20. Staubiges Leder

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„Carter, Baby, hast du grad Zeit?", fragte Amor atemlos am anderen Ende der Leitung, während ich einen Blick auf die Uhrzeit warf. Es war kurz vor Vier.

„Ja, klar."

„Cool, kommst du dann zum Park?", ich konnte das Grinsen aus seiner Stimme hören. „Die Erklärung, die ich dir schulde, geht mir in meinem Kopf langsam auf den Sack. Keine Ahnung, wie das möglich ist, aber es ist wahr."

„Bin in fünf Minuten da", meinte ich und legte auch schon auf, um meine Kleidung zu wechseln. Nachdem ich nach Hause gefahren war, hatte ich bestimmt eine halbe Stunde lang geduscht und mir anschließend gemütlichere Sachen angezogen. Knielange Sweats waren aber nicht wirklich geeignet fürs Novemberwetter, sodass ich sie gegen was Wärmeres tauschte und nach unten schlenderte. Gerade, als ich in meine Schuhe schlüpfte, tauchte meine Mum im Flur auf.

„Wohin gehst du, Carter?"

Ich zog verwundert eine Augenbraue hoch. „Zum Park."

Sie seufzte leise. „Gestern ist ein Brief eingegangen, von dem ich deinem Vater noch nichts erzählt habe. Eigentlich wollte ich später mit dir darüber reden, aber du bleibst ja keine fünf Minuten Zuhause."

Alarmiert hing ich meine Jacke zurück und legte den Kopf schief. „Worum ging es in dem Brief? Schule? Ich schwöre, ich ziehe meine Uniform an."

Meine Mum lachte leise und schüttelte den Kopf. „Es ging nicht um deine Kleidung, sondern viel eher um deine Englischnote. Mrs Grace empfiehlt Nachhilfeunterricht. Und eine meiner Kolleginnen hat eine Tochter in deinem Jahrgang. Vielleicht kennst du sie? Ein ganz hübsches Mädchen und ich glaube, sie ist auch Veganerin. Vielleicht hat Elaine dir von Ava erzählt."

Mit gerunzelter Stirn nickte ich. „Ich glaube, ich habe sie gestern auf der Party kennengelernt. Wird sie mir helfen? Als meine Englischnachhilfelehrerin?", ungläubig griff ich wieder nach meiner Jacke.

„Ja, wir haben gestern abgemacht, dass ihr euch heute in der Schulbibliothek trefft, aber ich denke mal, sie hat nichts erwähnt?"

Ich zuckte die Achseln. „Auf einer Party ist Schule nicht wirklich das beliebteste Thema."

Mum nickte lächelnd. „Wirst du dich heute mit ihr treffen? Um sechs Uhr?"

„Sechs Uhr schon?", fragte ich überrumpelt und zog mich hastig an. „Mach ich, aber das ist schon bald. Ich muss jetzt zum Park."

Sie nickte erneut und verschwand dann sichtlich erleichtert im Wohnzimmer. Leise grummelnd trat ich in die Kälte und dachte auf dem Fußweg zum Park darüber nach, wie peinlich es war, in seiner Muttersprache durchzufallen. Schule verdarb mir sonst nicht so die Laune, aber Englisch ist bisher eigentlich nie ein Problem gewesen. Warum konnte Mrs Grace nicht vorher mit mir darüber reden, anstatt sofort einen Brief nach Hause zu schicken? Knapp eine Woche nach den Ferien standen schon die Prüfungen an–Englisch an erster Stelle.

Glücklicherweise brauchte ich nur fünf Minuten, bis ich am Eingang des Parks stand und Amors dunklen Haarschopf in der kahlen Gegend schweben sah. Er saß auf der nächsten Bank und zappelte nervös.

Ich beeilte mich und murmelte ein leises 'Buh', als ich hinter ihm hervortrat. Er erschrak lustiger Weise und zuckte zusammen.

„Das waren aber ziemlich lange fünf Minuten!"

Die Augen verdrehend setzte ich mich zu ihm. „Ich habe keine Zeit fürs Vorspiel. Hau raus."

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