den Ecken der Regale.

»Das ist die Chronik der Morgena«, antwortete Derrick. »Hier bewahren wir die Bücher der Bestimmung auf, die von den Baronen zur Kontaktaufnahme mit der Morgena verwendet werden.«

Emma runzelte die Stirn. Sie hatte keine Ahnung, wovon Derrick sprach.

Er schien in den Tiefen seiner Hirnwindungen nach einer besseren Erklärung zu suchen. »Pass auf«, sagte er schließlich. »Um mit der Morgena zu sprechen, sie über unsere Absichten und Pläne zu informieren, muss man eine besondere Sprache beherrschen. Nur die Erben der Von-Morgen-Familie beherrschen diese Sprache.«

»Ich weiß«, meinte Emma nickend.

Derrick blieb an einer Tür aus Bronze oder Kupfer stehen, die mit einer türkisgrünen Patina und dem Wappen der Familie Von Morgen versehen war. »Dahinter liegt der Hof der Morgena. Nur der Baron darf diesen Ort betreten. Allerdings hat Kilian in der Vergangenheit einige Male eine Ausnahme für mich gemacht. Deswegen weiß ich genau, was geschieht, wenn er mit der Morgena Kontakt aufnimmt.« Derricks Blick wanderte ins Leere. »Hinter dieser Tür gibt es einen Sockel, auf dem ein großes Buch liegt. Links davon steht eine brennende Kerze, rechts ein einzelnes Tintenfass. Und zwischen den Seiten des Buchs liegt eine Feder.«

Morgenwind - die fliegende Stadt [Buch 1]Where stories live. Discover now