41. Erwachsene Julie

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Nach einer stillen Rückfahrt mit Linda, die noch unangenehmer gewesen ist als unsere gemeinsame Arbeitszeit, hatte ich es endlich gegen 22 Uhr nach Hause geschafft. So schnell würde sie mich nicht mehr anrufen, völlig egal weswegen. Der Chemieunterricht am Montag würde auch interessant werden, das spürte ich.

Müde schlich ich hoch in mein Zimmer und hatte nur noch Kraft fürs Zähneputzen. Dabei gähnte ich bestimmt zehn Mal, bevor ich mich endlich in Boxershorts auf mein Bett fallen ließ. Mein Handy war aus und ich hatte keine Lust, es zu holen und ans Ladegerät anzuschließen. Stattdessen warf ich meine Decke über mich und knipste das Nachtlicht aus.

Ich war zwar todmüde, aber das hieß leider nicht, dass ich schlagartig ins Land der Träume flüchten konnte. So lag ich dann bestimmt zehn Minuten da, meiner eigenen Atmung lauschend, bis ich kurz davor war, endlich einzuschlafen.

Ein ersticktes Stöhnen verhinderte das jedoch gefühlt in letzter Sekunde. Ich verzog das Gesicht und spitzte die Ohren. Noch eins folgte und dann hörte ich eine tiefe Stimme aufgeregt flüstern.

Es kostete mich wirklich einiges an Überwindung zu blinzeln, obwohl ich fest überzeugt war, dass mich in meinem Zimmer nichts erwartete.

Falsch gedacht.

„Hab's geschafft!", hörte ich Julie plötzlich im Flüsterton schreien. „Alles okay! Du kannst jetzt nach Hause gehen, Jake."

Und dann erschien ihre gespenstische Hand auch schon an meinem Fenster. Reflexartig weitete ich die Augen und richtete mich auf. Sprachlos und verwirrt saß ich auf meinem Bett und beobachtete, wie sie das Fenster aufstieß. Dadurch konnte ich dann auch viel besser verstehen, was Jake zu sagen hatte: „Okay... Pass auf dich auf."

„Du auch", gab sie nur zurück und dann war sie ruckzuck auf der Fensterbank und drüber, in meinem Zimmer. Erst bemerkte sie mich nicht, doch dann blickte sie leise seufzend auf und klatschte sich erschrocken die Hand auf den Mund.

Ich zog skeptisch eine Augenbraue hoch und legte den Kopf schief. Wortlos betrachtete ich sie, bis sie sich aus ihrer Starre löste und hastig das Fenster hinter sich schloss. „Carter!", zischte sie dann und umarmte panisch ihre Umhängetasche. „Was machst du hier?!"

„Ich wohne hier...", antwortete ich langsam. „Das ist mein Zimmer."

Julie fuhr sich durchs Haar und schloss kurz die Augen. „Ja, aber, ich meine... Es ist Freitagabend, was machst du Zuhause in deinem Bett?"

„Also, erstens, ist es Nacht, zweitens war ich heute Abend arbeiten und drittens hat der große Bruder in mir geahnt, dass meine kleine Schwester heute Scheiße bauen würde."

Jules schluckte schwer und lief langsam auf mich zu. „Bitte erzähl Mum und Dad nichts davon."

Dass ich schon seit merkwürdig langer Zeit nicht mehr mit Dad geredet hatte, ließ ich unerwähnt. Stattdessen nickte ich und bedeutete ihr, sich auf mein Bett zu setzen. Sie gehorchte und hielt vor Scham den Kopf gesenkt.

„Wann hast du dich rausgeschlichen?"

Ja, ich wollte wissen, wie viel Zeit die beiden zusammen verbracht hatten, um einschätzen zu können, was sie so getrieben haben. Julie spitzte kurz die Lippen und legte dann plötzlich ihre Tasche an mein Bett. Die Jacke landete auch daneben und deswegen bereitete ich mich innerlich auf ein langes Gespräch vor.

„Mum denkt, dass ich bei einer Freundin übernachte. Ich war aber bei Jake." Sie nahm tief Luft und schloss die Augen, als sie die nächsten Worte hastig nuschelte: „Sein Papa ist ins Zimmer geplatzt als wir beide oberkörperfrei am Knutschen waren und wollte unbedingt wissen, ob wir Kondome haben, bevor er uns in Ruhe gelassen hat. Da konnte ich nicht einfach die ganze Nacht dableiben und bin wieder zurückgekommen."

BorderlineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt