21. In Ungnade gefallen [2]

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»Solltest du ihr nicht Fesseln anlegen?«, erkundigte sich Miragel, während er hinter Derrick durch den Spalt zwischen den Trennwänden trat.

Emma warf ihm einen zornigen Blick zu. Sie würde sich nicht wie eine Verbrecherin abführen lassen.

Der Elf erwiderte ihren Blick mit kühler Gelassenheit. Er schien es absolut ernst zu meinen.

»Das wird nicht nötig sein«, erwiderte Derrick.

»Wieso nicht?«, gab Miragel zurück. »Immerhin wäre es nicht das erste Mal, dass sie uns austrickst.«

»Halt bloß die Klappe«, zischte Emma und befreite sich von der Bettdecke. »Ich habe nichts getan. Ganz im Gegenteil.« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf Miragel. »Ihr seid in meine Welt gekommen und habt mich entführt. Ich wollte einfach nur auf eine Party gehen. Mit meiner besten Freundin und meinen tollen neuen Schuhen, die mich im Übrigen ein Vermögen gekostet haben. Doch was habe ich stattdessen gekriegt? Eine Reise mit einem fliegenden Zirkus! Und dazu noch beinahe den Tod!« Sie lachte höhnisch. »Denkst du wirklich, das hätte ich mir gewünscht?« Miragel reagierte kaum auf ihre Vorwürfe. Seine grauen Augen waren so kalt und abgeklärt, dass Emma spüren konnte, wie ihr die Galle aufstieg. »Ich bin froh, dass ich jetzt endlich gehen kann«, knurrte sie und drängte sich an Miragel vorbei.

Jenseits der Trennwände verflüchtigte sich ihr Zorn jedoch schnell wieder und machte einem Gefühl von Hilflosigkeit und Scham Platz, das ihr die Kehle zuschnürte. Alle Einwohner der Stadt schienen sich versammelt zu haben, um dabei zuzusehen, wie sie abgeführt wurde.

Emma schluckte hart und ließ den Blick durch die Halle schweifen. Ganz offensichtlich befand sie sich in einem der unterirdischen Schutzräume. An den rostigen Metallwänden stapelten sich Kisten und Kartons. Dazwischen standen Feldbetten und Klappstühle. Aus mehreren Stühlen und Decken hatten die Bewohner provisorische Sichtschutz-Zäune errichtet. Ein paar Wärmepilze aus glänzendem Edelstahl spendeten Licht und Wärme. Ein leises Rauschen war zu hören. Es mochte vom Betrieb der Heizpilze oder einer Lüftungsanlage stammen.

»Alles in Ordnung?«, fragte Derrick.

Emmas Blick kehrte zu den Bewohnern der Stadt zurück, die sie neugierig, teilweise aber auch regelrecht feindselig beäugten. »Schon gut«, sagte sie und presste die Kiefer so fest aufeinander, dass es wehtat. Wenn es Kilians Plan war, ihr Schmerzen zu bereiten, indem er sie in aller Öffentlichkeit wie eine Verbrecherin aussehen ließ, musste sie ihn enttäuschen. Es war nicht das erste Mal, dass sie vor aller Augen blamiert wurde. Sie dachte an ihren Ex-Freund und die unschöne Szene im Restaurant zurück, als sie ihn in flagranti mit einer Kellnerin auf dem Klo erwischt hatte. Das ganze Lokal hatte an ihrer Erniedrigung teilhaben können. Sie konnte die Blicke der anderen Gäste noch immer auf sich spüren. Konnte noch immer sehen, wie sie ihr schadenfrohes Grinsen mit den Händen zu verbergen versuchten. Emma atmete einmal tief durch und marschierte los.

Derrick lief ihr nach. »Nun mal ganz ruhig«, raunte er ihr zu.

»Du hast gut reden«, brummte Emma. Ihr Blick begegnete Sebastian. Der Geistliche lächelte ihr aufmunternd zu. Sie brachte es jedoch nicht fertig, sein Lächeln zu erwidern. Als Nächstes bemerkte sie Lusine, die mit Finka und Penny auf einem Feldbett hockte und ein Kinderbuch auf den Knien balancierte. Die beiden Mädchen streckten die Hände aus und winkten.

»Tschü-hüß E-Doppel-M-A!«, rief Penny.

Der Druck auf Emmas Kehle verstärkte sich. Doch egal, was auch geschah, sie würde sich keine Schwäche anmerken lassen - und schon gar nicht losheulen, auch wenn sie gut Lust dazu hatte.

Am anderen Ende der Halle warteten Nori, Masumi, Belle und der alte Mann mit dem Rauschebart, den sie nie wirklich kennengelernt hatte. Beim Näherkommen senkte Nori den Blick, als könnte er es nicht ertragen, sie anzusehen.

Morgenwind - die fliegende Stadt [Buch 1]Where stories live. Discover now