42. Romantische Hassgefühle

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Vor ein paar Tagen hatte Mum mich mit den Iván-Neuigkeiten überrascht und bevor ich das verdauen konnte, war gestern Nacht bereits das nächste Familienmitglied an der Reihe, mich zu verblüffen. Fast hätte ich heute aufgeatmet und Gott für das Ende dieser Überraschungsserie gedankt, da klopfte es an meiner Tür.

Dieses Mal war Dad dran.

Er steckte seinen Kopf fast schon schüchtern durch den Türspalt und sah mir für eine Sekunde in die Augen, bevor er seinen Blick auf meinen Laptop senkte.

„Kommst du frühstücken, Carter? Wir sind diesen Samstagmorgen alleine."

Ach, stimmt. Julie spielte heute unsichtbar. Das war dann wohl auch der Grund, weshalb er sich persönlich bei mir meldete.

„Wow, Dad, ich habe fast schon vergessen, wie du aussiehst, so lange ist es her."

Das Zucken seiner Mundwinkel, als ich ihn Dad nannte, konnte er nicht unterdrücken. Mit der Andeutung eines Lächelns stieß er die Tür weiter auf und entschuldigte sich plötzlich.

„Es tut mir Leid, Carter. Die letzten Tage sind... heftig gewesen. Mal ganz abgesehen von dem Stress auf der Arbeit, weißt du genau, weshalb ich mich eher zurückgezogen habe. Das war nicht richtig, das ist mir klar. Aber... Aber ich denke, du verstehst das, oder?"

Ich nickte langsam und klappte meinen Laptop zu. „Ja, klar, Dad. Ich hätte wahrscheinlich nicht anders reagiert und bin dir echt nicht böse."

„Naja, ich hoffe, dass du sowas nie aus meiner Perspektive erleben musst...", er räusperte sich leicht. „Für dich war es aber bestimmt nicht ansatzweise leichter."

Achselzuckend lehnte ich mich in meinem Schreibstuhl zurück und runzelte die Stirn. „Ich finde es einfach nur komisch. Aber irgendwo war es auch erleichternd zu wissen, dass du Mum nicht fremdgegangen bist. Und sie so gesehen ja auch nicht."

Dad wandte den Blick ab und schien nicht ganz zustimmen zu können. „Manche Lügen sind schlimmer als Fremdgehen."

Irgendwo hatte er Recht.

„Aber ich denke mal, wenn ich es von Anfang an gewusst hätte, wäre ich jetzt nicht hier, bei euch. Und der Gedanke missfällt mir sehr."

Er lächelte wieder und nickte in die Richtung der Treppen. „Komm schon, wir reden beim Essen weiter."

„Okay", ich stand auf und folgte ihm aus meinem Zimmer. „Alles passiert aus einem Grund, Dad."

Die Augenbrauen hochziehend betrachtete er mich für eine Sekunde, bevor er langsam nickte. „Ja, Carter, das stimmt wohl."

* * *

Nach dem Essen habe ich mich in Julies Zimmer geschlichen, um nach ihr zu sehen, doch natürlich war sie nicht mehr da. Ein Blick auf mein Fenster reichte, um zu verstehen, was die Dame getan hatte. Ziemlich riskant, da unsere Küche einen direkten Ausblick auf die Terrasse und den Vorgarten bot.

Seufzend setzte ich mich auf mein Bett und öffnete die Schublade meiner Nachtkommode. Da lag noch das stinkende Tagebuch drin und verweste immer mehr. Verdammt eklig.

Das letzte Mal, als ich darin gelesen hatte, hatte ich erfahren, dass Manon auf Frauen stand und der Besitzer des Tagebuchs tatsächlich eher eine Besitzerin war. Danach wurde ich von meiner Mum gestört, da diese mir unbedingt erzählen wollte, dass mein biologischer Vater jemand anderes war. Fühlte sich an, als wäre das schon Jahre her.

Im nächsten Eintrag erwähnt sie Louis' Namen. Sie scheinen sich gut zu verstehen, da er wissen wollte, ob zwischen ihr und Manon alles in Ordnung ist. Ich überflog die nächsten Seiten nur, in denen sie davon sprach, Manon mit einem Kuss getestet zu haben, was aber komplett schief gelaufen ist und sonst geht's um Selbsthass und Suizidgedanken, was mich nicht mehr sonderlich überraschte.

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