I LIE TO YOU

By larellee

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Du kennst jemanden, wenn du weißt, wovor er sich fürchtet ... Ihr Lächeln zieht jeden in den Bann, seine Auge... More

Vorwort
Aesthetics
Letzter Atemzug
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Epilog
Nachwort + Dankesagung

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By larellee

Ace

Das schrille Geräusch der Klingel lässt mich hochschrecken. Dabei habe ich mich gerade erst hingesetzt. Innerlich verfluche ich Caleb dafür, dass er ständig seine verdammten Schlüssel vergessen muss. Wieder klingelt es.

»Entspann dich mal! Sei froh, dass ich überhaupt für dich aufstehe, du fauler Arsch! Ich könnte dich genauso gut vor der Tür stehen lassen!«, brülle ich ihm zu.

Wütend stehe ich auf und reiße die Tür schwungvoll auf. Ein wenig zu schwungvoll. Mit einem dumpfen Geräusch knallt die Tür an einen Kopf. Aber es erfüllt mich mit einer paradoxen Zufriedenheit, dass Caleb jetzt Bekanntschaft mit der geballten Macht des Karmas schließt. Schmerzerfüllt stöhnt er auf. Moment. Das ist gar nicht Caleb.

»Ach du Scheiße! Ist alles gut bei dir? Ich dachte, du wärst Caleb.« Paige steht vor mir, vollkommen und wunderschön, wie sie ist. Wie die aus Schaumkronen geborene Aphrodite steht sie da, ihr eigener Fels in der Brandung. Wunderschön und stark. So schön, dass es wehtut.

»Danke für die herzliche Begrüßung«, murmelt sie und reibt sich die Schläfe.

»Tut mir echt leid, brauchst du ein Kühlakku? Was machst du überhaupt hier?« Gott, habe ich ein Treffen verpasst? Sie muss mich für einen totalen Versager halten, wenn es wirklich so ist.

»Also wenn ich gewusst hätte, was mich hier erwartet, wäre ich bestimmt nicht gekommen«, brummt sie und reibt sich noch immer mit Pein im Gesicht die Schläfe. Mist, jetzt denkt sie, ich hätte keinen Bock auf sie.

»Nein, nein, ich freue mich schon aber trotzdem. Haben wir uns verabredet?«
Paige schüttelt den Kopf und verzieht das Gesicht. »Ein Kühlakku nehme ich sehr gerne, besten Dank auch.«

»Komm rein«, sage ich sofort und lasse sie durch die Tür gehen, indem ich ihr Platz mache.

Sie folgt mir durch den Flur in die Küche. Mein Blick fällt auf die schmutzigen Teller, die ich schön längst in die Spülmaschine hätte stellen sollen. Toll, sieht sehr sauber aus. Dabei bin ich eigentlich ein wirklich ordentlicher Mensch. Nur war ich heute nicht übermäßig motiviert, überhaupt irgendwas zu tun. Ich öffne die Tiefkühltruhe und reiche ihr ein Kühlakku.

»Danke«, sagt sie seufzend, mit einem wohligen Lächeln auf den Lippen. »Und nein, wir waren nicht verabredet. Ich wollte dich nur sehen«, gesteht sie. Mein Herz klopft freudig gegen meine Brust, droht zu zerspringen an der Freude, die mich übermannt. »Also wenn das so ist...«, meine ich und werfe ihr ein verschmitztes Grinsen zu.

»Und alles, was ich bekomme, ist das« Theatralisch zeigt sie auf ihren Kopf, die Stelle schwillt langsam immer mehr an, zu einer Beule, die sich gewaschen hat. Aber hallo. Entsetzt reiße ich die Augen auf, erschrocken über die Beule.

»Was? Habe ich was im Gesicht?« Paige zieht eine Augenbraue hoch.
»Nein, nein, alles gut«, winkte ich sofort ab und sehe an ihr vorbei aus dem Fenster, um mir nichts anmerken zu lassen. Natürlich kann ich ihr nichts vormachen. »Aha. Tut mir leid, dass ich hier einfach so reinschneie. Habe ich dich bei irgendwas wichtigem unterbrochen?«, fragt sie mich und sieht sich jetzt in der Küche um.

»Ne, ich habe nur Musik gehört und meine jämmerliche Existenz sinnentfernt verschwendet. Willst du irgendwas unternehmen? Wir müssen nicht hier in der Wohnung bleiben, Caleb kommt vermutlich sowieso gleich.«

Paige nickt aufgeregt. »Klingt gut. Irgendwie komme ich mir total dämlich vor, weil ich hier einfach aufkreuze und dich völlig überrumple.«

Ich lache leise. »Überrumpelt hast du mich tatsächlich. Aber ich habe dir die Tür an den Kopf geknallt. Und außerdem freue ich mich auch, dich zu sehen. Lass uns einfach losgehen.«

Feierlich quiekt sie. »Aber das Kühlakku lege ich mal besser zurück, oder?«, erinnert sie sich an das Dasein des blauen Päckchens.

»Aber du musst doch deinen Kopf kühlen?« Ein paar Sekunden schaut sie mich perplex an, als hätte ich ihr das Kühlakku gerade aus der Hand genommen und mir in den Mund gesteckt.

»Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mit dir durch New York laufe und dabei ein Kühlakku spazieren führe?«
Ich lache auf. »Warum eigentlich nicht? Du musst die Beule wirklich kühlen.«

»Ist jetzt auch egal«, sagt sie und macht eine wegwerfende Handbewegung. Achselzuckend gehe ich wieder in den Flur und ziehe mir Jacke und Schuhe an. Wir gehen raus, Paige rennt schon die Treppe runter.

»Warte! Ich muss noch abschließen!«, rufe ich ihr hinterher. Meine Stimme hallt im Flur wider.

»Dann musst du dich wohl beeilen!«, erwidert sie fröhlich. Eine Etage über mir fliegt eine Tür auf. »Das hier ist ein Flur, kein Konzertsaal! Ich will meine Ruhe haben, ihr verdammten kleinen Gören! Hört auf, so einen Krach zu machen!«, donnert Mrs Develic Stimme.

Klar, ist ja nicht so, dass sie zehnmal lauter schreit. Ich sage nichts und gehe einfach die Treppe runter. Mit einem lauten Knall hat sie die Tür auch schon wieder zugeknallt. »Zum Glück habe ich nicht so eine Nachbarin, meine Güte. Hat die nichts Besseres zu tun, als Wache zu schieben? Muss die nicht irgendwelche Hexentränke brauen oder mit ihrem Besen durch die Stadt fliegen? Oder Katzen häuten oder so?«

Die kühle Abendluft empfängt uns. Der Himmel ist dunkelblau, die Sterne funkeln wie kleine Diamanten am Himmel. Der Mond wirft die Stadt in einen silbernen Glanz, der sich beinahe mühelos mit den hellen Lichtern der Hochhäuser vermischt.

»Du kannst wirklich froh sein. Einmal habe ich eine Nachricht gelesen und bin ihr im Flur begegnet, dabei habe ich sie ganz leicht berührt und sie ist völlig ausgerastet. Sie hat den ganzen Flur zusammengeschrien, also musste Mr. Hills kommen, der wohnt ihr gegenüber, und hat sie erstmal besänftig. Aber sie war wie eine Furie und hat ihn gekratzt.«

Kopfschüttelnd gehe ich neben ihr her. Paige lacht fassungslos auf. »Oh Gott.«

»Jep. Sie geht auch nie aus dem Haus, nur mittwochs, um Katzenfutter für ihre Tiere zu kaufen. Und sie kauft wirklich nur Katzenfutter. Deswegen gehe ich davon aus, dass sie welche hat. Aber vielleicht ernährt sie sich auch einfach von Katzenfutter, kann ja sein. Wenn es ihr schmeckt.«

Paige verzieht angewidert das Gesicht. »Oder sie will, dass du glaubst, dass sie Katzen hat. Damit niemand auf die Idee kommt, dass sie allein ist.«

»Das könnte natürlich auch sein«, sage ich lachend. Ohne dass jemand etwas sagt, schlagen wir den Weg zum Central Park ein. Die Laternen tauchen die Bänke und Büsche in ein schwaches, silbernes Licht. Dennoch ist es hier viel dunkler als auf der Straße. Eine kühle Brise weht mir durch die Haare, der Geruch von Laub liegt in der Luft. Die Kieselsteine quietschen unter unseren Sohlen, feiner Staub wirbelt auf.

»Ich habe schon lange keinen Spaziergang mehr gemacht, zumindest nicht abends«, unterbricht Paige die sanfte Stille. Selbst schweigen fühlt sich mit ihr gut an. Alles mit ihr fühlt sich gut an. Ich würde es gerne sagen, habe aber das Gefühl, die Tragweite dessen, was gerade mit uns passiert, gar nicht fassen zu können. Himmel, etwas vergleichbares habe ich noch nie gefühlt.

»Ich auch nicht.«

Unsicher greife ich nach ihrer Hand. Meine Fingerspitzen Streifen ihre Handfläche. Paige erwidert die Geste, bis sie meine ganze Hand umfasst. Hand in Hand gehen wir weiter, immer tiefer in den Park. Bis man sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass man mitten in einer Großstadt wie New York ist. Die Abstände zwischen den Laternen werden immer größer, die Bäume dichter und die Büsche wilder, weniger akkurat gestutzt.

Meine Augen gewöhnen sich langsam an den immer dunkler werdenden Weg. Die Nacht besteht aus den verschiedensten Farben und Schatten. Sie hängen in den Bäumen und liegen auf dem Boden. Die Bäume sind still, wirken abgerundet und dunkel. Aber das Wasser eines kleinen, künstlich angelegten Teichs glitzert weiß und schwarz im Mondlicht. Um ihn herum tanzen kalte Nebelschwaden, sodass die Luft in wassernähe noch kühler ist.

Paige steuert auf eine Parkbank zu, die direkt unter einer Laterne steht.

»Ich habe keine Lust mehr zu laufen«, meint sie und zieht mich mit sich.

»Dann können wir die Sterne besser beobachten, das ist tagsüber ja nicht so einfach. Es sind so viele. Früher wollte ich sie alle zählen.«

Sie sucht meinen Blick, hält ihn fest. Ein leichtes Lächeln liegt ihr auf den Lippen. Unglaublich angenehme Wärme erfüllt mein Herz. Nicht zu heiß, nicht zu kalt. Genau richtig.

»Ich habe mir früher immer den größten Stern ausgesucht und gesagt, dass er meiner sein muss. Und dass er mir irgendwann hilft und mich rettet. Als ich noch bei meiner Tante gelebt habe, dachte ich immer, etwas würde mit dem Himmel nicht stimmen weil...«

Sofort höre ich auf, darüber zu reden. Paige nimmt meine Hand.

»Erzähl bitte weiter«, murmelt sie und schaut mich bittend an. Ihre Finger sind eiskalt, aber meine Haut prickelt und das Herz klopft mir bis zum Hals.

»Du erzählst so wenig von dir, obwohl du alles von mir weißt. Also fast alles. Aber du bist mir trotzdem noch ein totales Mysterium, obwohl ich dir mein Wesen quasi vor die Füße gelegt habe«, sagt sie leise. »Du bist voller Geheimnisse und ich würde gern zumindest ein oder zwei davon kennen.«

Eine Weile sage ich nichts. Ich starre auf den Teich, lausche den rauschenden Geräuschen des Wassers und Paiges Atem. Meinen habe ich angehalten, schließlich setze ich zum Sprechen an.

»Früher dachte ich immer, mit dem Himmel stimmt etwas nicht. Als ich noch in Brooklyn bei meiner Tante gewohnt habe, habe ich immer nachts, wenn ich meine Ruhe hatte, zu den Sternen geschaut. Wir alle sehen die gleichen Sterne, weißt du? Das hat mir immer Hoffnung gegeben.«

»Hoffnung worauf?«

»Auf ein besseres Leben.«

»Ace, was... was ist denn passiert, dass du...?«, stammelt sie mit belegter Stimme.

Ich seufze. »Das möchtest du bestimmt nicht wissen.«

»Doch. Will ich. Ich würde dich niemals für etwas verurteilen, das weißt du.« Sie sieht mich an, ihr Gesicht lässt keinen Schlupfwinkel für Zweifel.

Ich ziehe meine Hand weg und presse den Kiefer fest aufeinander. Dann atme ich zitternd aus. Ich weiß, dass sie mich nicht verurteilen würde. Uns ist das gleiche widerfahren. Dennoch macht es mir Angst, einen solchen Seelenstriptease vor ihr hinzulegen. Ich überrasche mich, indem ich rasselnd Luft hole und es doch tue.

»Nachdem meine Eltern starben bekam meine Tante das Fürsorgerecht. Caleb war gerade in der Ausbildung, war also sehr beschäftigt und hätte kaum Zeit für mich. Meine Tante wirkte nach außen hin sehr vielversprechend. Sie hatte einen kleinen Bioladen, mit selbstgekochter Marmelade und getrockneten Kräutern und so. Vor der Ladentheke sah alles schön aus, wie in einem verdammten Bilderbuch. Für die blinden, gutgläubigen Menschen jedenfalls. Nur wusste niemand, dass dies nicht der eigentliche Zweck des Geschäfts war. Hinter der Ladentheke gab es mehrere Zimmer in denen... In denen ältere Menschen mit Kindern...Es war wie ein Bordell, nur kleiner. Und mit Minderjährigen.«

Paige schnappt lautstark nach Luft. Der Schock steht ihr ins Gesicht geschrieben - sie kennt den Schmerz. Fühlt das Leid. Erkennt meine inneren Dämonen. Doch sie wendet sich nicht ab. Sie bleibt an meiner Seite.

»Nein!«, ruft sie entsetzt.

»Doch.«

»Du auch?«, fragt sie geschockt. Ich schaue sie nicht an, sondern starre auf meine Schuhspitzen. Der Scham und der Frust sitzen zu tief, so tief, nicht einmal Wurzeln eines Baumes können dem das Wasser reichen – nein, viel eher reicht diese Tiefe bis zum Erdkern. Es ist diese Art von schwergewichtiger Tiefe, die wie ein Felsbrocken an deinem Fuß hängt, wenn du dich in einen tosenden Ozean aus Schmerz und Schatten der Vergangenheit schmeißt. Du wirst ertrinken.

»Ich... Es tut mir so leid, ich... weiß gerade nicht, was ich sagen soll. Danke für dein Vertrauen.«

»Reicht das?«, frage ich mit weicher, unsicherer Stimme.

»Es ist mehr als genug und es gibt nichts daran, dass mich abstoßen würde. Rein gar nichts. Aber ich akzeptiere deine Grenzen«, haucht sie und ich atme erleichtert aus. Ich hebe den Blick und schaue ihr direkt in die Augen. Der warme Schein der Laterne lässt ihre Gesichtszüge weicher erscheinen, ihre Haut strahlt förmlich.

»Gibt es den Laden noch? Also ich meine, arbeitet deine Tante noch oder ist sie im Gefängnis?«

»Sie ist im Gefängnis. Ich glaube, das Gebäude steht aber noch.« Sie nimmt wieder meine Hand.

»Ich will es sehen.« Ich schließe die Augen und schlucke. Niemals. Ich habe mir geschworen, diesen Ort nie wieder zu betreten, ihn nie wieder zu sehen. Nein, nie wieder wollte ich die Brücke zu Brooklyn überqueren, die Brücke, die in meine persönliche Hölle führt.

»Ich weiß nicht, ob ich dir das zeigen kann«, sage ich, meine Stimme ist nicht mehr als ein heiseres Flüstern. Sie klingt brüchig, wie ich. Wie die Trümmer meiner Seele, die ich Paige gezeigt habe. Die Ruine. Meine Ruine. Nein halt, ich bin diese Ruine.

»Bitte«, fleht sie. »Ich... Ich will dich wirklich kennenlernen, jeden Teil von dir.«

»Jeden«, wiederholt sie mit Nachdruck.

Ich presse die Lippen zu einer geraden Linie zusammen. »Ich habe keine Angst vor deiner Vergangenheit, Ace«, sagt sie. Keine Angst. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, alles in mir wehrt sich dagegen, ihr diesen Ort zu zeigen.

Ein Teil von mir will seine Existenz streichen, sie verleugnen. Ich war dort seit Jahren nicht mehr. Nicht ein einziges Mal. Nicht seitdem... Aber ich nicke. Auch wenn ein Teil in mir mich dafür gleich anschreit, ich nicke tatsächlich. Ich zeig ihn ihr. Weil ich mir sicher bin, dass sie nicht über mich urteilt, sondern mich so nimmt, wie ich bin. Ich werde mich mit ihr meinen Dämonen stellen. Und hoffentlich schaffe ich es auch, Frieden mit mir selbst zu schließen.

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